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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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versehen und schärfer zu formuliren. Wir stellen uns. was die Ansicht über
Försters Charakter betrifft, ganz auf seine Seite. Der Reichthum der Ideen
und die Schönheit des Gemüths, die bei Forster überall hervortritt, werden
im gerechten Andenken bleiben, aber sein Leben zeigt nicht Stärke, sondern
Schwäche, und über denjenigen Act desselben, der vorzugsweise dem öffent¬
lichen Urtheil anheim fällt, wird man nicht anders urtheilen können als über das,
was Johannes v, Müller gethan. Ueberhaupt finden wir in der Handlungsweise
dieser Männer, die fast gleichalterig waren und in mannigfacher Beziehung
zueinander standen, oft ganz überraschende Ähnlichkeiten, eine Mischung von
Kraft und Schwäche des Gefühls, die in Verwunderung setzt, und einen be¬
ständigen Wechsel von Unentschlossenheit und Uebereilung. Beide waren, um
uns eines goetheschen Worts zu bedienen, Anempfinder, sie nahmen zu je¬
der Stinnnuug einen Anlauf, aber Forsters Gemüth war tiefer und sein
Auftreten macht daher bei weitem mehr den Eindruck der Wahrheit.

Was den Biographen betrifft, so haben wir öfters Gelegenheit gehabt,
uns über das Gezierte seines Stils und andere Schwächen zu beschweren, sie
fehlen auch diesmal keineswegs und das Buch hätte durch Weglassung mancher
unschönen Excurse gewonnen, aber er entwickelt diesmal ein besonnenes und
zuweilen scharfsinniges Urtheil, sein Gefühl wird durch keine falschen Doc-
trinen verwirrt, der Stoff ist geschickt und geschmackvoll gruppirt und wird
jeden Leser fesseln. Um unser Urtheil über Forsters Charakter zu motiviren,
theilen wir einen kurzen Abriß seines Lebens mit.

Georg Forster ist am 26. November 1754 zu Nassenhuben. einem Dorf
bei Danzig geboren. Sein Bater Reinhold, ein leidenschaftlicher, unter¬
nehmender M arm, der bei seinem wissenschaftlichen Drang in seiner armen
Pfarre keine Befriedigung fand, wurde 1765 von der russischen Regierung
beauftragt, die neuangelegter deutschen Kolonien an der Wolga zu bereisen.
Er nahm den Knaben mit, der nun früh in der Naturgeschichte und in frem¬
den Sprachen unterrichtet wurde. Da die Reise nicht den gewünschten äußern
Erfolg hatte, so begab sich Forster mit seinem Sohn nach England, wo er
Lehrer der Naturwissenschaft wurde. Doch dauerte die Unstetigkeit seines
Lebens und seiner Unternehmungen fort, bis ihm 1772 der Antrag wurde,
Cook auf seiner zweiten Weltumseglung als Naturforscher zu begleiten. Von
dieser Reise brachte der junge Georg, der wieder mitgegangen war. 17 75
umfassende Kenntnisse und Lebensanschauungen, aber auch eine Krankheit mit.
die ihn sein ganzes Leben lang nicht verließ. Der Ertrag der Reise wurde
durch Streitigkeiten Reinhold Forsters mit der britischen Regierung verkümmert.
Er gerieth in immer größere Noth und mußte endlich in den Schuldthurm
wandern. Seiner bedrängten Lage dnrch Verkauf der gesammelten Naturalien
und durch Verbindung mit den deutschen Höfen und Akademien aufzuhelfen


versehen und schärfer zu formuliren. Wir stellen uns. was die Ansicht über
Försters Charakter betrifft, ganz auf seine Seite. Der Reichthum der Ideen
und die Schönheit des Gemüths, die bei Forster überall hervortritt, werden
im gerechten Andenken bleiben, aber sein Leben zeigt nicht Stärke, sondern
Schwäche, und über denjenigen Act desselben, der vorzugsweise dem öffent¬
lichen Urtheil anheim fällt, wird man nicht anders urtheilen können als über das,
was Johannes v, Müller gethan. Ueberhaupt finden wir in der Handlungsweise
dieser Männer, die fast gleichalterig waren und in mannigfacher Beziehung
zueinander standen, oft ganz überraschende Ähnlichkeiten, eine Mischung von
Kraft und Schwäche des Gefühls, die in Verwunderung setzt, und einen be¬
ständigen Wechsel von Unentschlossenheit und Uebereilung. Beide waren, um
uns eines goetheschen Worts zu bedienen, Anempfinder, sie nahmen zu je¬
der Stinnnuug einen Anlauf, aber Forsters Gemüth war tiefer und sein
Auftreten macht daher bei weitem mehr den Eindruck der Wahrheit.

Was den Biographen betrifft, so haben wir öfters Gelegenheit gehabt,
uns über das Gezierte seines Stils und andere Schwächen zu beschweren, sie
fehlen auch diesmal keineswegs und das Buch hätte durch Weglassung mancher
unschönen Excurse gewonnen, aber er entwickelt diesmal ein besonnenes und
zuweilen scharfsinniges Urtheil, sein Gefühl wird durch keine falschen Doc-
trinen verwirrt, der Stoff ist geschickt und geschmackvoll gruppirt und wird
jeden Leser fesseln. Um unser Urtheil über Forsters Charakter zu motiviren,
theilen wir einen kurzen Abriß seines Lebens mit.

