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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Haus' und Hofesdienst, noch für den Fabrikdienst verwendeten Leibeigenen zu
einem besser rentirenden Capital zu machen. Dies Mittel bot sich einestheils
in der angeborenen Wanderlust des Russen, anderntheils in dem von oben
her angeregten Gelüst nach bürgerlichen Beschäftigungen, endlich in der
slavischen Gemeindeorganisatiou. Der Gutsherr gab denjenigen Eigen-
hörigen, welche es wünschten, die Erlaubniß, sich Arbeit und Verdienst in
der Fremde zu suchen, wofür sie eine bestimmte persönliche Abgabe ent¬
richten müssen, die dem Herrn mehr einträgt, als der Frohndienst des Ein¬
zelnen in der Gemeinde. Denn nach der nationalen Gemeindeorganisation
verliert der sich zeitweise entfernende Bauer sein ihm von der Gemeinde zu¬
gewiesenes Land keineswegs. Entweder bearbeiten es seine Angehörigen oder
die Gesammtkräfte der Gemeinde. Auf jeden Fall nimmt der Herr keine Rück¬
sicht darauf, die communalen Verpflichtungen an Frohnden oder Abgaben für
ihn wie für die Krone bleiben immer dieselben. Der Grundherr gewinnt also
durch solche "Entlassungen auf Obrok" doppelt.

Hütte nicht vorher die gesetzliche Einführung der rein persönlichen Leib¬
eigenschaft das nationale Gemeindewesen bereits tief erschüttert gelinde. so
würde sich in der Macht der Gemeinden über ihre Angehörigen sehr wahr¬
scheinlich ein Gegengewicht gegen diese nun auch materielle Gefährdung der
communalen Solidarität gefunden haben. Allein dies war jetzt eben nicht
mehr möglich. Es geschah sehr bald, daß in minder fruchtbaren Landstrichen
in der That nur noch die Alten. Weiber und Unmündigen so weit für den
Ackerbau sorgten. als für das laufende Bedürfniß und die Erfüllung der com¬
munalen Verpflichtungen gegen den Staat und die Grundherrn unumgänglich
bUev. Ja. da die Grundherrn damals noch Land viae Leibeigne und Leib-
eigne ohne Land verkaufen konnten, so begründete sich auf die Obrokentlas-
sung eine ganz specielle Speculation. Die Leibherrn verkauften nämlich den
Grundbesitz bis auf ein Minimum, dirigirten alle Leibeigenen nach bestimmten
Städten und Districten. bestellten dort eigene Aufseher, welche den Erwerb
jedes einzelnen "auf Obrok Entlassener" controliren und ihn danach persön¬
lich besteuern mußten. Damit war natürlich den maßlosesten Willkürlichkeiten
und Bedrückungen Thor und Thür geöffnet. Außerdem kamen bisher unbe¬
kannte Vermögensverschiedenheiten in die heimische Gemeinde, wenn ein "Ent¬
lassener" etwa steinreich, ein anderer bettelarm zurückkehrte; jener beanspruchte
besondere Berechtigungen. dieser besondere Unterstützungen von der Commune.
Endlich aber drängte sich noch eine neue Aristokratie herein, als die Heer¬
verfassung den ausgedienter Soldaten die persönliche Freiheit als Abschieds¬
geschenk verlieh, ohne doch die Gemeinden der Pflicht zu entheben, für diese
zurückkehrenden, seit zwanzig Jahren entfremdeten, der ländlichen Arbeiten
ungewohnten Mitglieder zu sorgen.




2.

Haus' und Hofesdienst, noch für den Fabrikdienst verwendeten Leibeigenen zu
einem besser rentirenden Capital zu machen. Dies Mittel bot sich einestheils
in der angeborenen Wanderlust des Russen, anderntheils in dem von oben
her angeregten Gelüst nach bürgerlichen Beschäftigungen, endlich in der
slavischen Gemeindeorganisatiou. Der Gutsherr gab denjenigen Eigen-
hörigen, welche es wünschten, die Erlaubniß, sich Arbeit und Verdienst in
der Fremde zu suchen, wofür sie eine bestimmte persönliche Abgabe ent¬
richten müssen, die dem Herrn mehr einträgt, als der Frohndienst des Ein¬
zelnen in der Gemeinde. Denn nach der nationalen Gemeindeorganisation
verliert der sich zeitweise entfernende Bauer sein ihm von der Gemeinde zu¬
gewiesenes Land keineswegs. Entweder bearbeiten es seine Angehörigen oder
die Gesammtkräfte der Gemeinde. Auf jeden Fall nimmt der Herr keine Rück¬
sicht darauf, die communalen Verpflichtungen an Frohnden oder Abgaben für
ihn wie für die Krone bleiben immer dieselben. Der Grundherr gewinnt also
durch solche „Entlassungen auf Obrok" doppelt.

