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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Die Höhe dieser mächtigen Säulen, von denen noch 32 stehen, beträgt 35, ihr
Durchmesser unten 6VsFuß. Sie erscheinen nicht so gedrückt und stehen nicht so nah
nebeneinander wie die des ältern dorischen Stils, auch ist die Ausladung ihres
Capitals nicht so wulstig wie bei jenen. Ohne den Charakter der Kraft und Wurde
zu verlieren, der jene ältere Kunstrichtung kennzeichnet, tragen sie frei und leicht
ihr wuchtiges, reichgeschmücktes Steingebälk. Wunderbar sein ist das Gefühl für
Schönheit, welches bei genauerer Betrachtung aus diesen Säulen spricht. Da
eine überall gleich dicke Säule bei schärferem Hinsehen in der Mitte
dünner erscheint, als sie in Wirklichkeit ist, so gab der alte Meister ihnen
hier, abgesehen von der Verjüngung nach obenhin, eine leichte An¬
schwellung, die grade hinreichte, um jene optische Täuschung auszugleichen.
Ferner sind die an den Ecken stehenden etwas stärker als die übrigen,
und die Entfernung zwischen ihnen und den nächsten ist etwas geringer
als die der übrigen untereinander. Endlich aber sind die Linien der Marmor-
grundflnche und ebenso die des Daches keine geraden, sondern haben eine,
allerdings kaum merkliche Biegung, die jedenfalls auch durch optische Rück¬
sichten geboten war. Diese Säulen bilden einen rings um die Cella, den
eigentlichen Tempel, laufenden Gang, dessen innere Seite an den Langseiten hin
die Reste der Quaderwaud der Cella, an den Querseiten je sechs innere Säulen
einfassen, die etwas kleiner als die äußern sind und mit diesen eine östliche
und eine westliche Vorhalle bilden. Der innere Raum war durch eine Quer¬
mauer, von der man noch einige Spuren bemerkt, in eine größere östliche
und eine kleinere westliche Hälfte geschieden. Jene, deren Decke von sechzehn
Säulen getragen wurde, war der Parthenon im engeren Sinne d. h. die
Wohnung der Göttin; diese, die Westhülfte, hatte nur vier Säulen und diente
zur Aufbewahrung des Staatsschatzes der Athener. Der Haupteingang des
Tempels im Osten ist bei der Umgestaltung desselben in eine christliche Kirche
vermauert worden. Trat man einst durch dieses östliche Portal ein, so ge¬
langte man in einen Raum, der, gerade hundert Fuß lang, das Hckatompedon
hieß. Auch in diesem erkennt man an Spuren auf dem noch vorhandenen
Fußboden, daß er in verschiedene Theile zerfiel. Jene Spuren bestehen in runden Lö¬
chern, welche auf Säulen schließen lassen, die. 20 an Zahl, am Rande eines etwas
tiefer liegenden länglichen Vierecks in der Mitte dieser Abtheilung des Tempels
standen und hier einen innersten Raum einschlossen. Dieser war das Par¬
thenon im engsten Sinne; denn hier erhob sich die große von Phidias aus
Gold und Elfenbein gefertigte Bildsäule der Athene Parthenos. Ueber den
zuletzt erwähnten Säulen befanden sich vermuthlich noch Galerien, aus denen
das in der Mitte zur Erhellung des Heiligthums offen gelassene Dach ruhte.
Ueber der östlichen und westlichen Vorhalle bildete das letztere Giebel, deren
Felder im Osten die Geburt der Athene, im Westen d^n Streit der Göttin


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Die Höhe dieser mächtigen Säulen, von denen noch 32 stehen, beträgt 35, ihr
Durchmesser unten 6VsFuß. Sie erscheinen nicht so gedrückt und stehen nicht so nah
nebeneinander wie die des ältern dorischen Stils, auch ist die Ausladung ihres
Capitals nicht so wulstig wie bei jenen. Ohne den Charakter der Kraft und Wurde
zu verlieren, der jene ältere Kunstrichtung kennzeichnet, tragen sie frei und leicht
ihr wuchtiges, reichgeschmücktes Steingebälk. Wunderbar sein ist das Gefühl für
Schönheit, welches bei genauerer Betrachtung aus diesen Säulen spricht. Da
eine überall gleich dicke Säule bei schärferem Hinsehen in der Mitte
dünner erscheint, als sie in Wirklichkeit ist, so gab der alte Meister ihnen
hier, abgesehen von der Verjüngung nach obenhin, eine leichte An¬
schwellung, die grade hinreichte, um jene optische Täuschung auszugleichen.
