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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wegen Bcrcithaltung der Bundcscontingente, das in vielen Staaten auch auf
die Militärrefervisten ausgedehnte Auswanderungsverbot, die wahrhaft grauen¬
erregender Berichte über die Noth der Eingewanderten in Nordamerika und
die detailler Gesetze der Union vom Mai 1354 Einiges zur Erläuterung
dieser Erscheinung beitragen. 1856 nahm dann die Auswanderung aus West-
und Südwestdeutschland so sehr ab, daß dort sogar viele Agenturen ihre Con¬
cessionen aufgaben, während manche Bcförderungsgelcgenheiten sür Aus¬
wanderer ihre Thätigkeit auf ein Minimum reducirten, oder in der zweiten
Jahreshälfte ganz einstellten. Unterdessen dauerte dagegen der Abzug aus
den (östlichen) alt- und neupreußischen Ackerbauprovinzen, so wie aus dem
preußischen Sachsen in abermals verstärktem Maße fort, auch erschienen starke
Züge aus den bisher von der Auswanderung wenig berührten Friesenlanden
und aus den fast ganz unberührt gebliebenen Herzogthümern Schleswig und
Holstein. Ferner sendeten Böhmen, Mähren, Steiermark, namentlich Tirol
einerseits, andererseits die altbairischen Provinzen ganz unerwartet starke Scharen.
Dennoch beförderten Bremen und Hamburg in diesem Jahre immer noch blos
etwa 64,000 Passagiere und 1857 scheinen auch (Tirol ausgenommen) die
letztgenannten östreichischen und altbairischen Provinzen wieder einigermaßen
pausirt zu haben. Um so mehr muß aber die norddeutsche (ost- und westpreu¬
ßische, preußisch-sächsische, märkische und schlesische) Auswanderung angewachsen
sein. da die Gesammtsumme der Beförderten in Bremen und Hamburg
80,000 überstieg, während über Mannheim und Kehl kaum 4000 fortgingen
und die badisch-würtenbergische Auswanderung in der zweiten Jahreshälfte
sich nahezu ^auf Null reducirte. Bremen und Hamburg nebst Antwerpen
und Havre beförderten ungefähr 123,000 Menschen, wovon etwa 43,000
auf die beiden letztgenannten Häfen kommen. Ziemlich in derselben Weise
scheint sich auch die Auswanderung des laufenden Jahres zu gestalten; nur
daß das würtemberger Contingent (namentlich aus der Gegend von Tübingen,
Urach, Reutlingen) wieder etwas anwächst, während aus Baden blos der
Seekreis einen etwa nennenswerthen Beitrag liefert.

Ist es nun für die blos auf journalistische Notizen gewiesene Privat¬
beobachtung überhaupt schwierig genug, der deutschen Auswanderungsbcwe-
gung in ihre wechselnden Quellgebiete zu folgen, so hat sich diese Schwierig¬
keit überdies in den letzten Jahren vermehrt. Denn auffallenderweise sind
grade seit dem Momente, da die Auswanderung hoffen durfte, unter die ge¬
meinsamen deutschen Angelegenheiten aufgenommen zu werden, die früher
schon äußerst lückenhaften und oberflächlichen statistischen Notizen darüber in
der "gutunterrichteten" Tagespresse noch beiläufiger und seltener geworden.
Vielleicht ist dies blos ein Zufall. Dagegen begegnet man grade seit der
Mette der fünfziger J^hre in der unabhängigen Journalistik und im Privat-


wegen Bcrcithaltung der Bundcscontingente, das in vielen Staaten auch auf
die Militärrefervisten ausgedehnte Auswanderungsverbot, die wahrhaft grauen¬
erregender Berichte über die Noth der Eingewanderten in Nordamerika und
die detailler Gesetze der Union vom Mai 1354 Einiges zur Erläuterung
dieser Erscheinung beitragen. 1856 nahm dann die Auswanderung aus West-
und Südwestdeutschland so sehr ab, daß dort sogar viele Agenturen ihre Con¬
cessionen aufgaben, während manche Bcförderungsgelcgenheiten sür Aus¬
wanderer ihre Thätigkeit auf ein Minimum reducirten, oder in der zweiten
Jahreshälfte ganz einstellten. Unterdessen dauerte dagegen der Abzug aus
den (östlichen) alt- und neupreußischen Ackerbauprovinzen, so wie aus dem
preußischen Sachsen in abermals verstärktem Maße fort, auch erschienen starke
Züge aus den bisher von der Auswanderung wenig berührten Friesenlanden
und aus den fast ganz unberührt gebliebenen Herzogthümern Schleswig und
Holstein. Ferner sendeten Böhmen, Mähren, Steiermark, namentlich Tirol
einerseits, andererseits die altbairischen Provinzen ganz unerwartet starke Scharen.
Dennoch beförderten Bremen und Hamburg in diesem Jahre immer noch blos
etwa 64,000 Passagiere und 1857 scheinen auch (Tirol ausgenommen) die
letztgenannten östreichischen und altbairischen Provinzen wieder einigermaßen
pausirt zu haben. Um so mehr muß aber die norddeutsche (ost- und westpreu¬
ßische, preußisch-sächsische, märkische und schlesische) Auswanderung angewachsen
sein. da die Gesammtsumme der Beförderten in Bremen und Hamburg
80,000 überstieg, während über Mannheim und Kehl kaum 4000 fortgingen
und die badisch-würtenbergische Auswanderung in der zweiten Jahreshälfte
sich nahezu ^auf Null reducirte. Bremen und Hamburg nebst Antwerpen
und Havre beförderten ungefähr 123,000 Menschen, wovon etwa 43,000
auf die beiden letztgenannten Häfen kommen. Ziemlich in derselben Weise
scheint sich auch die Auswanderung des laufenden Jahres zu gestalten; nur
daß das würtemberger Contingent (namentlich aus der Gegend von Tübingen,
Urach, Reutlingen) wieder etwas anwächst, während aus Baden blos der
Seekreis einen etwa nennenswerthen Beitrag liefert.

