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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Innere zu begleiten, ihnen wenigstens in einiger Entfernung zu folgen, ver¬
muthlich um zu verhüten, daß Beschädigungen und Diebstühle vorkommen.
Es stört dieses Mißtrauen, daß einem allenthalben durch die Ruinen nach¬
schleicht. Allein es ist gerechtfertigt; denn sonst bliebe keine Platte unbesudelt
von den englischen Kiselacks, und Parthenon und Erechtheion, Propyläen und
Niketempel liefen Gefahr, von diesen Tröpfen zu Briefbeschwerern zerkleinert zu
werden. Jsts doch genug an dem großen Raube Lord Elgins, und wird doch
selbst bei der jetzigen Aufsicht noch manches gestohlen. Durch einen dritten
Thorweg tritt man auf die halbe Höhe der großen Freitreppe hinaus, deren
untere Hälfte, 1853 von dem sie bis dahin bedeckenden Schutt befreit, Stufen
zeigt, die über die ganze Breite zwischen den Umfassungsmauern hinlaufen,
während die größere obere in der Mitte einen stufenlosen Raum für Wagen
freiläßt und so sich in zwei Treppen theilt. Das Material ist gleich dem des
ganzen übrigen Architekturschmucks der Mropolis weißer, mit einem leichten
Nostanflug überzogener Marmor.

Von der großen Treppe steigt man rechts auf fünf kleinen Stufen nach
einem bastionsartigen Vorsprung, auf dem ein winziges Tempelchen steht,
das neben dem mächtigen Bau der Propyläen wie ein Kind neben der Mutter
aussieht. Es ist aber älter als jene; denn man hat in ihm das von Ki-
mon kurz nach den Perserkriegen erbaute Heiligthum der ungeflügelten Sieges¬
göttin erkannt. Eine Bombe Morosinis zerstörte es vollständig, aber andert¬
halb Jahrhunderte später wurde es von kunstverständigen Händen mit Be¬
nutzung der Beschreibungen von Reisenden, die es unzertrümmert gesehen,
aus den umhergestreuten Bruchstücken wieder zusammengesetzt. Das Tempel¬
chen ist ein Muster von Ebenmaß und Zierlichkeit. Gegen Osten und gegen
Westen hat es eine Vorhalle von je vier schlanken jonischen Säulen. Unter
dem Dache läuft ein Fries mit stark verstümmelten Relieffigmen hin, deren Be¬
deutung sich nur noch vermuthen läßt. Die Gestalten über dem Eingang
scheinen Athmen in einer Versammlung von Göttern und Heroen, die hoseu-
tragenden Kämpfer zu Fuß und zu Roß an der Süd- und Nordseite Perser
der Schlachten bei Marathon und Platäa vorzustellen.

Dem Niketempel gegenüber, auf dem Vorsprung, der im Norden die Frei¬
treppe überragt, steht ein wohlgefügtes Piedestal, auf dem sich einst die Reiter-
statue erhob, mit welcher Athen den Marcus Vipsanius Agrippa als Wohl¬
thäter der Stadt ehrte.

Die Propyläen, die man, vom Niketempel wieder hinabsteigend, in
nächster Nähe vor sich hat, gliederten sich einst in drei Theile, in der Mitte
war die große doppelte Eingangshalle, rechts und links sprangen Flügel nach
Westen vor. Von diesen Flügeln ist nur der zur Linken (in Norden) befind¬
liche noch sichtbar, der andere ist in den Thurm verbaut, mit dem die frau-


Innere zu begleiten, ihnen wenigstens in einiger Entfernung zu folgen, ver¬
muthlich um zu verhüten, daß Beschädigungen und Diebstühle vorkommen.
Es stört dieses Mißtrauen, daß einem allenthalben durch die Ruinen nach¬
schleicht. Allein es ist gerechtfertigt; denn sonst bliebe keine Platte unbesudelt
von den englischen Kiselacks, und Parthenon und Erechtheion, Propyläen und
Niketempel liefen Gefahr, von diesen Tröpfen zu Briefbeschwerern zerkleinert zu
werden. Jsts doch genug an dem großen Raube Lord Elgins, und wird doch
selbst bei der jetzigen Aufsicht noch manches gestohlen. Durch einen dritten
Thorweg tritt man auf die halbe Höhe der großen Freitreppe hinaus, deren
untere Hälfte, 1853 von dem sie bis dahin bedeckenden Schutt befreit, Stufen
zeigt, die über die ganze Breite zwischen den Umfassungsmauern hinlaufen,
während die größere obere in der Mitte einen stufenlosen Raum für Wagen
freiläßt und so sich in zwei Treppen theilt. Das Material ist gleich dem des
ganzen übrigen Architekturschmucks der Mropolis weißer, mit einem leichten
Nostanflug überzogener Marmor.

