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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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schnelle Opposition hervorriefen, regten die Naturphilosophie, welche namentlich
durch die Verbindung mit Goethe damals einen ausgedehnten Einfluß be¬
hauptete, zu den kühnsten Unternehmungen an. Goethe selbst war die Sache doch
zweifelhaft. "Sie haben mich," schreibt er 1817, "genöthigt, in eine Region
hineinzuschauen', vor der ich mich sonst ängstlich zu hüten pflege. Wir andern
Nachpoeten müssen unserer Altvordern, Homers, Hesiods u. a. Verlassenschaft
als ursanonische Bücher verehren; als vom heiligen Geist eingegebenen beugen
wir uns vor ihnen und unterstehen uns nicht zu fragen: woher, noch wohin?
Einen alten Volksglauben setzen wir gern voraus, doch ist uns die reine
charakteristische Personification ohne Hinterhalt und Allegorie alles werth; was
nachher die Priester aus dem Dunkeln, die Philosophen ins Helle gethan,
dürfen wir nicht beachten. So lautet unser Glaubensbekenntniß. -- Gehts
nun aber gar noch weiter, und leitet man uns aus dem hellenischen Gott¬
menschenkreise nach allen Regionen der Erde, um das Aehnliche dort aufzu¬
weisen, in Worten und Bildern, hier die Frostriesen, dort die Feuerbrahmen,
so wird es uns gar zu.weh, und wir flüchten wieder nach Jonien, wo dä¬
monische liebende Quellgotter sich begatten und den Homer erzeugen. Dem-
ohngeachtet kann man dem Reiz nicht widerstehen, den jedes Altweltliche auf
jeden ausüben muß." --Aehnlich schreibt Jacobs 1818: "So sehr ich mit
Ihnen überzeugt bin, daß es ungereimt ist, die Aussicht in das ältere Griechen¬
land durch den Homer sperren zu wollen, ebenso überzeugt bin ich auch, daß,
sobald man sich einmal erlaubt, über den Homer und Hesiod hinauszugehn,
man wie von einem Wirbelwinde ganz unvermeidlich in den Orient fortgerissen
wird. Hier mag, außer der Mythologie, auch wol ein guter Theil der griechi¬
schen Geschichte in der Wiege liegen, aber da ist es mir nun wieder, als
wenn der Weg nach dem Lichte hin mit jedem Schritt dunkler würde. Ich
begreife aber auch sehr wohl, wie eben diese Nacht, in der doch hier und da
ein Stern -- vielleicht eine Cynosura -- glänzt, den vordringenden Eifer des
Forschers entflammen kann; und es ist vielleicht lächerlich, Ihnen so aufrichtig
meine Gespensterfurcht zu erzählen." -- Die weitere Entwicklung der Sym¬
bolik, und ihre Ergänzung durch die vergleichende Sprachforschung und die
deutsche Mythologie zu verfolgen, lie^t nicht in unsrer Aufgabe; es kam uns
nur darauf an, nachzuweisen, wie sie in ihrer jugendlichen Ueberschwenglichkeit
in die anderweitigen Bestrebungen des Zeitalters verflochten war.




schnelle Opposition hervorriefen, regten die Naturphilosophie, welche namentlich
durch die Verbindung mit Goethe damals einen ausgedehnten Einfluß be¬
hauptete, zu den kühnsten Unternehmungen an. Goethe selbst war die Sache doch
zweifelhaft. „Sie haben mich," schreibt er 1817, „genöthigt, in eine Region
hineinzuschauen', vor der ich mich sonst ängstlich zu hüten pflege. Wir andern
Nachpoeten müssen unserer Altvordern, Homers, Hesiods u. a. Verlassenschaft
als ursanonische Bücher verehren; als vom heiligen Geist eingegebenen beugen
wir uns vor ihnen und unterstehen uns nicht zu fragen: woher, noch wohin?
Einen alten Volksglauben setzen wir gern voraus, doch ist uns die reine
charakteristische Personification ohne Hinterhalt und Allegorie alles werth; was
nachher die Priester aus dem Dunkeln, die Philosophen ins Helle gethan,
dürfen wir nicht beachten. So lautet unser Glaubensbekenntniß. — Gehts
nun aber gar noch weiter, und leitet man uns aus dem hellenischen Gott¬
menschenkreise nach allen Regionen der Erde, um das Aehnliche dort aufzu¬
weisen, in Worten und Bildern, hier die Frostriesen, dort die Feuerbrahmen,
so wird es uns gar zu.weh, und wir flüchten wieder nach Jonien, wo dä¬
monische liebende Quellgotter sich begatten und den Homer erzeugen. Dem-
ohngeachtet kann man dem Reiz nicht widerstehen, den jedes Altweltliche auf
jeden ausüben muß." —Aehnlich schreibt Jacobs 1818: „So sehr ich mit
Ihnen überzeugt bin, daß es ungereimt ist, die Aussicht in das ältere Griechen¬
land durch den Homer sperren zu wollen, ebenso überzeugt bin ich auch, daß,
sobald man sich einmal erlaubt, über den Homer und Hesiod hinauszugehn,
man wie von einem Wirbelwinde ganz unvermeidlich in den Orient fortgerissen
wird. Hier mag, außer der Mythologie, auch wol ein guter Theil der griechi¬
schen Geschichte in der Wiege liegen, aber da ist es mir nun wieder, als
wenn der Weg nach dem Lichte hin mit jedem Schritt dunkler würde. Ich
begreife aber auch sehr wohl, wie eben diese Nacht, in der doch hier und da
ein Stern — vielleicht eine Cynosura — glänzt, den vordringenden Eifer des
Forschers entflammen kann; und es ist vielleicht lächerlich, Ihnen so aufrichtig
meine Gespensterfurcht zu erzählen." — Die weitere Entwicklung der Sym¬
bolik, und ihre Ergänzung durch die vergleichende Sprachforschung und die
deutsche Mythologie zu verfolgen, lie^t nicht in unsrer Aufgabe; es kam uns
nur darauf an, nachzuweisen, wie sie in ihrer jugendlichen Ueberschwenglichkeit
in die anderweitigen Bestrebungen des Zeitalters verflochten war.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/264>, abgerufen am 22.07.2024.