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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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vielleicht mit einem letzten Blick auf den Parthenon und jene Lanzenspitze der
nun machtlasen Göttin Athens, den Gifttod starb. Weiter hinab zeigt sich die
Südspitze der Insel Hydra und Troczem auf dem argolischen Vorgebirge,
über welche sich der Gipfel des Parnon in Lcckonien erhebt. Dann erscheint
mit seinen schonen Linien, mit bläulichen und rosenfarbenen Tinten Übergossen
Aegina, einst ein "Dorn im Auge" der Athener. Darüber ragen die selt¬
samen vulkanischen Bergspitzen von Methana und der Berg Arachne, einer
der Telegraphenposten, welche mit ihren Feuerzeichen den Fall Trojas den
Bewohnern des Peloponnes verkündigten. Von dort wendet sich das Auge
nach den Höhen von Salamis und nach der Meerenge, in welcher die glor¬
reiche Schlacht gewonnen wurde. Ueber der Senkung zwischen dem Festland
und der Insel dämmert der blaue Kegelberg, der die Trümmer von Akro-
korinth trägt. Dahinter starrt das schneegekrönte Felsharwt des mächtigen
Kyllene empor. Daneben zur Rechten wölbt sich über dem Isthmus der Berg
Gerania. Noch näher begegnen dem wandernden Blick die Kerata, an deren
Fuß Megara liegt, und neben denen der gewaltige Kithäron sich aufthürmt.
während mehr im Vordergründe zur Linken der Paß von Daphne erscheint,
durch den die heilige Straße nach Eleusis führte, und zur Rechten die tiefe
Schlucht von Phyle sichtbar wird, von wo Thrasybul seinen Befreiungszug gegen
die dreißig Tyrannen unternahm. Nach Norden schließt das Panorama mit
dem brcithingeschichteten. schluchtenreichen Parnes und der prächtigen Pyramide
des Pentelikon, auf deren Flanke ein weißer Fleck die Steinbrüche bezeichnet,
denen Perikles die Quadern zu den Propyläen und zum Parthenon entnahm.
In der Mitte der Ebne unter ihnen beglänzt die Sonne eine kleine weiße
Spitzsäule, die den Kolonoshügcl schmückt*) in dessen Nähe Sophokles geboren
wurde. Daneben grünt der Olivenwald, in dem Plato lehrte. Näher nach
der Stadt hin endlich liegt der Kerameikos, von dem einst der Zug der Pan-
athenäen sich nach diesem Tempel in Bewegung setzte.

Ich dachte mir ihn, den Blick auf ein Bild am.Friese gerichtet, wie er
mit Flötenschall und Lyraklang, mit rollenden Wagen und bäumenden Rossen
sich aus der Tiefe Heraufwand. Priester und Magistrate eröffnen die Procession,
Tempeldiener folgen mit bekränzten Opferthieren. 'Auserwählte Jungfrauen von
edlem Geschlecht, den Frauenbildern dort am Erechtheion ähnlich an Gestalt und
Zügen. tragen heilige Geräthe in Körben auf den geschmückten Häuptern.
Greise mit Oelzweigen in den Händen schließen sich an. Meester und Fremde
mit ihren Frauen und Töchtern begleiten die Bürger als Diener mit Sonnen¬
schirmen und Sesseln. Die ganze wehrhafte Mannschaft der Stadt und ihrer Nach¬
barschaft zieht in glänzendem Waffenschmuck auf, und die vornehme Jugend läßt



") Das Grabdenkmal Ottfried Müllers.

vielleicht mit einem letzten Blick auf den Parthenon und jene Lanzenspitze der
nun machtlasen Göttin Athens, den Gifttod starb. Weiter hinab zeigt sich die
Südspitze der Insel Hydra und Troczem auf dem argolischen Vorgebirge,
über welche sich der Gipfel des Parnon in Lcckonien erhebt. Dann erscheint
mit seinen schonen Linien, mit bläulichen und rosenfarbenen Tinten Übergossen
Aegina, einst ein „Dorn im Auge" der Athener. Darüber ragen die selt¬
samen vulkanischen Bergspitzen von Methana und der Berg Arachne, einer
der Telegraphenposten, welche mit ihren Feuerzeichen den Fall Trojas den
Bewohnern des Peloponnes verkündigten. Von dort wendet sich das Auge
nach den Höhen von Salamis und nach der Meerenge, in welcher die glor¬
reiche Schlacht gewonnen wurde. Ueber der Senkung zwischen dem Festland
und der Insel dämmert der blaue Kegelberg, der die Trümmer von Akro-
korinth trägt. Dahinter starrt das schneegekrönte Felsharwt des mächtigen
Kyllene empor. Daneben zur Rechten wölbt sich über dem Isthmus der Berg
Gerania. Noch näher begegnen dem wandernden Blick die Kerata, an deren
Fuß Megara liegt, und neben denen der gewaltige Kithäron sich aufthürmt.
während mehr im Vordergründe zur Linken der Paß von Daphne erscheint,
durch den die heilige Straße nach Eleusis führte, und zur Rechten die tiefe
Schlucht von Phyle sichtbar wird, von wo Thrasybul seinen Befreiungszug gegen
die dreißig Tyrannen unternahm. Nach Norden schließt das Panorama mit
dem brcithingeschichteten. schluchtenreichen Parnes und der prächtigen Pyramide
des Pentelikon, auf deren Flanke ein weißer Fleck die Steinbrüche bezeichnet,
denen Perikles die Quadern zu den Propyläen und zum Parthenon entnahm.
In der Mitte der Ebne unter ihnen beglänzt die Sonne eine kleine weiße
Spitzsäule, die den Kolonoshügcl schmückt*) in dessen Nähe Sophokles geboren
wurde. Daneben grünt der Olivenwald, in dem Plato lehrte. Näher nach
der Stadt hin endlich liegt der Kerameikos, von dem einst der Zug der Pan-
athenäen sich nach diesem Tempel in Bewegung setzte.