Von der großen Treppe steigt man rechts auf fünf kleinen Stufen nach
einem bastionsartigen Vorsprung, auf dem ein winziges Tempelchen steht,
das neben dem mächtigen Bau der Propyläen wie ein Kind neben der Mutter
aussieht. Es ist aber älter als jene; denn man hat in ihm das von Ki-
mon kurz nach den Perserkriegen erbaute Heiligthum der ungeflügelten Sieges¬
göttin erkannt. Eine Bombe Morosinis zerstörte es vollständig, aber andert¬
halb Jahrhunderte später wurde es von kunstverständigen Händen mit Be¬
nutzung der Beschreibungen von Reisenden, die es unzertrümmert gesehen,
aus den umhergestreuten Bruchstücken wieder zusammengesetzt. Das Tempel¬
chen ist ein Muster von Ebenmaß und Zierlichkeit. Gegen Osten und gegen
Westen hat es eine Vorhalle von je vier schlanken jonischen Säulen. Unter
dem Dache läuft ein Fries mit stark verstümmelten Relieffigmen hin, deren Be¬
deutung sich nur noch vermuthen läßt. Die Gestalten über dem Eingang
scheinen Athmen in einer Versammlung von Göttern und Heroen, die hoseu-
tragenden Kämpfer zu Fuß und zu Roß an der Süd- und Nordseite Perser
der Schlachten bei Marathon und Platäa vorzustellen.

Dem Niketempel gegenüber, auf dem Vorsprung, der im Norden die Frei¬
treppe überragt, steht ein wohlgefügtes Piedestal, auf dem sich einst die Reiter-
statue erhob, mit welcher Athen den Marcus Vipsanius Agrippa als Wohl¬
thäter der Stadt ehrte.

Die Propyläen, die man, vom Niketempel wieder hinabsteigend, in
nächster Nähe vor sich hat, gliederten sich einst in drei Theile, in der Mitte
war die große doppelte Eingangshalle, rechts und links sprangen Flügel nach
Westen vor. Von diesen Flügeln ist nur der zur Linken (in Norden) befind¬
liche noch sichtbar, der andere ist in den Thurm verbaut, mit dem die frau-


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[0279] Innere zu begleiten, ihnen wenigstens in einiger Entfernung zu folgen, ver¬ muthlich um zu verhüten, daß Beschädigungen und Diebstühle vorkommen. Es stört dieses Mißtrauen, daß einem allenthalben durch die Ruinen nach¬ schleicht. Allein es ist gerechtfertigt; denn sonst bliebe keine Platte unbesudelt von den englischen Kiselacks, und Parthenon und Erechtheion, Propyläen und Niketempel liefen Gefahr, von diesen Tröpfen zu Briefbeschwerern zerkleinert zu werden. Jsts doch genug an dem großen Raube Lord Elgins, und wird doch selbst bei der jetzigen Aufsicht noch manches gestohlen. Durch einen dritten Thorweg tritt man auf die halbe Höhe der großen Freitreppe hinaus, deren untere Hälfte, 1853 von dem sie bis dahin bedeckenden Schutt befreit, Stufen zeigt, die über die ganze Breite zwischen den Umfassungsmauern hinlaufen, während die größere obere in der Mitte einen stufenlosen Raum für Wagen freiläßt und so sich in zwei Treppen theilt. Das Material ist gleich dem des ganzen übrigen Architekturschmucks der Mropolis weißer, mit einem leichten Nostanflug überzogener Marmor. Von der großen Treppe steigt man rechts auf fünf kleinen Stufen nach einem bastionsartigen Vorsprung, auf dem ein winziges Tempelchen steht, das neben dem mächtigen Bau der Propyläen wie ein Kind neben der Mutter aussieht. Es ist aber älter als jene; denn man hat in ihm das von Ki- mon kurz nach den Perserkriegen erbaute Heiligthum der ungeflügelten Sieges¬ göttin erkannt. Eine Bombe Morosinis zerstörte es vollständig, aber andert¬ halb Jahrhunderte später wurde es von kunstverständigen Händen mit Be¬ nutzung der Beschreibungen von Reisenden, die es unzertrümmert gesehen, aus den umhergestreuten Bruchstücken wieder zusammengesetzt. Das Tempel¬ chen ist ein Muster von Ebenmaß und Zierlichkeit. Gegen Osten und gegen Westen hat es eine Vorhalle von je vier schlanken jonischen Säulen. Unter dem Dache läuft ein Fries mit stark verstümmelten Relieffigmen hin, deren Be¬ deutung sich nur noch vermuthen läßt. Die Gestalten über dem Eingang scheinen Athmen in einer Versammlung von Göttern und Heroen, die hoseu- tragenden Kämpfer zu Fuß und zu Roß an der Süd- und Nordseite Perser der Schlachten bei Marathon und Platäa vorzustellen. Dem Niketempel gegenüber, auf dem Vorsprung, der im Norden die Frei¬ treppe überragt, steht ein wohlgefügtes Piedestal, auf dem sich einst die Reiter- statue erhob, mit welcher Athen den Marcus Vipsanius Agrippa als Wohl¬ thäter der Stadt ehrte. Die Propyläen, die man, vom Niketempel wieder hinabsteigend, in nächster Nähe vor sich hat, gliederten sich einst in drei Theile, in der Mitte war die große doppelte Eingangshalle, rechts und links sprangen Flügel nach Westen vor. Von diesen Flügeln ist nur der zur Linken (in Norden) befind¬ liche noch sichtbar, der andere ist in den Thurm verbaut, mit dem die frau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/279>, abgerufen am 22.07.2024.