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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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mit sieht man zwar handfest zugreifende, aber keine ausgehungerten Stell¬
vertreter.

Um sieben Uhr macht sich der Wirth, mit einem Holzteller und einem Stück
weißer Kreide bewaffnet, an den Rundgang. Was jeder Gast zu zahlen hat,
pflegt nicht vorher festgesetzt zu werden. Um der Kundschaft willen, weiß
man schon, wird der Wirth leisten, was in seinen Kräften steht und sich mit
einem mäßigen Ueberschuß begnügen. Meist handelt sichs um 2^ bis 3'/2
Gulden für jeden Gast.

Nun wird im engen Tanzsaal neu gekehrt, frische Luft gemacht, Feder¬
weißstaub gestreut. Die ungeduldigsten Tänzer tummeln sich jauchzend und
jodelnd auf den noch leeren Dielen umher. Schwere Nagelschuhe haben sie
an, nicht nur weil leichtes Fußzeug in ihrer Schublade fehlt, mehr noch weil
sichs in fünf Pfund schweren Bundschuhen sicherer steht und geht und weils
mit eisenbeschlagenen Sohlen erst recht "krampft". Was in dieser Beziehung
ein Steirer Tänzer leistet und ein Steirer Tanzboden aushält, läßt sich nicht
füglich beschreiben. Das Aufjauchzen wechselt mit dem "Trampfen" und der
ist der rechte Bursche, der alle übertönt. Aber daran genügts nicht. Auch
die Fäuste müssen ihr Recht haben. Mitten im Steirer Tanz treten die Tän¬
zer plötzlich gegeneinander, und während die Tänzerinnen sich im Kreise weiter
bewegen, klatschen jene mit aller Kraft in die breiten Hände, und wieder ist
der rechte Bursch, wer alle andern im Händeklatschen übertönt.

Den Dirnen ist ein weniger lärmender Theil vom Tanz zugefallen. Sie
lassen sich drehen und schwenken, bald rechts, bald links, bald unter des Tän¬
zers Armen durch, bald im Kreise um sich selbst, die Arme von dem Tänzer
hoch empor gehalten. Nun setzt es einen Kuß, jetzt wieder gilt es den be¬
rauschten Burschen bei seinen waghalsigen Drehungen, Sprüngen und Knixen
vor völligem Umfallen zu bewahren, oder sich nicht durch nachdrängende
Paare von ihm, der sich im lange fortgesetzten Solo gefällt, trennen zu lassen.
Die tollsten Erfindungen des Augenblicks suchen auf der Stelle rhren Ausdruck
in Sprung, Tritt und Wendung, und, wie jeder Volkstanz, lebt der echte
Steirer Tanz in seiner Blüte von dem Schaum der Lust und des Rausches, den
die Minute aufsteigen läßt.

Hat des Hirschbauers Tanzgesellschaft unter dem Einfluß dieses natur¬
wüchsigen Hauchs etwas Poetisches?

Nicht sonderlich viel, wenn auch einiges. Wir wollen einen Schritt
näher herantreten. Da ist ein echtes Schweizergesicht, das uns schon auf dem
leeren Tanzboden auffiel, ein Bursche von etwa 25 Jahren, das Haar weit
in der Stirn, den grünen Hut im Nacken; keinen Tanz läßt er überstehen;
welche Dirne er schwenkt, gilt ihm ganz gleich, bald eine schmucke, bald eine
"schiache" (häßliche), bald auch ein altes Weib, denn hier tanzt jedes Alter.


mit sieht man zwar handfest zugreifende, aber keine ausgehungerten Stell¬
vertreter.

Um sieben Uhr macht sich der Wirth, mit einem Holzteller und einem Stück
weißer Kreide bewaffnet, an den Rundgang. Was jeder Gast zu zahlen hat,
pflegt nicht vorher festgesetzt zu werden. Um der Kundschaft willen, weiß
man schon, wird der Wirth leisten, was in seinen Kräften steht und sich mit
einem mäßigen Ueberschuß begnügen. Meist handelt sichs um 2^ bis 3'/2
Gulden für jeden Gast.

Nun wird im engen Tanzsaal neu gekehrt, frische Luft gemacht, Feder¬
weißstaub gestreut. Die ungeduldigsten Tänzer tummeln sich jauchzend und
jodelnd auf den noch leeren Dielen umher. Schwere Nagelschuhe haben sie
an, nicht nur weil leichtes Fußzeug in ihrer Schublade fehlt, mehr noch weil
sichs in fünf Pfund schweren Bundschuhen sicherer steht und geht und weils
mit eisenbeschlagenen Sohlen erst recht „krampft". Was in dieser Beziehung
ein Steirer Tänzer leistet und ein Steirer Tanzboden aushält, läßt sich nicht
füglich beschreiben. Das Aufjauchzen wechselt mit dem „Trampfen" und der
ist der rechte Bursche, der alle übertönt. Aber daran genügts nicht. Auch
die Fäuste müssen ihr Recht haben. Mitten im Steirer Tanz treten die Tän¬
zer plötzlich gegeneinander, und während die Tänzerinnen sich im Kreise weiter
bewegen, klatschen jene mit aller Kraft in die breiten Hände, und wieder ist
der rechte Bursch, wer alle andern im Händeklatschen übertönt.

