Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.immer nur Männer aufgetreten, und nur ausnahmsweise scheinen in Konstan¬ immer nur Männer aufgetreten, und nur ausnahmsweise scheinen in Konstan¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106105"/> <p xml:id="ID_814" prev="#ID_813" next="#ID_815"> immer nur Männer aufgetreten, und nur ausnahmsweise scheinen in Konstan¬<lb/> tinopel sehr spät Frauen in dieser Gattung zugelassen worden zu sein. Ein einziger<lb/> Tänzer stellte die sämmtlichen lyrischen solos, die das Stück enthielt, panto¬<lb/> mimisch dar, also mehre Rollen hintereinander sowol männliche als weibliche;<lb/> ein Chor sang dazu den entsprechenden Text und füllte vermuthlich die Pausen<lb/> zwischen den Soli durch eine verbindende Erzählung aus, die man sich so vor¬<lb/> stellen mag. wie die erzählenden Recitative in unsern Oratorien; zugleich er¬<lb/> hielt der Tänzer hierdurch Zeit, Costüm und Maske zu wechseln. Die Mas¬<lb/> ken der Pantomimen, die keiner Schallöffnung bedurften, hatten geschlossene<lb/> Lippen, das Costüm war prachtvoll bunt und faltenreich wie in der Tragödie.<lb/> Derselbe Pantomime trat in demselben Stück erst als Athamas, dann als<lb/> Imo, in einem andern erst als Atreus dann als Thyest auf u. s. w. Ein<lb/> Barbier (erzählt Lucian) sah fünf Masken für eine Aufführung in Bereitschaft,<lb/> und nur einen Pantomimen. Als er auf seine Frage nach den übrigen Tän¬<lb/> zern erfuhr, daß dieser eine die verschiedenen Personen sämmtlich darstellen<lb/> werde, rief er erstaunt: Ich sehe, du hast in einem Körper viele Seelen.<lb/> Allerdings scheinen neben dem einen Darsteller auch Statisten aufgetreten zu<lb/> sein; aber immer concentrirte sich auf diesen das ganze Interesse des Publi-<lb/> cums, und jedenfalls wurde die Phantasie der Zuschauer zur Ergänzung der<lb/> Darstellung in Anspruch genommen. Man verlangte von vorzüglichen Panto¬<lb/> mimen, daß sie bei der Darstellung des Achill die Person des Paris mit an¬<lb/> deuteten, bei der des Prometheus den Vulkan, bei Ganymed den Jupiter u. s. w.<lb/> Trotzdem vermag man kaum sich vorzustellen, auf welche Weise personenreiche<lb/> sujets z. B. der Kampf der Lapithen und Centauren und ähnliches dargestellt<lb/> worden ist. Natürlich wurde das Verständniß des Tanzes durch den begleiten¬<lb/> den Chorgesang unterstützt und vermittelt, doch der höchste Ehrgeiz der Virtuo¬<lb/> sen war, ihr stummes Spiel auch ohne diese Hilfe verständlich zu machen, und<lb/> nach mehren Anekdoten entwickelten sie hierin eine Kunst, von der wir auch<lb/> nicht einmal eine annähernde Vorstellung haben. Der berühmte cynische<lb/> Philosoph Demetrius soll sich einst über die Pantomimen geringschätzig ge¬<lb/> äußert haben, die, wie er meinte, ohne den Chor und die Musikbegleitung<lb/> nichts zu leisten vermöchten. Ein berühmter Tänzer, der ihn vom Gegentheil<lb/> zu überzeugen beschloß, tanzte hierauf vor ihm den Ehebruch des Mars und<lb/> der Venus ohne Gesang und Musik. Er drückte die Anzeige des Sonnen¬<lb/> gottes an den betrogenen Gemahl, die Nachstellung Vulcans und die List der<lb/> unsichtbaren Fesseln, die Scham der Venus, die Bitten des Mars, die sämmt¬<lb/> lichen andern von Vulkan herbeigerufenen Götter durch sein stummes Spiel<lb/> allein so vollkommen verständlich aus, daß der Philosoph bewundernd aus¬<lb/> rief: ich sehe nicht blos, was du spielst, ich höre es auch, du sprichst wahr¬<lb/> haft mit den Händen. Ausdrucksvolle und zugleich rhythmische Bewegungen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
