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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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tutt trösten, oder sich helfen wie es die Landessitte mit sich bringt. Handelt
sichs um einen Knecht, einen Pachter, einen Landmann, so muß er ein ge¬
wisses Vermögen, einen bestimmten Besitz nachweisen; die rüstigen Arme,
welche ihm täglichen Erwerb verheißen, genügen nicht, die Gemeinde über die
Möglichkeit einer Verarmung des betreffenden Freiers zu beruhigen. Auch er
mag warten d. h. alt und grau werden und inzwischen sich trösten, wie es
der Handwerker thut.

Diese Eheschwierigkeiten haben ihre leicht errathbaren Folgen. Wir wer¬
den später einmal auf diesen Gegenstand ausführlicher zurückkommen. Für
heute genüge die Andeutung, daß wir uns in einer Gegend befinden, wo viele
Bündnisse bestehen, denen der kirchliche Segen aus gemeindepolitischen Gründen
vorenthalten wird; daß eine weitgreifende Laxheit der Sitten dadurch sich
auch i>n den Verkehr solcher Personen eingeschlichen hat. welche alle Be¬
dingungen des Gesetzes zu erfüllen im Stande sind, und daß der Pfarrer
häusig sein ganzes Ansehen in die Wagschale werfen muß, um die Betreffen¬
den gemeinsam zum Altar zu bringen.

Es ist ihm diesmal gelungen; vielleicht fand sich gar eins der beiden
Paare, denn es gibt eine doppelte Trauung, freiwillig ein. Genug, die
sonstigen Verlöbnißsörmlichkeiten sind nicht mehr nöthig gewesen, und der
alte Blaset am Eck, sonst der beliebte Vermittler, hat keinen Kuppelpelz verdient.

Dieser Blasel hat das verschmitzteste Gesicht in der ganzen Umgegend,
und seine fröhlich rothen Wangen überreden besser fast, als es die mancherlei
Gründe vermögen, die ihm fünfzigjährige Erfahrung in diesem Geschäfte ge¬
läufig machte. "Du, Kühmensch," sagt er da wol Abends zu einer Schwä¬
gerin (Sennerin), die eben mit hu und ho eintreibt, "was zahlst für die
Neuigkeit, die ich unter der Kappen hab?"

"He," gibt sie zurück und wirst mit einem Stein nach dem unfolgsamsten
ihrer Thiere, "dunstig mag schon sein, was du unter der dreckigen Kappen
hast. Mag eh nichts davon schmecken."

"Bischt doch die bissigste Sau auf der ganzen Alm" sagt der Blasel
wieder und macht sichs bequem. "Geh her und schau, daß ich e Stutzen
Millins zu saufen krieg. Auf die Sackwiesen geh ich nit wieder vetteln
(werben) und wenn der Garnsbauer selber anspannen that."

Während dessen "hulitzt" die derbknochige Vevi (Genoveva) hinter ihren
eilf Kühen und Kälbern drein, sperrt sie endlich in den Stall neben ihrer
Almhütte und macht sich sofort ans Melken.

"Hascht dir's wegen des Natzels überdacht?" fragt der Blasel nach einer
Weile und zündet Feuerschwamm an.

"Laß mi aus mit dem Fratz" doues hinter dem Kuheuter hervor, wo die
Vevi vollauf beschäftigt ist. '


tutt trösten, oder sich helfen wie es die Landessitte mit sich bringt. Handelt
sichs um einen Knecht, einen Pachter, einen Landmann, so muß er ein ge¬
wisses Vermögen, einen bestimmten Besitz nachweisen; die rüstigen Arme,
welche ihm täglichen Erwerb verheißen, genügen nicht, die Gemeinde über die
Möglichkeit einer Verarmung des betreffenden Freiers zu beruhigen. Auch er
mag warten d. h. alt und grau werden und inzwischen sich trösten, wie es
der Handwerker thut.

Diese Eheschwierigkeiten haben ihre leicht errathbaren Folgen. Wir wer¬
den später einmal auf diesen Gegenstand ausführlicher zurückkommen. Für
heute genüge die Andeutung, daß wir uns in einer Gegend befinden, wo viele
Bündnisse bestehen, denen der kirchliche Segen aus gemeindepolitischen Gründen
vorenthalten wird; daß eine weitgreifende Laxheit der Sitten dadurch sich
auch i>n den Verkehr solcher Personen eingeschlichen hat. welche alle Be¬
dingungen des Gesetzes zu erfüllen im Stande sind, und daß der Pfarrer
häusig sein ganzes Ansehen in die Wagschale werfen muß, um die Betreffen¬
den gemeinsam zum Altar zu bringen.

Es ist ihm diesmal gelungen; vielleicht fand sich gar eins der beiden
Paare, denn es gibt eine doppelte Trauung, freiwillig ein. Genug, die
sonstigen Verlöbnißsörmlichkeiten sind nicht mehr nöthig gewesen, und der
alte Blaset am Eck, sonst der beliebte Vermittler, hat keinen Kuppelpelz verdient.

Dieser Blasel hat das verschmitzteste Gesicht in der ganzen Umgegend,
und seine fröhlich rothen Wangen überreden besser fast, als es die mancherlei
Gründe vermögen, die ihm fünfzigjährige Erfahrung in diesem Geschäfte ge¬
läufig machte. „Du, Kühmensch," sagt er da wol Abends zu einer Schwä¬
gerin (Sennerin), die eben mit hu und ho eintreibt, „was zahlst für die
Neuigkeit, die ich unter der Kappen hab?"

„He," gibt sie zurück und wirst mit einem Stein nach dem unfolgsamsten
ihrer Thiere, „dunstig mag schon sein, was du unter der dreckigen Kappen
hast. Mag eh nichts davon schmecken."

„Bischt doch die bissigste Sau auf der ganzen Alm" sagt der Blasel
wieder und macht sichs bequem. „Geh her und schau, daß ich e Stutzen
Millins zu saufen krieg. Auf die Sackwiesen geh ich nit wieder vetteln
(werben) und wenn der Garnsbauer selber anspannen that."

Während dessen „hulitzt" die derbknochige Vevi (Genoveva) hinter ihren
eilf Kühen und Kälbern drein, sperrt sie endlich in den Stall neben ihrer
Almhütte und macht sich sofort ans Melken.

„Hascht dir's wegen des Natzels überdacht?" fragt der Blasel nach einer
Weile und zündet Feuerschwamm an.

„Laß mi aus mit dem Fratz" doues hinter dem Kuheuter hervor, wo die
Vevi vollauf beschäftigt ist. '


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/183>, abgerufen am 03.07.2024.