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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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bis noch vor wenig Jahren eine lateinische Anrede des Schulmeisters. Das
Costüm des Regenten bildet ein alterthümliches Staatskleid. Nicht ohne das
Gefolge zweier Livrvebedienten dürfen sie über die Straße gehn, bei der Messe
hat der Priester das Rauchfaß vor ihnen zu schwingen und im Theater (denn
auch an einem solchen -- und zwar von 49 Logen -- fehlt es San Marino
nicht) ist die große Mittelloge ihnen vorbehalten.

Die Rechtspflege erfordert in dem Freistaat zum Glück geringen Aufwand
an Kräften. Die Zahl von sieben oder acht Processen im Jahr wird selten oder
nie überschritten. Daneben kommen zwei oder drei Siraferkenntnisse, meist
wegen leichterer Vergehen vor. Ich selbst traf einst im Kerkerthurm der lioeea,
einen Strafgefangenen, zu dem man sich so wenig etwas Arges versah, daß
man ihm allein die Bewachung seiner selbst anvertraut hatte. Das Wenige,
was in San Marino an juristischer Arbeit zu thun ist, wird auf je drei Jahre
einem auswärtigen Lommissai-lo übertragen, der Ooetor M-is sein muß
und seine Entscheidungen, außer auf das einheimische Statut, auf römisches,
nicht aber aus kanonisches Recht zu gründen hat.

Gewissermaßen als Minister stehen den Regenten zur Seite die beiden
Generalsecretäre (al Lolo und äsM esteri) und der LvAretario al
uns-nxe. Eine Art diplomatische Vertretung der Republik besteht in Rom und
in Florenz, außerdem hat sie Handelsagenten an verschiedenen Orten. --
Die politische Bedeutung, welche nach Addisons Vorgang die meisten Schrift¬
steller dem Arzte beilegen, ist einfach eine Fabel. Ein Arzt und ein Chirurg
in der Stadt und ein in beiden Zweigen der Medicin erfahrener Wundarzt
in Borgo werden allerdings aus Staatsmitteln besoldet, um den Aermeren
unentgeltlich Hilfe zu leisten; ihre Amtsthätigkeit bleibt aber allein auf ihren
speciellen Beruf beschränkt:

In die Miliz eingeschrieben ist etwa die Hälfte aller Waffenfähigen.
Sie zerfallen in neun Compagnien von je 140 Mann und stehen unter einem
Loimng.uäiurw Miieralö. Waffen und Uniform für sie bleiben aber außer der
Zeit der jährlichen Uebungen oder wirtlichen Dienstes in dem Huftiere eletto
miliÄk verwahrt. Dauernd unter den Waffen stehen dagegen die beiden
Wachen (des Lonsiglio xrineixc- und des Castells) von 24 Mann, die zum
Unterschied der Milizen Löhnung erhalten und denen ein besonderer Comman¬
dant vorgeordnet ist. Den Polizeidienst endlich verrichten ein paar toscanische
<na.i-Äbiiüeri.

Diese geringe Waffenmacht hat nicht weniger als fünfundsiebenzig Offiziere,
deren Dienst jedoch natürlich größtentheils nur nominell ist. Unter dem Adel des
Kirchenstaats und Tosccmas ist es Sitte, sich in San Marino um ein Ofsiziers-
patent zu bewerben und so stehen auf der Stammrolle der Republik viele der
erlauchtesten Namen von Italien und selbst zwei Mitglieder des Hauses Na-


bis noch vor wenig Jahren eine lateinische Anrede des Schulmeisters. Das
Costüm des Regenten bildet ein alterthümliches Staatskleid. Nicht ohne das
Gefolge zweier Livrvebedienten dürfen sie über die Straße gehn, bei der Messe
hat der Priester das Rauchfaß vor ihnen zu schwingen und im Theater (denn
auch an einem solchen — und zwar von 49 Logen — fehlt es San Marino
nicht) ist die große Mittelloge ihnen vorbehalten.

Die Rechtspflege erfordert in dem Freistaat zum Glück geringen Aufwand
an Kräften. Die Zahl von sieben oder acht Processen im Jahr wird selten oder
nie überschritten. Daneben kommen zwei oder drei Siraferkenntnisse, meist
wegen leichterer Vergehen vor. Ich selbst traf einst im Kerkerthurm der lioeea,
einen Strafgefangenen, zu dem man sich so wenig etwas Arges versah, daß
man ihm allein die Bewachung seiner selbst anvertraut hatte. Das Wenige,
was in San Marino an juristischer Arbeit zu thun ist, wird auf je drei Jahre
einem auswärtigen Lommissai-lo übertragen, der Ooetor M-is sein muß
und seine Entscheidungen, außer auf das einheimische Statut, auf römisches,
nicht aber aus kanonisches Recht zu gründen hat.

Gewissermaßen als Minister stehen den Regenten zur Seite die beiden
Generalsecretäre (al Lolo und äsM esteri) und der LvAretario al
uns-nxe. Eine Art diplomatische Vertretung der Republik besteht in Rom und
in Florenz, außerdem hat sie Handelsagenten an verschiedenen Orten. —
Die politische Bedeutung, welche nach Addisons Vorgang die meisten Schrift¬
steller dem Arzte beilegen, ist einfach eine Fabel. Ein Arzt und ein Chirurg
in der Stadt und ein in beiden Zweigen der Medicin erfahrener Wundarzt
in Borgo werden allerdings aus Staatsmitteln besoldet, um den Aermeren
unentgeltlich Hilfe zu leisten; ihre Amtsthätigkeit bleibt aber allein auf ihren
speciellen Beruf beschränkt:

In die Miliz eingeschrieben ist etwa die Hälfte aller Waffenfähigen.
Sie zerfallen in neun Compagnien von je 140 Mann und stehen unter einem
Loimng.uäiurw Miieralö. Waffen und Uniform für sie bleiben aber außer der
Zeit der jährlichen Uebungen oder wirtlichen Dienstes in dem Huftiere eletto
miliÄk verwahrt. Dauernd unter den Waffen stehen dagegen die beiden
Wachen (des Lonsiglio xrineixc- und des Castells) von 24 Mann, die zum
Unterschied der Milizen Löhnung erhalten und denen ein besonderer Comman¬
dant vorgeordnet ist. Den Polizeidienst endlich verrichten ein paar toscanische
<na.i-Äbiiüeri.

Diese geringe Waffenmacht hat nicht weniger als fünfundsiebenzig Offiziere,
deren Dienst jedoch natürlich größtentheils nur nominell ist. Unter dem Adel des
Kirchenstaats und Tosccmas ist es Sitte, sich in San Marino um ein Ofsiziers-
patent zu bewerben und so stehen auf der Stammrolle der Republik viele der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/160>, abgerufen am 22.07.2024.