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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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In demselben Jahr erhielt Creuzer durch die Vermittlung Wyttenbachs,
den er als einen der größten Philologen aller Zeiten verehrte, einen Ruf nach
Leyden, der so günstig war, daß er ihn trotz Görres Warnungen nicht aus¬
schlug. Aber kaum war er Ostern dahinabgegangen, als er den Entschluß schon
bereute: seine Gesundhe.it litt unter dem fremden Klima, und den napoleonischen
Behörden hatte man ihn als einen Wühler denuncirt. "Heute könnte ich mir
durch ein solches Geständnis) eine Art von Relief geben; jedoch meine historische
Muse muß ganz demüthig berichten, wie der Professor Creuzer damals zwar
den Kopf voll von Numismatik, leydner Bibliothek und holländischer Philologie
hatte, aber gegen Napoleon und seine Alliirten ebenso wenig conspirirte, wie
gegen den Kaiser von China." Glücklicherweise war seine Stelle in Heidel¬
berg noch nicht besetzt, er eilte dahin zurückzukehren, und hat später alle ander¬
weitigen Anträge zurückgewiesen.

Gleich darauf erschien das Hauptwerk seines Lebens: Symbolik und
Mythologie der alten Völker, vornämlich der Griechen, 4. Bd. 1810 -- 1812. *)
Der Inhalt desselben, wie Creuzers enge Verbindung mit Fr. Schlegel, Görres
Boisser6e und den übrigen Romantikern, die man als heimliche Katholiken
betrachtete, gab zu herben Beschuldigungen Anlaß. "Ich war daraus gefaßt,
daß meine Symbolik bei derjenigen Partei eine sehr unwillkommne Erschei¬
nung sein werde, die daraus ausgeht, nur immer zu decomponiren und alles,
was beglaubigte Geschichte und religiöses Bewußtsein als ewig und unwandel¬
bar festhalten, in eine unsichere Fluktuation zu versetzen, damit sie über den
allgemeinen Nihilismus den Thron ihrer Selbstsucht aufbauen könnten. Mein
Buch zeigte ja auf allen Blättern, wie alle Civilisation der Völker und der
ganze Inbegriff der edelsten Güter, deren sich jetzt die fortgeschrittene Mensch¬
heit erfreut, nur auf dem Grund und Boden des religiösen Bewußtseins er¬
wachsen und nur unter der Obhut der Religion und ihrer Diener gepflegt und
gewartet -- mit einem Wort, wie alle ethische und politische Sittigung des
Menschengeschlechts nur durch priesterliche Institutionen vererbt und veredelt
worden." "Da ich im Plato, Plutarch und Athenäus sehr überraschende Auf¬
schlüsse über einen Culturzustand der frühern Vorwelt fand, die mit der Bibel
und den neuern orientalischen Forschungen im innigsten Zusammenhang erschie¬
nen, so wurde ich noch mehr über die geistlose Art empört, mit der Meiners
u. a. die Religionen behandelten, nach Analogie der Cookschen Reiseberichte,
als habe überall die Menschheit mit der Brutalität angefangen. Mir öffnete
das Studium der Bibel und des Herodot über die Seichtigkeit dieser Ansichten
die Augen, und Herders Geist der ebräischen Poesie leitete mich auf andere



") Die zweite Ausgabe, durch weitere Studien der Neuplatoniker bereichert, ISIS--1822;
die dritte 1836--1843.

In demselben Jahr erhielt Creuzer durch die Vermittlung Wyttenbachs,
den er als einen der größten Philologen aller Zeiten verehrte, einen Ruf nach
Leyden, der so günstig war, daß er ihn trotz Görres Warnungen nicht aus¬
schlug. Aber kaum war er Ostern dahinabgegangen, als er den Entschluß schon
bereute: seine Gesundhe.it litt unter dem fremden Klima, und den napoleonischen
Behörden hatte man ihn als einen Wühler denuncirt. „Heute könnte ich mir
durch ein solches Geständnis) eine Art von Relief geben; jedoch meine historische
Muse muß ganz demüthig berichten, wie der Professor Creuzer damals zwar
den Kopf voll von Numismatik, leydner Bibliothek und holländischer Philologie
hatte, aber gegen Napoleon und seine Alliirten ebenso wenig conspirirte, wie
gegen den Kaiser von China." Glücklicherweise war seine Stelle in Heidel¬
berg noch nicht besetzt, er eilte dahin zurückzukehren, und hat später alle ander¬
weitigen Anträge zurückgewiesen.

Gleich darauf erschien das Hauptwerk seines Lebens: Symbolik und
Mythologie der alten Völker, vornämlich der Griechen, 4. Bd. 1810 — 1812. *)
Der Inhalt desselben, wie Creuzers enge Verbindung mit Fr. Schlegel, Görres
Boisser6e und den übrigen Romantikern, die man als heimliche Katholiken
betrachtete, gab zu herben Beschuldigungen Anlaß. „Ich war daraus gefaßt,
daß meine Symbolik bei derjenigen Partei eine sehr unwillkommne Erschei¬
nung sein werde, die daraus ausgeht, nur immer zu decomponiren und alles,
was beglaubigte Geschichte und religiöses Bewußtsein als ewig und unwandel¬
bar festhalten, in eine unsichere Fluktuation zu versetzen, damit sie über den
allgemeinen Nihilismus den Thron ihrer Selbstsucht aufbauen könnten. Mein
Buch zeigte ja auf allen Blättern, wie alle Civilisation der Völker und der
ganze Inbegriff der edelsten Güter, deren sich jetzt die fortgeschrittene Mensch¬
heit erfreut, nur auf dem Grund und Boden des religiösen Bewußtseins er¬
wachsen und nur unter der Obhut der Religion und ihrer Diener gepflegt und
gewartet — mit einem Wort, wie alle ethische und politische Sittigung des
Menschengeschlechts nur durch priesterliche Institutionen vererbt und veredelt
worden." „Da ich im Plato, Plutarch und Athenäus sehr überraschende Auf¬
schlüsse über einen Culturzustand der frühern Vorwelt fand, die mit der Bibel
und den neuern orientalischen Forschungen im innigsten Zusammenhang erschie¬
nen, so wurde ich noch mehr über die geistlose Art empört, mit der Meiners
u. a. die Religionen behandelten, nach Analogie der Cookschen Reiseberichte,
als habe überall die Menschheit mit der Brutalität angefangen. Mir öffnete
das Studium der Bibel und des Herodot über die Seichtigkeit dieser Ansichten
die Augen, und Herders Geist der ebräischen Poesie leitete mich auf andere



») Die zweite Ausgabe, durch weitere Studien der Neuplatoniker bereichert, ISIS—1822;
die dritte 1836—1843.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/262>, abgerufen am 23.07.2024.