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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Es gilt als Regel, daß jede Compagnie mindestens einen europäischen
Offizier als Commandanten habe. Doch ist dies nicht immer und überall
der Fall; die fähigsten derselben werden zum diplomatischen Dienste oder zu
den Generalstäben commandirt und kehren oft erst nach Jahrzehnten zu ihrem
Regiments zurück, und zwar in bedeutend höherem Range, da sie während
der Zeit sortavanciren; es kann nicht fehlen, daß sie während dieser Zeit den
praktischen Dienst vergessen haben und dann mehr Schaden als Nutzen bringen,
namentlich wenn sie in der Civilbranche waren. Sie leben streng getrennt von
den eingebornen Offizieren, (letztere nehmen nicht einmal an der Meß Theil), was
ihren Einfluß auf dieselben bedeutend schmälert; sie bleiben den Bedürfnissen,
aber auch den Intriguen und Umtrieben ihrer Untergebenen fremd, und diesem
Umstände ist es wesentlich zuzuschreiben, daß die Meuterei der Armee von
Bengalen so urplötzlich und in einer Weise ausbrechen konnte, daß sie die
Briten so gänzlich unvorbereitet sand. Ein andrer Umstand, der viel hierzu
beitrug, ist folgender. Früher lebten die englischen Offiziere immer mit Hindu¬
frauen, und übten durch diese einen großen Einfluß auf ihre Untergebenen
aus, lernten die Landessprache geläufiger durch den fortwährenden Umgang
mit ihnen sprechen, und erfuhren durch sie alles, was im Regimente vorging.
Das hatte in der neuern Zeit aufgehört, mithin verminderte sich ihre Kennt¬
niß und ihr Einfluß auf die eingebornen Offiziere und Soldaten.

Die Sipoys selbst sind mehrentheils Hindus, die Mahomedaner ziehen
den Cavaleriedienst vor; erstere sind im Allgemeinen ein sanfter, weicher
Menschenschlag, der nüchtern und mäßig lebt, Fleisch gar nicht ißt. weil es
ihm sein Glaube verbietet ein Thier zu todten oder das Fleisch desselben
zu genießen. Ihr Hauptfehler ist Lügenhaftigkeit, sie sagen es selbst, sie mü߬
ten zwei Zungen haben, eine für die Feringhis, wie sie die Engländer nennen,
eine unter sich, die erste ist die der Schmeichelei, die zweite die der Wahrheit.
Sie sind unter sich streng in Kasten oder Classen geschieden, von denen die
höhere stolz auf die niedere herabsieht und sogar jede Berührung mit derselben
sür eine Entweihung der eignen Person hält. Nur in Reih und Glied kommen
sie miteinander in Verkehr. Die vornehmste dieser.Kasten, die der Brahminen,
ist eine erbliche Priesterschaft. Diese dienten namentlich nach der Einverleibung
des Königreichs Audh in das Dominium der ostindischen Compagnie im
Heere von Bengalen, sie waren die Lenker und Leiter des Complottes. Ehr¬
furcht und abergläubische Rücksichten zwangen die Männer niedrer Kaste ihnen
mehr zu gehorchen als ihren europäischen Offizieren, mehr selbst, als dem
Eide, den sie der Compagnie geleistet hatten.

Ueber den Werth der Sipoys als Soldaten hört man viele widersprechende
Urtheile, sie haben einige militärische Tugenden, sind mäßig, nüchtern und
ertragen die Strapcitzen der Märsche in ihrem Lande vorzüglich leicht. Man


Es gilt als Regel, daß jede Compagnie mindestens einen europäischen
Offizier als Commandanten habe. Doch ist dies nicht immer und überall
der Fall; die fähigsten derselben werden zum diplomatischen Dienste oder zu
den Generalstäben commandirt und kehren oft erst nach Jahrzehnten zu ihrem
Regiments zurück, und zwar in bedeutend höherem Range, da sie während
der Zeit sortavanciren; es kann nicht fehlen, daß sie während dieser Zeit den
praktischen Dienst vergessen haben und dann mehr Schaden als Nutzen bringen,
namentlich wenn sie in der Civilbranche waren. Sie leben streng getrennt von
den eingebornen Offizieren, (letztere nehmen nicht einmal an der Meß Theil), was
ihren Einfluß auf dieselben bedeutend schmälert; sie bleiben den Bedürfnissen,
aber auch den Intriguen und Umtrieben ihrer Untergebenen fremd, und diesem
Umstände ist es wesentlich zuzuschreiben, daß die Meuterei der Armee von
Bengalen so urplötzlich und in einer Weise ausbrechen konnte, daß sie die
Briten so gänzlich unvorbereitet sand. Ein andrer Umstand, der viel hierzu
beitrug, ist folgender. Früher lebten die englischen Offiziere immer mit Hindu¬
frauen, und übten durch diese einen großen Einfluß auf ihre Untergebenen
aus, lernten die Landessprache geläufiger durch den fortwährenden Umgang
mit ihnen sprechen, und erfuhren durch sie alles, was im Regimente vorging.
Das hatte in der neuern Zeit aufgehört, mithin verminderte sich ihre Kennt¬
niß und ihr Einfluß auf die eingebornen Offiziere und Soldaten.