Den Dirnen ist ein weniger lärmender Theil vom Tanz zugefallen. Sie
lassen sich drehen und schwenken, bald rechts, bald links, bald unter des Tän¬
zers Armen durch, bald im Kreise um sich selbst, die Arme von dem Tänzer
hoch empor gehalten. Nun setzt es einen Kuß, jetzt wieder gilt es den be¬
rauschten Burschen bei seinen waghalsigen Drehungen, Sprüngen und Knixen
vor völligem Umfallen zu bewahren, oder sich nicht durch nachdrängende
Paare von ihm, der sich im lange fortgesetzten Solo gefällt, trennen zu lassen.
Die tollsten Erfindungen des Augenblicks suchen auf der Stelle rhren Ausdruck
in Sprung, Tritt und Wendung, und, wie jeder Volkstanz, lebt der echte
Steirer Tanz in seiner Blüte von dem Schaum der Lust und des Rausches, den
die Minute aufsteigen läßt.

Hat des Hirschbauers Tanzgesellschaft unter dem Einfluß dieses natur¬
wüchsigen Hauchs etwas Poetisches?

Nicht sonderlich viel, wenn auch einiges. Wir wollen einen Schritt
näher herantreten. Da ist ein echtes Schweizergesicht, das uns schon auf dem
leeren Tanzboden auffiel, ein Bursche von etwa 25 Jahren, das Haar weit
in der Stirn, den grünen Hut im Nacken; keinen Tanz läßt er überstehen;
welche Dirne er schwenkt, gilt ihm ganz gleich, bald eine schmucke, bald eine
„schiache" (häßliche), bald auch ein altes Weib, denn hier tanzt jedes Alter.


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[0191] mit sieht man zwar handfest zugreifende, aber keine ausgehungerten Stell¬ vertreter. Um sieben Uhr macht sich der Wirth, mit einem Holzteller und einem Stück weißer Kreide bewaffnet, an den Rundgang. Was jeder Gast zu zahlen hat, pflegt nicht vorher festgesetzt zu werden. Um der Kundschaft willen, weiß man schon, wird der Wirth leisten, was in seinen Kräften steht und sich mit einem mäßigen Ueberschuß begnügen. Meist handelt sichs um 2^ bis 3'/2 Gulden für jeden Gast. Nun wird im engen Tanzsaal neu gekehrt, frische Luft gemacht, Feder¬ weißstaub gestreut. Die ungeduldigsten Tänzer tummeln sich jauchzend und jodelnd auf den noch leeren Dielen umher. Schwere Nagelschuhe haben sie an, nicht nur weil leichtes Fußzeug in ihrer Schublade fehlt, mehr noch weil sichs in fünf Pfund schweren Bundschuhen sicherer steht und geht und weils mit eisenbeschlagenen Sohlen erst recht „krampft". Was in dieser Beziehung ein Steirer Tänzer leistet und ein Steirer Tanzboden aushält, läßt sich nicht füglich beschreiben. Das Aufjauchzen wechselt mit dem „Trampfen" und der ist der rechte Bursche, der alle übertönt. Aber daran genügts nicht. Auch die Fäuste müssen ihr Recht haben. Mitten im Steirer Tanz treten die Tän¬ zer plötzlich gegeneinander, und während die Tänzerinnen sich im Kreise weiter bewegen, klatschen jene mit aller Kraft in die breiten Hände, und wieder ist der rechte Bursch, wer alle andern im Händeklatschen übertönt. Den Dirnen ist ein weniger lärmender Theil vom Tanz zugefallen. Sie lassen sich drehen und schwenken, bald rechts, bald links, bald unter des Tän¬ zers Armen durch, bald im Kreise um sich selbst, die Arme von dem Tänzer hoch empor gehalten. Nun setzt es einen Kuß, jetzt wieder gilt es den be¬ rauschten Burschen bei seinen waghalsigen Drehungen, Sprüngen und Knixen vor völligem Umfallen zu bewahren, oder sich nicht durch nachdrängende Paare von ihm, der sich im lange fortgesetzten Solo gefällt, trennen zu lassen. Die tollsten Erfindungen des Augenblicks suchen auf der Stelle rhren Ausdruck in Sprung, Tritt und Wendung, und, wie jeder Volkstanz, lebt der echte Steirer Tanz in seiner Blüte von dem Schaum der Lust und des Rausches, den die Minute aufsteigen läßt. Hat des Hirschbauers Tanzgesellschaft unter dem Einfluß dieses natur¬ wüchsigen Hauchs etwas Poetisches? Nicht sonderlich viel, wenn auch einiges. Wir wollen einen Schritt näher herantreten. Da ist ein echtes Schweizergesicht, das uns schon auf dem leeren Tanzboden auffiel, ein Bursche von etwa 25 Jahren, das Haar weit in der Stirn, den grünen Hut im Nacken; keinen Tanz läßt er überstehen; welche Dirne er schwenkt, gilt ihm ganz gleich, bald eine schmucke, bald eine „schiache" (häßliche), bald auch ein altes Weib, denn hier tanzt jedes Alter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/191>, abgerufen am 22.07.2024.