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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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tung noch eine Reihe anderer Gründe, welche denselben als ein Luftgebilde
erscheinen lassen.

Gleich der Titel des Schreibers des Briefes muß Verdacht erwecken. Es
soll das ein Graf von Schaum bürg und Prinz von Hessen-Kassel sein. Ein
solcher existirte aber nicht. Doch ich will mich an den "Grafen von Schaum¬
burg" nicht halten; will annehmen, es liege dieser Bezeichnung ein allenfalls
verzeihlicher Irrthum zu Grunde, und statt dieses Titels einfach "Graf von
Hanau" setzen. Wir hätten dann den Erbprinzen Wilhelm, der, so lange sein
Vater Landgraf Friedrich II. lebte, selbstständig als Graf von Hanau regierte
und ebenfalls Truppen, aber nur ein Regiment, für den englischen Dienst
gestellt hatte. Nun war aber nicht der Erbprinz Wilhelm zur Zeit der an¬
geblichen Ausstellung des Briefes (S. Febr. 1777) in Italien, sondern sein
Vater der Landgraf; es wurden auch nicht die hanauischen Truppen durch den
Ueberfall bei Trenton berührt, sondern nur die landgräflich hessische Brigade
Rail, welche aus den drei hessischen Infanterieregimentern Rail, Knyphausen
und Losberg, 6 Geschützen, einem Commando hessischer Jäger und 30 eng¬
lischen leichten Reitern unter einem Offiziere bestand. Aber weiter: der Brief
ist an einen Baron Hohendorf als den hessischen Oberbefehlshaber gerichtet;
ein Baron dieses Namens stand aber weder an der Spitze des hessischen Hee¬
res, noch war überhaupt ein Offizier dieses Namens in der hessischen Armee.
Der Höchstcommandirende der hessischen Truppen in Amerika war vielmehr der
Generallieutenant von Heister. Ebenso wenig gab es einen Major von
Mindorf.

In dem Briefe wird die Zahl der Gebliebenen genau angegeben. Schon
dieser Umstand sollte jeden Nachdenkenden veranlassen, um den Inhalt des ganzen
Briefes in Zweifel zu ziehen; denn woher und wie soll ein Truppencorps
eine genaue Kunde von seinem Verluste haben, welches überfallen und dergestalt
zersprengt wird, daß sich auch nicht ein einziger geschlossener Truppenkörper
rettet, das außerdem aber auch seine ganze Bagage verliert?

Wo und wann, frage ich ferner, hat in neuerer Zeit ein Gefecht statt
gehabt, in welchem von 1950 Mann nur 300 mit dem Leben davon ge¬
kommen sind und zwar nur durch die Flucht, so daß also auch nicht ein Mann
dem Sieger gefangen in die Hände gefallen ist? Man vergleiche sodann den
Tag des Treffens mit dem des angeblichen Berichts und dem der Antwort
des Landgrafen. Der Ueberfall geschah am 26. Dec., schon am 27. Dec. soll
von dem nicht einmal gegenwärtigen Oberbefehlshaber der Bericht erstattet
worden sein, und schon am 8. Febr. der Landgraf daraus aus Italien ge¬
antwortet haben. Erscheint da nicht jede dieser Zeitangaben als eine sofort
in die Augen springende Unmöglichkeit? Der Verfertiger des Briefes hat augen¬
scheinlich nicht daran gedacht, daß es damals noch keine Dampfschiffe gab.


tung noch eine Reihe anderer Gründe, welche denselben als ein Luftgebilde
erscheinen lassen.

Gleich der Titel des Schreibers des Briefes muß Verdacht erwecken. Es
soll das ein Graf von Schaum bürg und Prinz von Hessen-Kassel sein. Ein
solcher existirte aber nicht. Doch ich will mich an den „Grafen von Schaum¬
burg" nicht halten; will annehmen, es liege dieser Bezeichnung ein allenfalls
verzeihlicher Irrthum zu Grunde, und statt dieses Titels einfach „Graf von
Hanau" setzen. Wir hätten dann den Erbprinzen Wilhelm, der, so lange sein
Vater Landgraf Friedrich II. lebte, selbstständig als Graf von Hanau regierte
und ebenfalls Truppen, aber nur ein Regiment, für den englischen Dienst
gestellt hatte. Nun war aber nicht der Erbprinz Wilhelm zur Zeit der an¬
geblichen Ausstellung des Briefes (S. Febr. 1777) in Italien, sondern sein
Vater der Landgraf; es wurden auch nicht die hanauischen Truppen durch den
Ueberfall bei Trenton berührt, sondern nur die landgräflich hessische Brigade
Rail, welche aus den drei hessischen Infanterieregimentern Rail, Knyphausen
und Losberg, 6 Geschützen, einem Commando hessischer Jäger und 30 eng¬
lischen leichten Reitern unter einem Offiziere bestand. Aber weiter: der Brief
ist an einen Baron Hohendorf als den hessischen Oberbefehlshaber gerichtet;
ein Baron dieses Namens stand aber weder an der Spitze des hessischen Hee¬
res, noch war überhaupt ein Offizier dieses Namens in der hessischen Armee.
Der Höchstcommandirende der hessischen Truppen in Amerika war vielmehr der
Generallieutenant von Heister. Ebenso wenig gab es einen Major von
Mindorf.

In dem Briefe wird die Zahl der Gebliebenen genau angegeben. Schon
dieser Umstand sollte jeden Nachdenkenden veranlassen, um den Inhalt des ganzen
Briefes in Zweifel zu ziehen; denn woher und wie soll ein Truppencorps
eine genaue Kunde von seinem Verluste haben, welches überfallen und dergestalt
zersprengt wird, daß sich auch nicht ein einziger geschlossener Truppenkörper
rettet, das außerdem aber auch seine ganze Bagage verliert?

Wo und wann, frage ich ferner, hat in neuerer Zeit ein Gefecht statt
gehabt, in welchem von 1950 Mann nur 300 mit dem Leben davon ge¬
kommen sind und zwar nur durch die Flucht, so daß also auch nicht ein Mann
dem Sieger gefangen in die Hände gefallen ist? Man vergleiche sodann den
Tag des Treffens mit dem des angeblichen Berichts und dem der Antwort
des Landgrafen. Der Ueberfall geschah am 26. Dec., schon am 27. Dec. soll
von dem nicht einmal gegenwärtigen Oberbefehlshaber der Bericht erstattet
worden sein, und schon am 8. Febr. der Landgraf daraus aus Italien ge¬
antwortet haben. Erscheint da nicht jede dieser Zeitangaben als eine sofort
in die Augen springende Unmöglichkeit? Der Verfertiger des Briefes hat augen¬
scheinlich nicht daran gedacht, daß es damals noch keine Dampfschiffe gab.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/102>, abgerufen am 22.07.2024.