Die Sipoys selbst sind mehrentheils Hindus, die Mahomedaner ziehen
den Cavaleriedienst vor; erstere sind im Allgemeinen ein sanfter, weicher
Menschenschlag, der nüchtern und mäßig lebt, Fleisch gar nicht ißt. weil es
ihm sein Glaube verbietet ein Thier zu todten oder das Fleisch desselben
zu genießen. Ihr Hauptfehler ist Lügenhaftigkeit, sie sagen es selbst, sie mü߬
ten zwei Zungen haben, eine für die Feringhis, wie sie die Engländer nennen,
eine unter sich, die erste ist die der Schmeichelei, die zweite die der Wahrheit.
Sie sind unter sich streng in Kasten oder Classen geschieden, von denen die
höhere stolz auf die niedere herabsieht und sogar jede Berührung mit derselben
sür eine Entweihung der eignen Person hält. Nur in Reih und Glied kommen
sie miteinander in Verkehr. Die vornehmste dieser.Kasten, die der Brahminen,
ist eine erbliche Priesterschaft. Diese dienten namentlich nach der Einverleibung
des Königreichs Audh in das Dominium der ostindischen Compagnie im
Heere von Bengalen, sie waren die Lenker und Leiter des Complottes. Ehr¬
furcht und abergläubische Rücksichten zwangen die Männer niedrer Kaste ihnen
mehr zu gehorchen als ihren europäischen Offizieren, mehr selbst, als dem
Eide, den sie der Compagnie geleistet hatten.

Ueber den Werth der Sipoys als Soldaten hört man viele widersprechende
Urtheile, sie haben einige militärische Tugenden, sind mäßig, nüchtern und
ertragen die Strapcitzen der Märsche in ihrem Lande vorzüglich leicht. Man


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[0228] Es gilt als Regel, daß jede Compagnie mindestens einen europäischen Offizier als Commandanten habe. Doch ist dies nicht immer und überall der Fall; die fähigsten derselben werden zum diplomatischen Dienste oder zu den Generalstäben commandirt und kehren oft erst nach Jahrzehnten zu ihrem Regiments zurück, und zwar in bedeutend höherem Range, da sie während der Zeit sortavanciren; es kann nicht fehlen, daß sie während dieser Zeit den praktischen Dienst vergessen haben und dann mehr Schaden als Nutzen bringen, namentlich wenn sie in der Civilbranche waren. Sie leben streng getrennt von den eingebornen Offizieren, (letztere nehmen nicht einmal an der Meß Theil), was ihren Einfluß auf dieselben bedeutend schmälert; sie bleiben den Bedürfnissen, aber auch den Intriguen und Umtrieben ihrer Untergebenen fremd, und diesem Umstände ist es wesentlich zuzuschreiben, daß die Meuterei der Armee von Bengalen so urplötzlich und in einer Weise ausbrechen konnte, daß sie die Briten so gänzlich unvorbereitet sand. Ein andrer Umstand, der viel hierzu beitrug, ist folgender. Früher lebten die englischen Offiziere immer mit Hindu¬ frauen, und übten durch diese einen großen Einfluß auf ihre Untergebenen aus, lernten die Landessprache geläufiger durch den fortwährenden Umgang mit ihnen sprechen, und erfuhren durch sie alles, was im Regimente vorging. Das hatte in der neuern Zeit aufgehört, mithin verminderte sich ihre Kennt¬ niß und ihr Einfluß auf die eingebornen Offiziere und Soldaten. Die Sipoys selbst sind mehrentheils Hindus, die Mahomedaner ziehen den Cavaleriedienst vor; erstere sind im Allgemeinen ein sanfter, weicher Menschenschlag, der nüchtern und mäßig lebt, Fleisch gar nicht ißt. weil es ihm sein Glaube verbietet ein Thier zu todten oder das Fleisch desselben zu genießen. Ihr Hauptfehler ist Lügenhaftigkeit, sie sagen es selbst, sie mü߬ ten zwei Zungen haben, eine für die Feringhis, wie sie die Engländer nennen, eine unter sich, die erste ist die der Schmeichelei, die zweite die der Wahrheit. Sie sind unter sich streng in Kasten oder Classen geschieden, von denen die höhere stolz auf die niedere herabsieht und sogar jede Berührung mit derselben sür eine Entweihung der eignen Person hält. Nur in Reih und Glied kommen sie miteinander in Verkehr. Die vornehmste dieser.Kasten, die der Brahminen, ist eine erbliche Priesterschaft. Diese dienten namentlich nach der Einverleibung des Königreichs Audh in das Dominium der ostindischen Compagnie im Heere von Bengalen, sie waren die Lenker und Leiter des Complottes. Ehr¬ furcht und abergläubische Rücksichten zwangen die Männer niedrer Kaste ihnen mehr zu gehorchen als ihren europäischen Offizieren, mehr selbst, als dem Eide, den sie der Compagnie geleistet hatten. Ueber den Werth der Sipoys als Soldaten hört man viele widersprechende Urtheile, sie haben einige militärische Tugenden, sind mäßig, nüchtern und ertragen die Strapcitzen der Märsche in ihrem Lande vorzüglich leicht. Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/228>, abgerufen am 07.01.2025.