Georg Forster ist am 26. November 1754 zu Nassenhuben. einem Dorf
bei Danzig geboren. Sein Bater Reinhold, ein leidenschaftlicher, unter¬
nehmender M arm, der bei seinem wissenschaftlichen Drang in seiner armen
Pfarre keine Befriedigung fand, wurde 1765 von der russischen Regierung
beauftragt, die neuangelegter deutschen Kolonien an der Wolga zu bereisen.
Er nahm den Knaben mit, der nun früh in der Naturgeschichte und in frem¬
den Sprachen unterrichtet wurde. Da die Reise nicht den gewünschten äußern
Erfolg hatte, so begab sich Forster mit seinem Sohn nach England, wo er
Lehrer der Naturwissenschaft wurde. Doch dauerte die Unstetigkeit seines
Lebens und seiner Unternehmungen fort, bis ihm 1772 der Antrag wurde,
Cook auf seiner zweiten Weltumseglung als Naturforscher zu begleiten. Von
dieser Reise brachte der junge Georg, der wieder mitgegangen war. 17 75
umfassende Kenntnisse und Lebensanschauungen, aber auch eine Krankheit mit.
die ihn sein ganzes Leben lang nicht verließ. Der Ertrag der Reise wurde
durch Streitigkeiten Reinhold Forsters mit der britischen Regierung verkümmert.
Er gerieth in immer größere Noth und mußte endlich in den Schuldthurm
wandern. Seiner bedrängten Lage dnrch Verkauf der gesammelten Naturalien
und durch Verbindung mit den deutschen Höfen und Akademien aufzuhelfen


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[0026] versehen und schärfer zu formuliren. Wir stellen uns. was die Ansicht über Försters Charakter betrifft, ganz auf seine Seite. Der Reichthum der Ideen und die Schönheit des Gemüths, die bei Forster überall hervortritt, werden im gerechten Andenken bleiben, aber sein Leben zeigt nicht Stärke, sondern Schwäche, und über denjenigen Act desselben, der vorzugsweise dem öffent¬ lichen Urtheil anheim fällt, wird man nicht anders urtheilen können als über das, was Johannes v, Müller gethan. Ueberhaupt finden wir in der Handlungsweise dieser Männer, die fast gleichalterig waren und in mannigfacher Beziehung zueinander standen, oft ganz überraschende Ähnlichkeiten, eine Mischung von Kraft und Schwäche des Gefühls, die in Verwunderung setzt, und einen be¬ ständigen Wechsel von Unentschlossenheit und Uebereilung. Beide waren, um uns eines goetheschen Worts zu bedienen, Anempfinder, sie nahmen zu je¬ der Stinnnuug einen Anlauf, aber Forsters Gemüth war tiefer und sein Auftreten macht daher bei weitem mehr den Eindruck der Wahrheit. Was den Biographen betrifft, so haben wir öfters Gelegenheit gehabt, uns über das Gezierte seines Stils und andere Schwächen zu beschweren, sie fehlen auch diesmal keineswegs und das Buch hätte durch Weglassung mancher unschönen Excurse gewonnen, aber er entwickelt diesmal ein besonnenes und zuweilen scharfsinniges Urtheil, sein Gefühl wird durch keine falschen Doc- trinen verwirrt, der Stoff ist geschickt und geschmackvoll gruppirt und wird jeden Leser fesseln. Um unser Urtheil über Forsters Charakter zu motiviren, theilen wir einen kurzen Abriß seines Lebens mit. Georg Forster ist am 26. November 1754 zu Nassenhuben. einem Dorf bei Danzig geboren. Sein Bater Reinhold, ein leidenschaftlicher, unter¬ nehmender M arm, der bei seinem wissenschaftlichen Drang in seiner armen Pfarre keine Befriedigung fand, wurde 1765 von der russischen Regierung beauftragt, die neuangelegter deutschen Kolonien an der Wolga zu bereisen. Er nahm den Knaben mit, der nun früh in der Naturgeschichte und in frem¬ den Sprachen unterrichtet wurde. Da die Reise nicht den gewünschten äußern Erfolg hatte, so begab sich Forster mit seinem Sohn nach England, wo er Lehrer der Naturwissenschaft wurde. Doch dauerte die Unstetigkeit seines Lebens und seiner Unternehmungen fort, bis ihm 1772 der Antrag wurde, Cook auf seiner zweiten Weltumseglung als Naturforscher zu begleiten. Von dieser Reise brachte der junge Georg, der wieder mitgegangen war. 17 75 umfassende Kenntnisse und Lebensanschauungen, aber auch eine Krankheit mit. die ihn sein ganzes Leben lang nicht verließ. Der Ertrag der Reise wurde durch Streitigkeiten Reinhold Forsters mit der britischen Regierung verkümmert. Er gerieth in immer größere Noth und mußte endlich in den Schuldthurm wandern. Seiner bedrängten Lage dnrch Verkauf der gesammelten Naturalien und durch Verbindung mit den deutschen Höfen und Akademien aufzuhelfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/26>, abgerufen am 22.07.2024.