immer nur Männer aufgetreten, und nur ausnahmsweise scheinen in Konstan¬
tinopel sehr spät Frauen in dieser Gattung zugelassen worden zu sein. Ein einziger
Tänzer stellte die sämmtlichen lyrischen solos, die das Stück enthielt, panto¬
mimisch dar, also mehre Rollen hintereinander sowol männliche als weibliche;
ein Chor sang dazu den entsprechenden Text und füllte vermuthlich die Pausen
zwischen den Soli durch eine verbindende Erzählung aus, die man sich so vor¬
stellen mag. wie die erzählenden Recitative in unsern Oratorien; zugleich er¬
hielt der Tänzer hierdurch Zeit, Costüm und Maske zu wechseln. Die Mas¬
ken der Pantomimen, die keiner Schallöffnung bedurften, hatten geschlossene
Lippen, das Costüm war prachtvoll bunt und faltenreich wie in der Tragödie.
Derselbe Pantomime trat in demselben Stück erst als Athamas, dann als
Imo, in einem andern erst als Atreus dann als Thyest auf u. s. w. Ein
Barbier (erzählt Lucian) sah fünf Masken für eine Aufführung in Bereitschaft,
und nur einen Pantomimen. Als er auf seine Frage nach den übrigen Tän¬
zern erfuhr, daß dieser eine die verschiedenen Personen sämmtlich darstellen
werde, rief er erstaunt: Ich sehe, du hast in einem Körper viele Seelen.
Allerdings scheinen neben dem einen Darsteller auch Statisten aufgetreten zu
sein; aber immer concentrirte sich auf diesen das ganze Interesse des Publi-
cums, und jedenfalls wurde die Phantasie der Zuschauer zur Ergänzung der
Darstellung in Anspruch genommen. Man verlangte von vorzüglichen Panto¬
mimen, daß sie bei der Darstellung des Achill die Person des Paris mit an¬
deuteten, bei der des Prometheus den Vulkan, bei Ganymed den Jupiter u. s. w.
Trotzdem vermag man kaum sich vorzustellen, auf welche Weise personenreiche
sujets z. B. der Kampf der Lapithen und Centauren und ähnliches dargestellt
worden ist. Natürlich wurde das Verständniß des Tanzes durch den begleiten¬
den Chorgesang unterstützt und vermittelt, doch der höchste Ehrgeiz der Virtuo¬
sen war, ihr stummes Spiel auch ohne diese Hilfe verständlich zu machen, und
nach mehren Anekdoten entwickelten sie hierin eine Kunst, von der wir auch
nicht einmal eine annähernde Vorstellung haben. Der berühmte cynische
Philosoph Demetrius soll sich einst über die Pantomimen geringschätzig ge¬
äußert haben, die, wie er meinte, ohne den Chor und die Musikbegleitung
nichts zu leisten vermöchten. Ein berühmter Tänzer, der ihn vom Gegentheil
zu überzeugen beschloß, tanzte hierauf vor ihm den Ehebruch des Mars und
der Venus ohne Gesang und Musik. Er drückte die Anzeige des Sonnen¬
gottes an den betrogenen Gemahl, die Nachstellung Vulcans und die List der
unsichtbaren Fesseln, die Scham der Venus, die Bitten des Mars, die sämmt¬
lichen andern von Vulkan herbeigerufenen Götter durch sein stummes Spiel
allein so vollkommen verständlich aus, daß der Philosoph bewundernd aus¬
rief: ich sehe nicht blos, was du spielst, ich höre es auch, du sprichst wahr¬
haft mit den Händen. Ausdrucksvolle und zugleich rhythmische Bewegungen
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