Ferner sind die an den Ecken stehenden etwas stärker als die übrigen,
und die Entfernung zwischen ihnen und den nächsten ist etwas geringer
als die der übrigen untereinander. Endlich aber sind die Linien der Marmor-
grundflnche und ebenso die des Daches keine geraden, sondern haben eine,
allerdings kaum merkliche Biegung, die jedenfalls auch durch optische Rück¬
sichten geboten war. Diese Säulen bilden einen rings um die Cella, den
eigentlichen Tempel, laufenden Gang, dessen innere Seite an den Langseiten hin
die Reste der Quaderwaud der Cella, an den Querseiten je sechs innere Säulen
einfassen, die etwas kleiner als die äußern sind und mit diesen eine östliche
und eine westliche Vorhalle bilden. Der innere Raum war durch eine Quer¬
mauer, von der man noch einige Spuren bemerkt, in eine größere östliche
und eine kleinere westliche Hälfte geschieden. Jene, deren Decke von sechzehn
Säulen getragen wurde, war der Parthenon im engeren Sinne d. h. die
Wohnung der Göttin; diese, die Westhülfte, hatte nur vier Säulen und diente
zur Aufbewahrung des Staatsschatzes der Athener. Der Haupteingang des
Tempels im Osten ist bei der Umgestaltung desselben in eine christliche Kirche
vermauert worden. Trat man einst durch dieses östliche Portal ein, so ge¬
langte man in einen Raum, der, gerade hundert Fuß lang, das Hckatompedon
hieß. Auch in diesem erkennt man an Spuren auf dem noch vorhandenen
Fußboden, daß er in verschiedene Theile zerfiel. Jene Spuren bestehen in runden Lö¬
chern, welche auf Säulen schließen lassen, die. 20 an Zahl, am Rande eines etwas
tiefer liegenden länglichen Vierecks in der Mitte dieser Abtheilung des Tempels
standen und hier einen innersten Raum einschlossen. Dieser war das Par¬
thenon im engsten Sinne; denn hier erhob sich die große von Phidias aus
Gold und Elfenbein gefertigte Bildsäule der Athene Parthenos. Ueber den
zuletzt erwähnten Säulen befanden sich vermuthlich noch Galerien, aus denen
das in der Mitte zur Erhellung des Heiligthums offen gelassene Dach ruhte.
Ueber der östlichen und westlichen Vorhalle bildete das letztere Giebel, deren
Felder im Osten die Geburt der Athene, im Westen d^n Streit der Göttin


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[0283] Die Höhe dieser mächtigen Säulen, von denen noch 32 stehen, beträgt 35, ihr Durchmesser unten 6VsFuß. Sie erscheinen nicht so gedrückt und stehen nicht so nah nebeneinander wie die des ältern dorischen Stils, auch ist die Ausladung ihres Capitals nicht so wulstig wie bei jenen. Ohne den Charakter der Kraft und Wurde zu verlieren, der jene ältere Kunstrichtung kennzeichnet, tragen sie frei und leicht ihr wuchtiges, reichgeschmücktes Steingebälk. Wunderbar sein ist das Gefühl für Schönheit, welches bei genauerer Betrachtung aus diesen Säulen spricht. Da eine überall gleich dicke Säule bei schärferem Hinsehen in der Mitte dünner erscheint, als sie in Wirklichkeit ist, so gab der alte Meister ihnen hier, abgesehen von der Verjüngung nach obenhin, eine leichte An¬ schwellung, die grade hinreichte, um jene optische Täuschung auszugleichen. Ferner sind die an den Ecken stehenden etwas stärker als die übrigen, und die Entfernung zwischen ihnen und den nächsten ist etwas geringer als die der übrigen untereinander. Endlich aber sind die Linien der Marmor- grundflnche und ebenso die des Daches keine geraden, sondern haben eine, allerdings kaum merkliche Biegung, die jedenfalls auch durch optische Rück¬ sichten geboten war. Diese Säulen bilden einen rings um die Cella, den eigentlichen Tempel, laufenden Gang, dessen innere Seite an den Langseiten hin die Reste der Quaderwaud der Cella, an den Querseiten je sechs innere Säulen einfassen, die etwas kleiner als die äußern sind und mit diesen eine östliche und eine westliche Vorhalle bilden. Der innere Raum war durch eine Quer¬ mauer, von der man noch einige Spuren bemerkt, in eine größere östliche und eine kleinere westliche Hälfte geschieden. Jene, deren Decke von sechzehn Säulen getragen wurde, war der Parthenon im engeren Sinne d. h. die Wohnung der Göttin; diese, die Westhülfte, hatte nur vier Säulen und diente zur Aufbewahrung des Staatsschatzes der Athener. Der Haupteingang des Tempels im Osten ist bei der Umgestaltung desselben in eine christliche Kirche vermauert worden. Trat man einst durch dieses östliche Portal ein, so ge¬ langte man in einen Raum, der, gerade hundert Fuß lang, das Hckatompedon hieß. Auch in diesem erkennt man an Spuren auf dem noch vorhandenen Fußboden, daß er in verschiedene Theile zerfiel. Jene Spuren bestehen in runden Lö¬ chern, welche auf Säulen schließen lassen, die. 20 an Zahl, am Rande eines etwas tiefer liegenden länglichen Vierecks in der Mitte dieser Abtheilung des Tempels standen und hier einen innersten Raum einschlossen. Dieser war das Par¬ thenon im engsten Sinne; denn hier erhob sich die große von Phidias aus Gold und Elfenbein gefertigte Bildsäule der Athene Parthenos. Ueber den zuletzt erwähnten Säulen befanden sich vermuthlich noch Galerien, aus denen das in der Mitte zur Erhellung des Heiligthums offen gelassene Dach ruhte. Ueber der östlichen und westlichen Vorhalle bildete das letztere Giebel, deren Felder im Osten die Geburt der Athene, im Westen d^n Streit der Göttin 35*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/283>, abgerufen am 23.07.2024.