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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Während nun in den Jahren 185K und 1857 die Verwirklichung jener
dänischen Anträge in der bezeichneten Weise schwebte, scheint dagegen die offi-
cielle Behandlung der politischen Bundesreform wirklich vollständig bei Seite
gelegt worden zu sein. Daß übrigens die bundesgemäß behandelten Institu¬
tionen doch nicht vollkommen ausreichten, um "auch ohne Gewährung einer
politischen Reform des Bundes die in Deutschland lauter werdende Unzufrie¬
denheit zu beseitigen," beweisen so ziemlich alle parlamentarische Versamm¬
lungen der Einzelstaaten, von denen kaum eine die sich bietenden Gelegenheiten
vorbeigehen ließ, ohne ihre Wünsche und Ueberzeugungen für die zeitgemäße
Ausbildung der Bundesverfassung auszusprechen. Uebrigens mochte man auch
östreichischerseits, trotz der bairischen Aequivalente, wenigstens die Forternährung
der Hoffnung, daß sich dereinst noch einmal ein Zeitpunkt auch für Bundes-
reformcn "geeignet" erweisen werde, als zweckdienlich erachten. Wenig¬
stens geschah es grade nach jenem 21. Febr. 185K, welcher die bairischen Vor¬
schläge auf die Tagesordnung gebracht hatte, daß diejenige inspirirte Presse,
welche man als Begleiterin der östreichischen Politik anzusehen gewohnt ist,
theils deutlicher, theils dunkler abermals die Vorbereitung bestimmter Anträge
auf politische Bundesrcformen durch Oestreich mit einer gewissen Konsequenz
in Aussicht stellte. Ueber die Ehrlichkeit dieser Pnlssühler ließ sich nicht ur¬
theilen, da sie (wie früher) mit bewundernswerther Vorsicht vermieden, einen
Punkt oder selbst nur eine Richtung anzudeuten, nach welcher sich eine solche
reformatorische Anregung wenden wolle. Unmittelbar aber, nachdem über die
bairischen Anträge Bundesbeschluß gefaßt worden war, was im April 1856
geschah, und also auch sehr bald nach dem Abschlüsse des pariser Märzfriedens,
deuteten die inspirirter Organe der gegenöstreichischen Politik diese Gerüchte
vorwurfsvoll so aus, als beabsichtige Oestreich einen neuen Modus der Stim-
menvertheilung im Bundestage herzustellen. Ohne daß nur von der einen
Seite bestimmte Thatsachen beigebracht wurden, welche bewiesen hätten, daß
diese Pläne eine Zurückdrängung unbequemer Stimmen bezweckten, und ohne
daß von der andern Seite das Gegentheil dargethan war. entwickelte sich
nach alter Gewohnheit dennoch ein lebhafter Federkrieg beider Parteien, bei
welchem sehr bald die Kernsrage hinter dem aufgewirbelten Staube gegenseitiger
Verdächtigungen und Vorwürfe verschwand. Sie war wirklich schon unfindbar
geworden, als die Polemik endlich, obgleich überraschend genug, durch die offi¬
ziöse Wiederholung der vorjährigen Erklärung abgebrochen wurde: Oestreich
selber verzichte auf eine Initiative in der Bundesreformfrage, werde aber solche
Anträge seiner Bundesgenossen unterstützen, deren Zweck die Weiterentwicklung
der Grundsätze der Bundesverfassung oder die Erschaffung organischer, den
allgemeinen Interessen und Bedürfnissen entsprechender Einrichtungen sei. Preu-
ßischerseits hüllte man sich in mißgestimmtes Schweigen.


Während nun in den Jahren 185K und 1857 die Verwirklichung jener
dänischen Anträge in der bezeichneten Weise schwebte, scheint dagegen die offi-
cielle Behandlung der politischen Bundesreform wirklich vollständig bei Seite
gelegt worden zu sein. Daß übrigens die bundesgemäß behandelten Institu¬
tionen doch nicht vollkommen ausreichten, um „auch ohne Gewährung einer
politischen Reform des Bundes die in Deutschland lauter werdende Unzufrie¬
denheit zu beseitigen," beweisen so ziemlich alle parlamentarische Versamm¬
lungen der Einzelstaaten, von denen kaum eine die sich bietenden Gelegenheiten
vorbeigehen ließ, ohne ihre Wünsche und Ueberzeugungen für die zeitgemäße
Ausbildung der Bundesverfassung auszusprechen. Uebrigens mochte man auch
östreichischerseits, trotz der bairischen Aequivalente, wenigstens die Forternährung
der Hoffnung, daß sich dereinst noch einmal ein Zeitpunkt auch für Bundes-
reformcn „geeignet" erweisen werde, als zweckdienlich erachten. Wenig¬
stens geschah es grade nach jenem 21. Febr. 185K, welcher die bairischen Vor¬
schläge auf die Tagesordnung gebracht hatte, daß diejenige inspirirte Presse,
welche man als Begleiterin der östreichischen Politik anzusehen gewohnt ist,
theils deutlicher, theils dunkler abermals die Vorbereitung bestimmter Anträge
auf politische Bundesrcformen durch Oestreich mit einer gewissen Konsequenz
in Aussicht stellte. Ueber die Ehrlichkeit dieser Pnlssühler ließ sich nicht ur¬
theilen, da sie (wie früher) mit bewundernswerther Vorsicht vermieden, einen
