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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wenig Jahre, nachdem sie deren Ungrund haben anerkennen müssen, schon
wieder in neuer Gestalt damit hervortreten.

Später strecken die Tyrannen von Rimini, die Malatesta. wiederholt ihren
Arm gierig nach der benachbarten Bergfeste aus.

Endlich seit den letzten viertehalb Jahrhunderten haben die Päpste wieder¬
holtes Gelüste bezeugt, die ihnen mannigfach unbequeme Republik dem sie
rings umgebenden Kirchenstaate einzuverleiben.

Was rechtfertigt oder was erklärt denn nun aber so ausdauernde Bestän¬
digkeit? Der Ertrag des Bodens ist es nicht, der durch besondern Reichthum
zu fesseln vermöchte. Wenn auch ein erheblicher Theil des steinigen Landes
mit der Hacke bearbeitet wird, so trägt es an Weizen und Mais, den beiden
einzigen regelmäßig gebauten Früchten, doch im Durchschnitt nur das fünfte
Korn. So genügt denn das einheimische Ergebniß nie für den Bedarf. Kar¬
toffeln gedeihen nicht. Bohnen werden hin und wieder in der Bräche gesteckt.
Von dem Weine wird gerühmt, daß er der edelste sei. der nördlich der Apen¬
ninen wächst, und nicht unerhebliche Ausfuhr nach Venedig wars in frühern
Zeiten der Republik einen namhaften Bciarertrag ab. Wiederholte Mißjahre
haben, wie in unserm Ahrthal, die Weinbauer entmuthigt und viele einst
mit Reben bestandene Strecken sind jetzt unter die Pflugschar genommen.
Aehnliches gilt von den Oliven, die den Eisbildungen der rauhen Winter-
nebel leicht erliegen. Unbedeutend ist auch die Seidenzucht, und andere In¬
dustrie ist kaum des Rennens werth. Indeß verdient bemerkt zu werden, daß
während der einheimische Tabaksbau verboten ist. die Blätter im benachbarten
Kirchenstaat vielfach aufgekauft und in San Marino zu einem weit und breit
gesuchten Fabrikat verarbeitet werden. Auch Schießpulver und Spielkarten
werden in vorzüglicher Qualität gefertigt und genießen ziemlich weiten Vertrieb.

Alles dies reicht aber nicht aus. der Bevölkerung, obwol sie nicht über¬
mäßig dicht ist, leidliches Auskommen zu gewähren, und so steigen denn Hun¬
derte zur Winterszeit in die römischen Ebenen hinunter, um als Feldarbeiter
einen Verdienst zu suchen, oder die eines Handwerks Kundigen, besonders
Steinmetze und Schuhmacher, wandern auch wol Jahrelang in die Fremde.

Alle aber, früher oder später, kehren sie aus der fruchtbaren, sonnendurch¬
wärmten Ebene zurück in die rauhe, steinige Heimath.

Fragen wir sie selber, was sie heimzieht, so zweifle ich nicht, sie werden
alle noch vor der Liebe zu Eltern oder Geschwistern, die Freiheit jener Berges¬
republik als den Magnet nennen, der sie im fremden Lande nicht rasten läßt.
Wie verhält es sich denn nun mit dieser Freiheit. welche die San Marinesen
das einzige theure Erbtheil ihrer Väter nennen?

Betrachten wir in flüchtigen Umrissen das Bild der Verfassung.

Die eigentliche Volksgemeinde, zusammengesetzt aus allen Familienvätern.


wenig Jahre, nachdem sie deren Ungrund haben anerkennen müssen, schon
wieder in neuer Gestalt damit hervortreten.

Später strecken die Tyrannen von Rimini, die Malatesta. wiederholt ihren
Arm gierig nach der benachbarten Bergfeste aus.

Endlich seit den letzten viertehalb Jahrhunderten haben die Päpste wieder¬
holtes Gelüste bezeugt, die ihnen mannigfach unbequeme Republik dem sie
rings umgebenden Kirchenstaate einzuverleiben.

Was rechtfertigt oder was erklärt denn nun aber so ausdauernde Bestän¬
digkeit? Der Ertrag des Bodens ist es nicht, der durch besondern Reichthum
zu fesseln vermöchte. Wenn auch ein erheblicher Theil des steinigen Landes
mit der Hacke bearbeitet wird, so trägt es an Weizen und Mais, den beiden
einzigen regelmäßig gebauten Früchten, doch im Durchschnitt nur das fünfte
Korn. So genügt denn das einheimische Ergebniß nie für den Bedarf. Kar¬
toffeln gedeihen nicht. Bohnen werden hin und wieder in der Bräche gesteckt.
Von dem Weine wird gerühmt, daß er der edelste sei. der nördlich der Apen¬
ninen wächst, und nicht unerhebliche Ausfuhr nach Venedig wars in frühern
Zeiten der Republik einen namhaften Bciarertrag ab. Wiederholte Mißjahre
haben, wie in unserm Ahrthal, die Weinbauer entmuthigt und viele einst
mit Reben bestandene Strecken sind jetzt unter die Pflugschar genommen.
Aehnliches gilt von den Oliven, die den Eisbildungen der rauhen Winter-
nebel leicht erliegen. Unbedeutend ist auch die Seidenzucht, und andere In¬
dustrie ist kaum des Rennens werth. Indeß verdient bemerkt zu werden, daß
während der einheimische Tabaksbau verboten ist. die Blätter im benachbarten
Kirchenstaat vielfach aufgekauft und in San Marino zu einem weit und breit
gesuchten Fabrikat verarbeitet werden. Auch Schießpulver und Spielkarten
werden in vorzüglicher Qualität gefertigt und genießen ziemlich weiten Vertrieb.