Ist es nun für die blos auf journalistische Notizen gewiesene Privat¬
beobachtung überhaupt schwierig genug, der deutschen Auswanderungsbcwe-
gung in ihre wechselnden Quellgebiete zu folgen, so hat sich diese Schwierig¬
keit überdies in den letzten Jahren vermehrt. Denn auffallenderweise sind
grade seit dem Momente, da die Auswanderung hoffen durfte, unter die ge¬
meinsamen deutschen Angelegenheiten aufgenommen zu werden, die früher
schon äußerst lückenhaften und oberflächlichen statistischen Notizen darüber in
der „gutunterrichteten" Tagespresse noch beiläufiger und seltener geworden.
Vielleicht ist dies blos ein Zufall. Dagegen begegnet man grade seit der
Mette der fünfziger J^hre in der unabhängigen Journalistik und im Privat-


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[0274] wegen Bcrcithaltung der Bundcscontingente, das in vielen Staaten auch auf die Militärrefervisten ausgedehnte Auswanderungsverbot, die wahrhaft grauen¬ erregender Berichte über die Noth der Eingewanderten in Nordamerika und die detailler Gesetze der Union vom Mai 1354 Einiges zur Erläuterung dieser Erscheinung beitragen. 1856 nahm dann die Auswanderung aus West- und Südwestdeutschland so sehr ab, daß dort sogar viele Agenturen ihre Con¬ cessionen aufgaben, während manche Bcförderungsgelcgenheiten sür Aus¬ wanderer ihre Thätigkeit auf ein Minimum reducirten, oder in der zweiten Jahreshälfte ganz einstellten. Unterdessen dauerte dagegen der Abzug aus den (östlichen) alt- und neupreußischen Ackerbauprovinzen, so wie aus dem preußischen Sachsen in abermals verstärktem Maße fort, auch erschienen starke Züge aus den bisher von der Auswanderung wenig berührten Friesenlanden und aus den fast ganz unberührt gebliebenen Herzogthümern Schleswig und Holstein. Ferner sendeten Böhmen, Mähren, Steiermark, namentlich Tirol einerseits, andererseits die altbairischen Provinzen ganz unerwartet starke Scharen. Dennoch beförderten Bremen und Hamburg in diesem Jahre immer noch blos etwa 64,000 Passagiere und 1857 scheinen auch (Tirol ausgenommen) die letztgenannten östreichischen und altbairischen Provinzen wieder einigermaßen pausirt zu haben. Um so mehr muß aber die norddeutsche (ost- und westpreu¬ ßische, preußisch-sächsische, märkische und schlesische) Auswanderung angewachsen sein. da die Gesammtsumme der Beförderten in Bremen und Hamburg 80,000 überstieg, während über Mannheim und Kehl kaum 4000 fortgingen und die badisch-würtenbergische Auswanderung in der zweiten Jahreshälfte sich nahezu ^auf Null reducirte. Bremen und Hamburg nebst Antwerpen und Havre beförderten ungefähr 123,000 Menschen, wovon etwa 43,000 auf die beiden letztgenannten Häfen kommen. Ziemlich in derselben Weise scheint sich auch die Auswanderung des laufenden Jahres zu gestalten; nur daß das würtemberger Contingent (namentlich aus der Gegend von Tübingen, Urach, Reutlingen) wieder etwas anwächst, während aus Baden blos der Seekreis einen etwa nennenswerthen Beitrag liefert. Ist es nun für die blos auf journalistische Notizen gewiesene Privat¬ beobachtung überhaupt schwierig genug, der deutschen Auswanderungsbcwe- gung in ihre wechselnden Quellgebiete zu folgen, so hat sich diese Schwierig¬ keit überdies in den letzten Jahren vermehrt. Denn auffallenderweise sind grade seit dem Momente, da die Auswanderung hoffen durfte, unter die ge¬ meinsamen deutschen Angelegenheiten aufgenommen zu werden, die früher schon äußerst lückenhaften und oberflächlichen statistischen Notizen darüber in der „gutunterrichteten" Tagespresse noch beiläufiger und seltener geworden. Vielleicht ist dies blos ein Zufall. Dagegen begegnet man grade seit der Mette der fünfziger J^hre in der unabhängigen Journalistik und im Privat-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/274>, abgerufen am 23.07.2024.