Ich dachte mir ihn, den Blick auf ein Bild am.Friese gerichtet, wie er
mit Flötenschall und Lyraklang, mit rollenden Wagen und bäumenden Rossen
sich aus der Tiefe Heraufwand. Priester und Magistrate eröffnen die Procession,
Tempeldiener folgen mit bekränzten Opferthieren. 'Auserwählte Jungfrauen von
edlem Geschlecht, den Frauenbildern dort am Erechtheion ähnlich an Gestalt und
Zügen. tragen heilige Geräthe in Körben auf den geschmückten Häuptern.
Greise mit Oelzweigen in den Händen schließen sich an. Meester und Fremde
mit ihren Frauen und Töchtern begleiten die Bürger als Diener mit Sonnen¬
schirmen und Sesseln. Die ganze wehrhafte Mannschaft der Stadt und ihrer Nach¬
barschaft zieht in glänzendem Waffenschmuck auf, und die vornehme Jugend läßt



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[0285] vielleicht mit einem letzten Blick auf den Parthenon und jene Lanzenspitze der nun machtlasen Göttin Athens, den Gifttod starb. Weiter hinab zeigt sich die Südspitze der Insel Hydra und Troczem auf dem argolischen Vorgebirge, über welche sich der Gipfel des Parnon in Lcckonien erhebt. Dann erscheint mit seinen schonen Linien, mit bläulichen und rosenfarbenen Tinten Übergossen Aegina, einst ein „Dorn im Auge" der Athener. Darüber ragen die selt¬ samen vulkanischen Bergspitzen von Methana und der Berg Arachne, einer der Telegraphenposten, welche mit ihren Feuerzeichen den Fall Trojas den Bewohnern des Peloponnes verkündigten. Von dort wendet sich das Auge nach den Höhen von Salamis und nach der Meerenge, in welcher die glor¬ reiche Schlacht gewonnen wurde. Ueber der Senkung zwischen dem Festland und der Insel dämmert der blaue Kegelberg, der die Trümmer von Akro- korinth trägt. Dahinter starrt das schneegekrönte Felsharwt des mächtigen Kyllene empor. Daneben zur Rechten wölbt sich über dem Isthmus der Berg Gerania. Noch näher begegnen dem wandernden Blick die Kerata, an deren Fuß Megara liegt, und neben denen der gewaltige Kithäron sich aufthürmt. während mehr im Vordergründe zur Linken der Paß von Daphne erscheint, durch den die heilige Straße nach Eleusis führte, und zur Rechten die tiefe Schlucht von Phyle sichtbar wird, von wo Thrasybul seinen Befreiungszug gegen die dreißig Tyrannen unternahm. Nach Norden schließt das Panorama mit dem brcithingeschichteten. schluchtenreichen Parnes und der prächtigen Pyramide des Pentelikon, auf deren Flanke ein weißer Fleck die Steinbrüche bezeichnet, denen Perikles die Quadern zu den Propyläen und zum Parthenon entnahm. In der Mitte der Ebne unter ihnen beglänzt die Sonne eine kleine weiße Spitzsäule, die den Kolonoshügcl schmückt*) in dessen Nähe Sophokles geboren wurde. Daneben grünt der Olivenwald, in dem Plato lehrte. Näher nach der Stadt hin endlich liegt der Kerameikos, von dem einst der Zug der Pan- athenäen sich nach diesem Tempel in Bewegung setzte. Ich dachte mir ihn, den Blick auf ein Bild am.Friese gerichtet, wie er mit Flötenschall und Lyraklang, mit rollenden Wagen und bäumenden Rossen sich aus der Tiefe Heraufwand. Priester und Magistrate eröffnen die Procession, Tempeldiener folgen mit bekränzten Opferthieren. 'Auserwählte Jungfrauen von edlem Geschlecht, den Frauenbildern dort am Erechtheion ähnlich an Gestalt und Zügen. tragen heilige Geräthe in Körben auf den geschmückten Häuptern. Greise mit Oelzweigen in den Händen schließen sich an. Meester und Fremde mit ihren Frauen und Töchtern begleiten die Bürger als Diener mit Sonnen¬ schirmen und Sesseln. Die ganze wehrhafte Mannschaft der Stadt und ihrer Nach¬ barschaft zieht in glänzendem Waffenschmuck auf, und die vornehme Jugend läßt ") Das Grabdenkmal Ottfried Müllers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/285>, abgerufen am 22.07.2024.