Alles dies reicht aber nicht aus. der Bevölkerung, obwol sie nicht über¬
mäßig dicht ist, leidliches Auskommen zu gewähren, und so steigen denn Hun¬
derte zur Winterszeit in die römischen Ebenen hinunter, um als Feldarbeiter
einen Verdienst zu suchen, oder die eines Handwerks Kundigen, besonders
Steinmetze und Schuhmacher, wandern auch wol Jahrelang in die Fremde.

Alle aber, früher oder später, kehren sie aus der fruchtbaren, sonnendurch¬
wärmten Ebene zurück in die rauhe, steinige Heimath.

Fragen wir sie selber, was sie heimzieht, so zweifle ich nicht, sie werden
alle noch vor der Liebe zu Eltern oder Geschwistern, die Freiheit jener Berges¬
republik als den Magnet nennen, der sie im fremden Lande nicht rasten läßt.
Wie verhält es sich denn nun mit dieser Freiheit. welche die San Marinesen
das einzige theure Erbtheil ihrer Väter nennen?

Betrachten wir in flüchtigen Umrissen das Bild der Verfassung.

Die eigentliche Volksgemeinde, zusammengesetzt aus allen Familienvätern.


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[0158] wenig Jahre, nachdem sie deren Ungrund haben anerkennen müssen, schon wieder in neuer Gestalt damit hervortreten. Später strecken die Tyrannen von Rimini, die Malatesta. wiederholt ihren Arm gierig nach der benachbarten Bergfeste aus. Endlich seit den letzten viertehalb Jahrhunderten haben die Päpste wieder¬ holtes Gelüste bezeugt, die ihnen mannigfach unbequeme Republik dem sie rings umgebenden Kirchenstaate einzuverleiben. Was rechtfertigt oder was erklärt denn nun aber so ausdauernde Bestän¬ digkeit? Der Ertrag des Bodens ist es nicht, der durch besondern Reichthum zu fesseln vermöchte. Wenn auch ein erheblicher Theil des steinigen Landes mit der Hacke bearbeitet wird, so trägt es an Weizen und Mais, den beiden einzigen regelmäßig gebauten Früchten, doch im Durchschnitt nur das fünfte Korn. So genügt denn das einheimische Ergebniß nie für den Bedarf. Kar¬ toffeln gedeihen nicht. Bohnen werden hin und wieder in der Bräche gesteckt. Von dem Weine wird gerühmt, daß er der edelste sei. der nördlich der Apen¬ ninen wächst, und nicht unerhebliche Ausfuhr nach Venedig wars in frühern Zeiten der Republik einen namhaften Bciarertrag ab. Wiederholte Mißjahre haben, wie in unserm Ahrthal, die Weinbauer entmuthigt und viele einst mit Reben bestandene Strecken sind jetzt unter die Pflugschar genommen. Aehnliches gilt von den Oliven, die den Eisbildungen der rauhen Winter- nebel leicht erliegen. Unbedeutend ist auch die Seidenzucht, und andere In¬ dustrie ist kaum des Rennens werth. Indeß verdient bemerkt zu werden, daß während der einheimische Tabaksbau verboten ist. die Blätter im benachbarten Kirchenstaat vielfach aufgekauft und in San Marino zu einem weit und breit gesuchten Fabrikat verarbeitet werden. Auch Schießpulver und Spielkarten werden in vorzüglicher Qualität gefertigt und genießen ziemlich weiten Vertrieb. Alles dies reicht aber nicht aus. der Bevölkerung, obwol sie nicht über¬ mäßig dicht ist, leidliches Auskommen zu gewähren, und so steigen denn Hun¬ derte zur Winterszeit in die römischen Ebenen hinunter, um als Feldarbeiter einen Verdienst zu suchen, oder die eines Handwerks Kundigen, besonders Steinmetze und Schuhmacher, wandern auch wol Jahrelang in die Fremde. Alle aber, früher oder später, kehren sie aus der fruchtbaren, sonnendurch¬ wärmten Ebene zurück in die rauhe, steinige Heimath. Fragen wir sie selber, was sie heimzieht, so zweifle ich nicht, sie werden alle noch vor der Liebe zu Eltern oder Geschwistern, die Freiheit jener Berges¬ republik als den Magnet nennen, der sie im fremden Lande nicht rasten läßt. Wie verhält es sich denn nun mit dieser Freiheit. welche die San Marinesen das einzige theure Erbtheil ihrer Väter nennen? Betrachten wir in flüchtigen Umrissen das Bild der Verfassung. Die eigentliche Volksgemeinde, zusammengesetzt aus allen Familienvätern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/158>, abgerufen am 22.07.2024.