Punkt oder selbst nur eine Richtung anzudeuten, nach welcher sich eine solche
reformatorische Anregung wenden wolle. Unmittelbar aber, nachdem über die
bairischen Anträge Bundesbeschluß gefaßt worden war, was im April 1856
geschah, und also auch sehr bald nach dem Abschlüsse des pariser Märzfriedens,
deuteten die inspirirter Organe der gegenöstreichischen Politik diese Gerüchte
vorwurfsvoll so aus, als beabsichtige Oestreich einen neuen Modus der Stim-
menvertheilung im Bundestage herzustellen. Ohne daß nur von der einen
Seite bestimmte Thatsachen beigebracht wurden, welche bewiesen hätten, daß
diese Pläne eine Zurückdrängung unbequemer Stimmen bezweckten, und ohne
daß von der andern Seite das Gegentheil dargethan war. entwickelte sich
nach alter Gewohnheit dennoch ein lebhafter Federkrieg beider Parteien, bei
welchem sehr bald die Kernsrage hinter dem aufgewirbelten Staube gegenseitiger
Verdächtigungen und Vorwürfe verschwand. Sie war wirklich schon unfindbar
geworden, als die Polemik endlich, obgleich überraschend genug, durch die offi¬
ziöse Wiederholung der vorjährigen Erklärung abgebrochen wurde: Oestreich
selber verzichte auf eine Initiative in der Bundesreformfrage, werde aber solche
Anträge seiner Bundesgenossen unterstützen, deren Zweck die Weiterentwicklung
der Grundsätze der Bundesverfassung oder die Erschaffung organischer, den
allgemeinen Interessen und Bedürfnissen entsprechender Einrichtungen sei. Preu-
ßischerseits hüllte man sich in mißgestimmtes Schweigen.


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[0216] Während nun in den Jahren 185K und 1857 die Verwirklichung jener dänischen Anträge in der bezeichneten Weise schwebte, scheint dagegen die offi- cielle Behandlung der politischen Bundesreform wirklich vollständig bei Seite gelegt worden zu sein. Daß übrigens die bundesgemäß behandelten Institu¬ tionen doch nicht vollkommen ausreichten, um „auch ohne Gewährung einer politischen Reform des Bundes die in Deutschland lauter werdende Unzufrie¬ denheit zu beseitigen," beweisen so ziemlich alle parlamentarische Versamm¬ lungen der Einzelstaaten, von denen kaum eine die sich bietenden Gelegenheiten vorbeigehen ließ, ohne ihre Wünsche und Ueberzeugungen für die zeitgemäße Ausbildung der Bundesverfassung auszusprechen. Uebrigens mochte man auch östreichischerseits, trotz der bairischen Aequivalente, wenigstens die Forternährung der Hoffnung, daß sich dereinst noch einmal ein Zeitpunkt auch für Bundes- reformcn „geeignet" erweisen werde, als zweckdienlich erachten. Wenig¬ stens geschah es grade nach jenem 21. Febr. 185K, welcher die bairischen Vor¬ schläge auf die Tagesordnung gebracht hatte, daß diejenige inspirirte Presse, welche man als Begleiterin der östreichischen Politik anzusehen gewohnt ist, theils deutlicher, theils dunkler abermals die Vorbereitung bestimmter Anträge auf politische Bundesrcformen durch Oestreich mit einer gewissen Konsequenz in Aussicht stellte. Ueber die Ehrlichkeit dieser Pnlssühler ließ sich nicht ur¬ theilen, da sie (wie früher) mit bewundernswerther Vorsicht vermieden, einen Punkt oder selbst nur eine Richtung anzudeuten, nach welcher sich eine solche reformatorische Anregung wenden wolle. Unmittelbar aber, nachdem über die bairischen Anträge Bundesbeschluß gefaßt worden war, was im April 1856 geschah, und also auch sehr bald nach dem Abschlüsse des pariser Märzfriedens, deuteten die inspirirter Organe der gegenöstreichischen Politik diese Gerüchte vorwurfsvoll so aus, als beabsichtige Oestreich einen neuen Modus der Stim- menvertheilung im Bundestage herzustellen. Ohne daß nur von der einen Seite bestimmte Thatsachen beigebracht wurden, welche bewiesen hätten, daß diese Pläne eine Zurückdrängung unbequemer Stimmen bezweckten, und ohne daß von der andern Seite das Gegentheil dargethan war. entwickelte sich nach alter Gewohnheit dennoch ein lebhafter Federkrieg beider Parteien, bei welchem sehr bald die Kernsrage hinter dem aufgewirbelten Staube gegenseitiger Verdächtigungen und Vorwürfe verschwand. Sie war wirklich schon unfindbar geworden, als die Polemik endlich, obgleich überraschend genug, durch die offi¬ ziöse Wiederholung der vorjährigen Erklärung abgebrochen wurde: Oestreich selber verzichte auf eine Initiative in der Bundesreformfrage, werde aber solche Anträge seiner Bundesgenossen unterstützen, deren Zweck die Weiterentwicklung der Grundsätze der Bundesverfassung oder die Erschaffung organischer, den allgemeinen Interessen und Bedürfnissen entsprechender Einrichtungen sei. Preu- ßischerseits hüllte man sich in mißgestimmtes Schweigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/216>, abgerufen am 22.07.2024.