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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gebend zu sein braucht. Der Erfolg dieser Art von Auswanderung aber war.
daß alle solche Kolonien in die Höhe kamen, bereits zu Anfang der fünf¬
ziger Jahre (erst s--6 Jahre nach ihrer Gründung) ihre Zukunft als gesichert
ansehen konnten und mit den Heimathgemeinden, welche ihnen unter den ge¬
nannten Bedingungen jährlich neue Kolonisten nachsendeten, nicht blas in
freundlichem, sondern auch in geschäftlichem Verkehr blieben, welcher natürlich
dem Mutterlande mancherlei Vortheile zuführte. Daß nun jeder Kreis des
kleinsten deutschen Staates durch Gestnttungen von Association seiner Ge¬
meinden zu diesem Zwecke denselben Weg gehen könne, vermag man schwerlich
in Zweifel zu stellen. Freilich müßte in Betreff dieser Armenauswanderung
der Staat -- oder die Bundesnorm -- darauf verzichten, ihrer Ausführung
mit dem gouvernementalen Ermessen entgegenzutreten, ob sie überhaupt zu för¬
dern oder zu hindern sei. Die Gemeinden müßten die Gewißheit haben,
daß ihnen die Association für solche Zwecke weder verwehrt, noch irgend¬
wie übel angesehen und etwa zum Vorwurf angerechnet werde. Dann
würde sich daraus allmälig, ganz nach den Gesetzen des Bedürfnisses,
eine regelmäßige Organisation entwickeln, während heute die hier und da
ins Werk gesetzte Fortschaffung von Gemeindemitgliedern als Ausnahme-
fall, mit aller möglichen Härte der halberzwungenen Unterstützung und ohne
den entferntesten Gedanken an die Möglichkeit eines fortdauernden Zusammen¬
hangs der Ausgewanderten mit der Heimath geübt worden ist.

Uebrigens sind solche Organisationen der Auswanderung, wie die oben be¬
rührten schweizerischen wenngleich nicht in so bewußter Formulirung und obschon
nicht speciell aus die Armen bezüglich, auch in Deutschland nicht ohne Beispiel.
Nur erstrecken sie sich gewöhnlich nicht über eine Gemeinde, oder über ein
Paar in irgend einem Thalwinkel zusammengedrängter Dörfer hinaus. Wer
namentlich in Süddeutschland -- Würtemberg, Baden. Hessen -- dem Aus-
Wanderungsgange einige genauere Beachtung zugewendet hat, konnte oft ganz
interessante Wahrnehmungen machen. Gleichsam als Pioniere des Terrains
und der Verhältnisse gingen einige Gemeindeglieder, von den andern auch
materiell unterstützt, nach irgendwie für passend erachteten Punkten des trans¬
atlantischen Westens voraus. Fanden sie die Ansiedclungsverhültnisse der
Art, wie man sie erwartet, so hatten sie bereits eventuelle Aufträge dafür,
weiteres Land zu kaufen oder doch die Hand darüber zu halten. Ihr erster
Brief war in manchen Fällen das Signal des Aufbruchs für das halbe Dorf,
um jenseits des Meeres eine neue Gemeinde zu bilden. Und während die
officielle Welt daheim solche Erscheinungen blos pathologisch, wie eine Epidemie
behandelte, wußten die Nachwandernden recht wohl, was sie wollten und
thaten. Aber solche Verabredungen und Vorbereitungen wurden geheim ge¬
halten wie eine Verschwörung -- blos, weil man gar zu gut wußte, daß die


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gebend zu sein braucht. Der Erfolg dieser Art von Auswanderung aber war.
daß alle solche Kolonien in die Höhe kamen, bereits zu Anfang der fünf¬
ziger Jahre (erst s—6 Jahre nach ihrer Gründung) ihre Zukunft als gesichert
ansehen konnten und mit den Heimathgemeinden, welche ihnen unter den ge¬
nannten Bedingungen jährlich neue Kolonisten nachsendeten, nicht blas in
freundlichem, sondern auch in geschäftlichem Verkehr blieben, welcher natürlich
dem Mutterlande mancherlei Vortheile zuführte. Daß nun jeder Kreis des
kleinsten deutschen Staates durch Gestnttungen von Association seiner Ge¬
meinden zu diesem Zwecke denselben Weg gehen könne, vermag man schwerlich
in Zweifel zu stellen. Freilich müßte in Betreff dieser Armenauswanderung
der Staat — oder die Bundesnorm — darauf verzichten, ihrer Ausführung
mit dem gouvernementalen Ermessen entgegenzutreten, ob sie überhaupt zu för¬
dern oder zu hindern sei. Die Gemeinden müßten die Gewißheit haben,
daß ihnen die Association für solche Zwecke weder verwehrt, noch irgend¬
wie übel angesehen und etwa zum Vorwurf angerechnet werde. Dann
würde sich daraus allmälig, ganz nach den Gesetzen des Bedürfnisses,
eine regelmäßige Organisation entwickeln, während heute die hier und da
ins Werk gesetzte Fortschaffung von Gemeindemitgliedern als Ausnahme-
fall, mit aller möglichen Härte der halberzwungenen Unterstützung und ohne
den entferntesten Gedanken an die Möglichkeit eines fortdauernden Zusammen¬
hangs der Ausgewanderten mit der Heimath geübt worden ist.

Uebrigens sind solche Organisationen der Auswanderung, wie die oben be¬
rührten schweizerischen wenngleich nicht in so bewußter Formulirung und obschon
nicht speciell aus die Armen bezüglich, auch in Deutschland nicht ohne Beispiel.
Nur erstrecken sie sich gewöhnlich nicht über eine Gemeinde, oder über ein
Paar in irgend einem Thalwinkel zusammengedrängter Dörfer hinaus. Wer
namentlich in Süddeutschland — Würtemberg, Baden. Hessen — dem Aus-
Wanderungsgange einige genauere Beachtung zugewendet hat, konnte oft ganz
interessante Wahrnehmungen machen. Gleichsam als Pioniere des Terrains
und der Verhältnisse gingen einige Gemeindeglieder, von den andern auch
materiell unterstützt, nach irgendwie für passend erachteten Punkten des trans¬
atlantischen Westens voraus. Fanden sie die Ansiedclungsverhültnisse der
Art, wie man sie erwartet, so hatten sie bereits eventuelle Aufträge dafür,
weiteres Land zu kaufen oder doch die Hand darüber zu halten. Ihr erster
Brief war in manchen Fällen das Signal des Aufbruchs für das halbe Dorf,
um jenseits des Meeres eine neue Gemeinde zu bilden. Und während die
officielle Welt daheim solche Erscheinungen blos pathologisch, wie eine Epidemie
behandelte, wußten die Nachwandernden recht wohl, was sie wollten und
thaten. Aber solche Verabredungen und Vorbereitungen wurden geheim ge¬
halten wie eine Verschwörung — blos, weil man gar zu gut wußte, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/267>, abgerufen am 23.07.2024.