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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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die dereinstige Beschützung der Auswanderer in den dereinst zu bestimmenden
Ländern, wohin man eventuell die Auswanderung zu lenken gedenkt, doch auch
durchschimmern, daß ihnen keine besonders anderen Mittel sür diesen Zweck
vorschwebten, als die bereits von der deutschen Centralgewalt formulirten. Da¬
gegen soll gegenwärtig in denjenigen Beziehungen, sür welche der Schlußantrag
des Ausschußberichts sofortige Maßnahmen anempfiehlt, den Agenten (obgleich
dieselben blos concessionirt. nicht von der Regierung angestellt, also auch nicht
entsprechend überwacht sind) in Bezug auf die Auswanderer einerseits eine
Polizeigewalt übertragen, andererseits eine Verantwortlichkeit auferlegt werden,
welche in der That alles Maß übersteigt. Solchen Pflichten und Verflichtungen
müßte doch jedenfalls auch principiell ein Aequivalent von Rechten beigegeben
werden, da in der Praxis deren Uebung von selbst einträte, um den Ver¬
pflichtungen genügen zu können. Wenn nun dafür keine Grenze gezogen ist,
so müßten sie sehr bald in Willkürlichkeiten der Agenten gegen die Auswanderer
übergehen. Freilich könnten die Auswanderer dagegen Klage erheben. Aber
wer wagt überhaupt in Deutschland gern gegen discretionäre Polizeiübung
zu klagen? Bekommt er auch Recht, so haftet es auf ihm dennoch wie ein
Makel der "Auflehnung gegen die Obrigkeit", und er kann ganz sicher sein,
künftighin von der verklagten Polizei nur noch mehr incommodirt zu werden.
Haken dafür finden sich in jeder Lebensäußerung des deutschen Staatsbürgers.
Soll sich nun aber der Auswanderer noch im letzten Augenblick seines Aufent¬
halts im Vaterlande mit gerichtlichen Klagen gegen den Mißbrauch der poli¬
zeilichen Gewalt des Auswanderungsagenten herumschlagen? Vielleicht gar.
nachdem er bereits aus dem Staats- und Heimathsverband, also in die un-
vortheilhaste Stellung eines "Ausländers" getreten ist? Soll er für solche Klagen
noch einen Theil des vielleicht mühselig zusammengebrachten, auf Heller und
Pfennig berechneten Reisegeldes verwenden? Sicherlich müßten die Uebergriffe
schon einen sehr hohen Grad erreicht haben, ehe sie nur zur Kenntniß der
Behörden kämen. Und würde der Agent nicht in neunzig Fällen unter hundert
nachzuweisen vermögen, daß er nur im Interesse der peinlichen Erfüllung seiner
polizeilichen Verpflichtung gehandelt habe? Auf der andern Seite aber geben --
wovon man von der Erfahrung belehrt sein sollte -- so bedeutende Com-
petenzen grade in der Hand von Privatpersonen dieser die besten Mittel an
die Hand, alle polizeilichen Vorsichtsmaßregeln des Staates illusorisch zu machen,
so sehr man auch überwacht. Wie bei allen Uebertreibungen des Paß- und
Legitimationswesens, so behelligten derartige Hemmungen, Beschwerlichkeiten
und Unannehmlichkeiten schließlich blos den ehrlichen und unbefangenen Aus¬
wanderer und Agenten. Wer betrügen will, dem sind die Schleichwege sicher-
lich.weder unbekannt noch verschlossen. Man steht hinsichtlich des Auswanderungs¬
wesens in diesen Beziehungen vor einem Entweder -- Oder. Entweder muß


die dereinstige Beschützung der Auswanderer in den dereinst zu bestimmenden
Ländern, wohin man eventuell die Auswanderung zu lenken gedenkt, doch auch
durchschimmern, daß ihnen keine besonders anderen Mittel sür diesen Zweck
vorschwebten, als die bereits von der deutschen Centralgewalt formulirten. Da¬
gegen soll gegenwärtig in denjenigen Beziehungen, sür welche der Schlußantrag
des Ausschußberichts sofortige Maßnahmen anempfiehlt, den Agenten (obgleich
dieselben blos concessionirt. nicht von der Regierung angestellt, also auch nicht
entsprechend überwacht sind) in Bezug auf die Auswanderer einerseits eine
Polizeigewalt übertragen, andererseits eine Verantwortlichkeit auferlegt werden,
welche in der That alles Maß übersteigt. Solchen Pflichten und Verflichtungen
müßte doch jedenfalls auch principiell ein Aequivalent von Rechten beigegeben
werden, da in der Praxis deren Uebung von selbst einträte, um den Ver¬
pflichtungen genügen zu können. Wenn nun dafür keine Grenze gezogen ist,
so müßten sie sehr bald in Willkürlichkeiten der Agenten gegen die Auswanderer
übergehen. Freilich könnten die Auswanderer dagegen Klage erheben. Aber
wer wagt überhaupt in Deutschland gern gegen discretionäre Polizeiübung
zu klagen? Bekommt er auch Recht, so haftet es auf ihm dennoch wie ein
Makel der „Auflehnung gegen die Obrigkeit", und er kann ganz sicher sein,
künftighin von der verklagten Polizei nur noch mehr incommodirt zu werden.
Haken dafür finden sich in jeder Lebensäußerung des deutschen Staatsbürgers.
Soll sich nun aber der Auswanderer noch im letzten Augenblick seines Aufent¬
halts im Vaterlande mit gerichtlichen Klagen gegen den Mißbrauch der poli¬
zeilichen Gewalt des Auswanderungsagenten herumschlagen? Vielleicht gar.
nachdem er bereits aus dem Staats- und Heimathsverband, also in die un-
vortheilhaste Stellung eines „Ausländers" getreten ist? Soll er für solche Klagen
noch einen Theil des vielleicht mühselig zusammengebrachten, auf Heller und
Pfennig berechneten Reisegeldes verwenden? Sicherlich müßten die Uebergriffe
schon einen sehr hohen Grad erreicht haben, ehe sie nur zur Kenntniß der
Behörden kämen. Und würde der Agent nicht in neunzig Fällen unter hundert
nachzuweisen vermögen, daß er nur im Interesse der peinlichen Erfüllung seiner
polizeilichen Verpflichtung gehandelt habe? Auf der andern Seite aber geben —
wovon man von der Erfahrung belehrt sein sollte — so bedeutende Com-
petenzen grade in der Hand von Privatpersonen dieser die besten Mittel an
die Hand, alle polizeilichen Vorsichtsmaßregeln des Staates illusorisch zu machen,
so sehr man auch überwacht. Wie bei allen Uebertreibungen des Paß- und
Legitimationswesens, so behelligten derartige Hemmungen, Beschwerlichkeiten
und Unannehmlichkeiten schließlich blos den ehrlichen und unbefangenen Aus¬
wanderer und Agenten. Wer betrügen will, dem sind die Schleichwege sicher-
lich.weder unbekannt noch verschlossen. Man steht hinsichtlich des Auswanderungs¬
wesens in diesen Beziehungen vor einem Entweder — Oder. Entweder muß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/270>, abgerufen am 23.07.2024.