Hütte nicht vorher die gesetzliche Einführung der rein persönlichen Leib¬
eigenschaft das nationale Gemeindewesen bereits tief erschüttert gelinde. so
würde sich in der Macht der Gemeinden über ihre Angehörigen sehr wahr¬
scheinlich ein Gegengewicht gegen diese nun auch materielle Gefährdung der
communalen Solidarität gefunden haben. Allein dies war jetzt eben nicht
mehr möglich. Es geschah sehr bald, daß in minder fruchtbaren Landstrichen
in der That nur noch die Alten. Weiber und Unmündigen so weit für den
Ackerbau sorgten. als für das laufende Bedürfniß und die Erfüllung der com¬
munalen Verpflichtungen gegen den Staat und die Grundherrn unumgänglich
bUev. Ja. da die Grundherrn damals noch Land viae Leibeigne und Leib-
eigne ohne Land verkaufen konnten, so begründete sich auf die Obrokentlas-
sung eine ganz specielle Speculation. Die Leibherrn verkauften nämlich den
Grundbesitz bis auf ein Minimum, dirigirten alle Leibeigenen nach bestimmten
Städten und Districten. bestellten dort eigene Aufseher, welche den Erwerb
jedes einzelnen „auf Obrok Entlassener" controliren und ihn danach persön¬
lich besteuern mußten. Damit war natürlich den maßlosesten Willkürlichkeiten
und Bedrückungen Thor und Thür geöffnet. Außerdem kamen bisher unbe¬
kannte Vermögensverschiedenheiten in die heimische Gemeinde, wenn ein „Ent¬
lassener" etwa steinreich, ein anderer bettelarm zurückkehrte; jener beanspruchte
besondere Berechtigungen. dieser besondere Unterstützungen von der Commune.
Endlich aber drängte sich noch eine neue Aristokratie herein, als die Heer¬
verfassung den ausgedienter Soldaten die persönliche Freiheit als Abschieds¬
geschenk verlieh, ohne doch die Gemeinden der Pflicht zu entheben, für diese
zurückkehrenden, seit zwanzig Jahren entfremdeten, der ländlichen Arbeiten
ungewohnten Mitglieder zu sorgen.




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[0019] Haus' und Hofesdienst, noch für den Fabrikdienst verwendeten Leibeigenen zu einem besser rentirenden Capital zu machen. Dies Mittel bot sich einestheils in der angeborenen Wanderlust des Russen, anderntheils in dem von oben her angeregten Gelüst nach bürgerlichen Beschäftigungen, endlich in der slavischen Gemeindeorganisatiou. Der Gutsherr gab denjenigen Eigen- hörigen, welche es wünschten, die Erlaubniß, sich Arbeit und Verdienst in der Fremde zu suchen, wofür sie eine bestimmte persönliche Abgabe ent¬ richten müssen, die dem Herrn mehr einträgt, als der Frohndienst des Ein¬ zelnen in der Gemeinde. Denn nach der nationalen Gemeindeorganisation verliert der sich zeitweise entfernende Bauer sein ihm von der Gemeinde zu¬ gewiesenes Land keineswegs. Entweder bearbeiten es seine Angehörigen oder die Gesammtkräfte der Gemeinde. Auf jeden Fall nimmt der Herr keine Rück¬ sicht darauf, die communalen Verpflichtungen an Frohnden oder Abgaben für ihn wie für die Krone bleiben immer dieselben. Der Grundherr gewinnt also durch solche „Entlassungen auf Obrok" doppelt. Hütte nicht vorher die gesetzliche Einführung der rein persönlichen Leib¬ eigenschaft das nationale Gemeindewesen bereits tief erschüttert gelinde. so würde sich in der Macht der Gemeinden über ihre Angehörigen sehr wahr¬ scheinlich ein Gegengewicht gegen diese nun auch materielle Gefährdung der communalen Solidarität gefunden haben. Allein dies war jetzt eben nicht mehr möglich. Es geschah sehr bald, daß in minder fruchtbaren Landstrichen in der That nur noch die Alten. Weiber und Unmündigen so weit für den Ackerbau sorgten. als für das laufende Bedürfniß und die Erfüllung der com¬ munalen Verpflichtungen gegen den Staat und die Grundherrn unumgänglich bUev. Ja. da die Grundherrn damals noch Land viae Leibeigne und Leib- eigne ohne Land verkaufen konnten, so begründete sich auf die Obrokentlas- sung eine ganz specielle Speculation. Die Leibherrn verkauften nämlich den Grundbesitz bis auf ein Minimum, dirigirten alle Leibeigenen nach bestimmten Städten und Districten. bestellten dort eigene Aufseher, welche den Erwerb jedes einzelnen „auf Obrok Entlassener" controliren und ihn danach persön¬ lich besteuern mußten. Damit war natürlich den maßlosesten Willkürlichkeiten und Bedrückungen Thor und Thür geöffnet. Außerdem kamen bisher unbe¬ kannte Vermögensverschiedenheiten in die heimische Gemeinde, wenn ein „Ent¬ lassener" etwa steinreich, ein anderer bettelarm zurückkehrte; jener beanspruchte besondere Berechtigungen. dieser besondere Unterstützungen von der Commune. Endlich aber drängte sich noch eine neue Aristokratie herein, als die Heer¬ verfassung den ausgedienter Soldaten die persönliche Freiheit als Abschieds¬ geschenk verlieh, ohne doch die Gemeinden der Pflicht zu entheben, für diese zurückkehrenden, seit zwanzig Jahren entfremdeten, der ländlichen Arbeiten ungewohnten Mitglieder zu sorgen. 2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/19>, abgerufen am 22.07.2024.