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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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sondern auch den Interessen der Nation. Vorschläge für eine Gleichartigkeit
der vorbedingenden Gestaltung der Auswanderung in allen Bundesstaaten wäre
sonach eine Hauptaufgabe des Bundcsausschusses gewesen. Diese Aufgabe ist
nicht einmal berührt worden.

Bei Gelegenheit dieses ersten Punktes erklärt sich beiläufig der Ausschuß
gegen die Auswanderung von Verbrechern. Je mehr man sich damit einver¬
standen erklären muß, so ist doch damit blos eine Ausnahme, und noch dazu
eine sehr seltene, berührt worden, welche, so viel uns bekannt, erst seit 1848
von einzelnen Regierungen gleichsam als Aequivalent der theilweisen Begna¬
digung in Anwendung gebracht wurde. Auf solche Ausnahmsfälle wird die
Kundgebung bundestägiger Ansichten schwerlich einen Einfluß zu äußern ver¬
mögen. Dagegen vermißt man im ganzen Ausschußberichte -- so weit ihn
die veröffentlichte Analyse wiedergiebt --.jede leichteste Berührung der viel
wichtigeren Frage, ob eine Auswanderung der Armen auf öffentliche Kosten
principiell zu billigen oder zu widerrathen sei. Dies ist ein Fall, welcher
namentlich seit dem Beginn des jetzigen Jahrzehnts in Baden, Hessen, Thü¬
ringen u. s. w. gar nicht selten vorgekommen ist und jedenfalls bei einer
praktischen Organisation des bundesdeutschen Auswanderungswesens besondere
Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen hat. Der Modus dieser Auswande¬
rung war bisher ein doppelter: entweder wurden die Auswanderer auf öffent¬
liche Kosten blos nach dem Einwanderungshafen transportirt und dort buch¬
stäblich als Bettler ans Land gesetzt; oder jeder derselben bekam bei der
Ankunft noch ein geringes Viaticum. In jedem Falle kümmerte sich das Hei¬
mathland nicht im mindesten mehr um die Ausgewanderten, sobald dieselben
vom Schiffe gestiegen waren. Nur in ganz ausnahmsweise" Fällen bekam
man je wieder eine Nachricht von ihnen, diese blos zufällig; sie lautete fast
ohne Ausnahme tiesbetrübcnd, für die Heimath waren sie stets völlig ver¬
loren, das vaterländische Element vermochten sie in ihrer Zerstreutheit, Verein¬
samung und Hilflosigkeit nicht zu repräsentiren. Daß aber diese Armen¬
auswanderung auch ganz anders organisirt werden kann (was jedoch ein
Selfgovernment der Gemeinden voraussetzt) ist in zahlreichen Fällen
von der Schweiz bewiesen worden. In den Cantonen Glarus und
Graubünden, später auch anderwärts, verbanden sich mehre Gemeinden
zur Auswanderung und Ansiedelung ihrerj Armen. Sie schickten aber
Commissionen zur Besichtigung und Auswahl passender Stücken Congreßlandes
voraus und kauften diese auf gemeinsame Kosten (vorzüglich in Wis¬
consin). Jede Auswandererfamilie erhielt davon 20 Acres (den Acre
a 3 si.) gegen die Verpflichtung, drei Jahre daraus zu bleiben und den Kauf¬
preis in zehnjährigen Raten abzuzahlen. Diese schweizer Auswanderer trugen
allerdings die Uebersechrt selber, was indessen für andere Versuche nicht maß-


sondern auch den Interessen der Nation. Vorschläge für eine Gleichartigkeit
der vorbedingenden Gestaltung der Auswanderung in allen Bundesstaaten wäre
sonach eine Hauptaufgabe des Bundcsausschusses gewesen. Diese Aufgabe ist
nicht einmal berührt worden.

Bei Gelegenheit dieses ersten Punktes erklärt sich beiläufig der Ausschuß
gegen die Auswanderung von Verbrechern. Je mehr man sich damit einver¬
standen erklären muß, so ist doch damit blos eine Ausnahme, und noch dazu
eine sehr seltene, berührt worden, welche, so viel uns bekannt, erst seit 1848
von einzelnen Regierungen gleichsam als Aequivalent der theilweisen Begna¬
digung in Anwendung gebracht wurde. Auf solche Ausnahmsfälle wird die
Kundgebung bundestägiger Ansichten schwerlich einen Einfluß zu äußern ver¬
mögen. Dagegen vermißt man im ganzen Ausschußberichte — so weit ihn
die veröffentlichte Analyse wiedergiebt —.jede leichteste Berührung der viel
wichtigeren Frage, ob eine Auswanderung der Armen auf öffentliche Kosten
principiell zu billigen oder zu widerrathen sei. Dies ist ein Fall, welcher
namentlich seit dem Beginn des jetzigen Jahrzehnts in Baden, Hessen, Thü¬
ringen u. s. w. gar nicht selten vorgekommen ist und jedenfalls bei einer
praktischen Organisation des bundesdeutschen Auswanderungswesens besondere
Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen hat. Der Modus dieser Auswande¬
rung war bisher ein doppelter: entweder wurden die Auswanderer auf öffent¬
liche Kosten blos nach dem Einwanderungshafen transportirt und dort buch¬
stäblich als Bettler ans Land gesetzt; oder jeder derselben bekam bei der
Ankunft noch ein geringes Viaticum. In jedem Falle kümmerte sich das Hei¬
mathland nicht im mindesten mehr um die Ausgewanderten, sobald dieselben
vom Schiffe gestiegen waren. Nur in ganz ausnahmsweise« Fällen bekam
man je wieder eine Nachricht von ihnen, diese blos zufällig; sie lautete fast
ohne Ausnahme tiesbetrübcnd, für die Heimath waren sie stets völlig ver¬
loren, das vaterländische Element vermochten sie in ihrer Zerstreutheit, Verein¬
samung und Hilflosigkeit nicht zu repräsentiren. Daß aber diese Armen¬
auswanderung auch ganz anders organisirt werden kann (was jedoch ein
Selfgovernment der Gemeinden voraussetzt) ist in zahlreichen Fällen
von der Schweiz bewiesen worden. In den Cantonen Glarus und
Graubünden, später auch anderwärts, verbanden sich mehre Gemeinden
zur Auswanderung und Ansiedelung ihrerj Armen. Sie schickten aber
Commissionen zur Besichtigung und Auswahl passender Stücken Congreßlandes
voraus und kauften diese auf gemeinsame Kosten (vorzüglich in Wis¬
consin). Jede Auswandererfamilie erhielt davon 20 Acres (den Acre
a 3 si.) gegen die Verpflichtung, drei Jahre daraus zu bleiben und den Kauf¬
preis in zehnjährigen Raten abzuzahlen. Diese schweizer Auswanderer trugen
allerdings die Uebersechrt selber, was indessen für andere Versuche nicht maß-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/266>, abgerufen am 22.07.2024.