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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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athenäen durch seine weißen Marmorsäulen wie durch einen Triumphbogen alle
unsre Erinnerungen an die göttliche Menschheit wallen, die einst hier der
Schönheit und Weisheit opferte. Sophokleische Chorgesänge klingen uns durch
die Seele, und wir verstehen ihre Maße jetzt wie nie zuvor. Von der Rednerbühne
der Pnyx tönt die Stimme des Perikles, des Demosthenes herüber. Aus der
fernen Bucht von Salamis braust lauter als das Meer das siegfreudige Lied der
Perserfchlacht. In Gruppen schweben, nicht mehr als Schatten, wie sie uns aus
Schulbüchern aufstiegen, sondern deutlich, wie Bilder auf Goldgrund, die Helden
der homerischen Epen, die Gestalten der Oedipustragödien und die Genossen
von Platos Gastmahl an uns vorbei. Sämmtlich Verwandte unter sich.
Verwandte zugleich der Säulen droben, in denen Phidias in Stein schuf, was
die Dichter und Denker in Worten bildeten, sind sie die Gemeinde in dem
Gotteshause, in dem wir uns hier aus der Höhe fühlen. Wir sehen sie gehen,
sehen andere kommen von gleich anmuthiger oder würdevoller Herrlichkeit;
sie steigen auf über den Giebel des Parthenon und treten droben, um die
Gestalt der Göttin geschart, zu einem großen Altarbilde seliger Menschen, zu
einem Olymp leuchtender Ideale zusammen.

Wir müssen drunten bleiben, so sehr es uns hineinzieht. Aber wie klein
wir uns fühlen und wie sehr die Sehnsucht brennt, wer freute sich nicht der
Stunde, die ihn hier im Geiste schauen läßt, was kein Ort in Griechenland,
kein Ort auf Erden mit so brennenden Farben und in so entzückenden Lichte
zeigt, als diese Stelle im Angesicht des Propyläenbaus.

Die. große Freitreppe, die nach der Säulenhalle hinausführt, ist jetzt zum
Theil durch eine Mauer verdeckt, welche wahrscheinlich erst im Mittelalter er¬
baut wurde, und in der sich zwischen zwei thurmartigen Vorsprüngen ein hohes,
nach oben sich verjüngendes Thor öffnet. Dieses Thor schließt ein Eisengitter,
das nur bet besonderer Veranlassung aufgeschlossen wird, Der gewöhnliche
Eingang ist einige Schritte weiter rechts durch einen tiefen gewölbten Festungs¬
thorweg, durch den man in eine Art Vorhof gelangt, den auf der linken
Seite Gemäuer überragt, während er rechts in die Tiefe des Odeons des
Herodes hinabblicken läßt, eines in den Felsen gehauenen Amphitheaters,
dessen Stufensitze man während meines Besuchs eben vom Schutt befreite.
Wendet man sich nach dein Thorweg um, so bemerkt man über demselben ein
schönes altes Architravstück. in das eine türkische Inschrift eingemeißelt ist.
Weiter hinauf führt ein zweiter Thorweg in den Hof, in welchem die Veteranen
wohnen, die mit der Bewachung der Akropolis beauftragt sind. Man soll,
um Eintritt zu haben, eine Erlaubnißkarte von Pittakis, dem Conservator
der hiesigen Alterthümer vorzeig'en. Die alten Kriegsleute sind indeß gutmü¬
thig genug, Fremde auch ohne Karte einzulassen, selbstverständlich in Erwar¬
tung eines kleinen Geschenkes. Sie sind ferner angewiesen, die Besucher in das


athenäen durch seine weißen Marmorsäulen wie durch einen Triumphbogen alle
unsre Erinnerungen an die göttliche Menschheit wallen, die einst hier der
Schönheit und Weisheit opferte. Sophokleische Chorgesänge klingen uns durch
die Seele, und wir verstehen ihre Maße jetzt wie nie zuvor. Von der Rednerbühne
der Pnyx tönt die Stimme des Perikles, des Demosthenes herüber. Aus der
fernen Bucht von Salamis braust lauter als das Meer das siegfreudige Lied der
Perserfchlacht. In Gruppen schweben, nicht mehr als Schatten, wie sie uns aus
Schulbüchern aufstiegen, sondern deutlich, wie Bilder auf Goldgrund, die Helden
der homerischen Epen, die Gestalten der Oedipustragödien und die Genossen
von Platos Gastmahl an uns vorbei. Sämmtlich Verwandte unter sich.
Verwandte zugleich der Säulen droben, in denen Phidias in Stein schuf, was
die Dichter und Denker in Worten bildeten, sind sie die Gemeinde in dem
Gotteshause, in dem wir uns hier aus der Höhe fühlen. Wir sehen sie gehen,
sehen andere kommen von gleich anmuthiger oder würdevoller Herrlichkeit;
sie steigen auf über den Giebel des Parthenon und treten droben, um die
Gestalt der Göttin geschart, zu einem großen Altarbilde seliger Menschen, zu
einem Olymp leuchtender Ideale zusammen.

Wir müssen drunten bleiben, so sehr es uns hineinzieht. Aber wie klein
wir uns fühlen und wie sehr die Sehnsucht brennt, wer freute sich nicht der
Stunde, die ihn hier im Geiste schauen läßt, was kein Ort in Griechenland,
kein Ort auf Erden mit so brennenden Farben und in so entzückenden Lichte
zeigt, als diese Stelle im Angesicht des Propyläenbaus.

Die. große Freitreppe, die nach der Säulenhalle hinausführt, ist jetzt zum
Theil durch eine Mauer verdeckt, welche wahrscheinlich erst im Mittelalter er¬
baut wurde, und in der sich zwischen zwei thurmartigen Vorsprüngen ein hohes,
nach oben sich verjüngendes Thor öffnet. Dieses Thor schließt ein Eisengitter,
das nur bet besonderer Veranlassung aufgeschlossen wird, Der gewöhnliche
Eingang ist einige Schritte weiter rechts durch einen tiefen gewölbten Festungs¬
thorweg, durch den man in eine Art Vorhof gelangt, den auf der linken
Seite Gemäuer überragt, während er rechts in die Tiefe des Odeons des
Herodes hinabblicken läßt, eines in den Felsen gehauenen Amphitheaters,
dessen Stufensitze man während meines Besuchs eben vom Schutt befreite.
Wendet man sich nach dein Thorweg um, so bemerkt man über demselben ein
schönes altes Architravstück. in das eine türkische Inschrift eingemeißelt ist.
Weiter hinauf führt ein zweiter Thorweg in den Hof, in welchem die Veteranen
wohnen, die mit der Bewachung der Akropolis beauftragt sind. Man soll,
um Eintritt zu haben, eine Erlaubnißkarte von Pittakis, dem Conservator
der hiesigen Alterthümer vorzeig'en. Die alten Kriegsleute sind indeß gutmü¬
thig genug, Fremde auch ohne Karte einzulassen, selbstverständlich in Erwar¬
tung eines kleinen Geschenkes. Sie sind ferner angewiesen, die Besucher in das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/278>, abgerufen am 22.07.2024.