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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Wir haben seit Jahren die letztere Ansicht vertreten, wundern uns aber acht,
wenn bei dem unverkennbaren Aufschwung Oestreichs und der geschickten
Taktik seiner Regierung auch die entgegengesetzte im Publicum Raum gewinnt.
Es läßt sich von dem neuen Oestreich sehr viel Gutes sagen und wir nah¬
men daher unser Jahrhundert, welches augenscheinlich im Sinn der
östreichischen Propaganda rcdignt ist. wenn es auch im Programm heißt:
"von der Einseitigkeit der Parteirichtungen, welche in der jüngsten Vergangen¬
heit wurzeln, wird man sich frei zu erhalten bemüht sein" mit einigem Inter¬
esse zur Hand. "Die Gesellschaft, die sich zu diesem Unternehmen verbun¬
den hat. und sich des aufrichtigen Bestrebens bewußt ist. ihrer Nation da
durch einen Dienst zu leisten, dürfte sich, auch was literarische Befähigung
und Ruf betrifft, nicht scheuen, Namen zu nennen; sie hat aus Gründen,
die vielleicht errathen werden, beschlossen, daß die Nation einzig und
allein von der Einsicht in den Inhalt der ersten Hefte ihre Theilnahme ab¬
hängig machen solle." Indeß gleich nach den ersten Seiten wird man ent¬
täuscht. Die zehn bis zwölf Redensarten, welche darin vorkommen, sind die
zehnte oder zwölfte Auflage der zehn bis zwölf Redensarten, in denen sich der
bekannte Schriftsteller Diezel bewegt. Zwar wird man in sofern wieder
me. als das Vocabularium der Schimpfwörter dies Mal in mäßigere An¬
wendung gebracht ist, aber vielleicht hat die Redaction etwas gestrichen, und
jedenfalls.'wenn der Biograph Steins nicht Diezel selbst ist. so muß er einen
Doppelgänger haben. Was aber Diezel über das Verhältniß Oestreichs
zu Preußen denkt, ist bereits bekannt. Preußen ist ein Territorialstaat, dessen
Wesen darin liegt, sich nie zu einer großstaatlichen Politik erheben zu können.
Wenn das mitunter doch zu geschehen scheint, so ist das nur eine Anomalie.
Preußens Wesen besteht darin, seine Besonderheit vermittelst des Auslandes
zu erhalten (S. 18). Preußen verdankt seine Stellung in Deutschland nur
dem Einfluß des Auslandes (S. 18-. das nur hat der Verfasser selbst unter¬
strichen); Preußen verdankt Frankreich gradezu seine Großmachtstellung is. 8).
Es ist nicht nöthig, von diesen Hanswurstiaden noch mehr mitzutheilen. Wie
schön sticht dagegen Oestreich ab! es hat die deutsche Kaiserkrone mit so viel
Ehre, als ihm die Zustände des Reichs irgend gestattet, getragen (S. 3); es
hat zwar im siebenjährigen Krieg das gesammte Ausland, namentlich Nu߬
land und Frankreich gegen Preußen gewaffnet; aber das war ganz in der
Ordnung u. s, w. Nebenbei werden der deutschen Aristokratie ziemlich er¬
hebliche Komplimente gemacht. Die Verbindung Steins mit dem preußischen
Staat wird "eine unglückliche Ehe" genannt, und dieser interessante Einfall
wird mehrmals wiederholt. - Ein Anderer, der sich L. N. unterzeichnet, be¬
schreibt Fichtes Leben in derselben Art. wie es schon mehrmals geschehen ist.
die eigenthümliche Tendenz ist nur, nachzuweisen, daß Fichte nicht den Schock-


Wir haben seit Jahren die letztere Ansicht vertreten, wundern uns aber acht,
wenn bei dem unverkennbaren Aufschwung Oestreichs und der geschickten
Taktik seiner Regierung auch die entgegengesetzte im Publicum Raum gewinnt.
Es läßt sich von dem neuen Oestreich sehr viel Gutes sagen und wir nah¬
men daher unser Jahrhundert, welches augenscheinlich im Sinn der
östreichischen Propaganda rcdignt ist. wenn es auch im Programm heißt:
„von der Einseitigkeit der Parteirichtungen, welche in der jüngsten Vergangen¬
heit wurzeln, wird man sich frei zu erhalten bemüht sein" mit einigem Inter¬
esse zur Hand. „Die Gesellschaft, die sich zu diesem Unternehmen verbun¬
den hat. und sich des aufrichtigen Bestrebens bewußt ist. ihrer Nation da
durch einen Dienst zu leisten, dürfte sich, auch was literarische Befähigung
und Ruf betrifft, nicht scheuen, Namen zu nennen; sie hat aus Gründen,
die vielleicht errathen werden, beschlossen, daß die Nation einzig und
allein von der Einsicht in den Inhalt der ersten Hefte ihre Theilnahme ab¬
hängig machen solle." Indeß gleich nach den ersten Seiten wird man ent¬
täuscht. Die zehn bis zwölf Redensarten, welche darin vorkommen, sind die
zehnte oder zwölfte Auflage der zehn bis zwölf Redensarten, in denen sich der
bekannte Schriftsteller Diezel bewegt. Zwar wird man in sofern wieder
me. als das Vocabularium der Schimpfwörter dies Mal in mäßigere An¬
wendung gebracht ist, aber vielleicht hat die Redaction etwas gestrichen, und
jedenfalls.'wenn der Biograph Steins nicht Diezel selbst ist. so muß er einen
Doppelgänger haben. Was aber Diezel über das Verhältniß Oestreichs
zu Preußen denkt, ist bereits bekannt. Preußen ist ein Territorialstaat, dessen
Wesen darin liegt, sich nie zu einer großstaatlichen Politik erheben zu können.
Wenn das mitunter doch zu geschehen scheint, so ist das nur eine Anomalie.
Preußens Wesen besteht darin, seine Besonderheit vermittelst des Auslandes
zu erhalten (S. 18). Preußen verdankt seine Stellung in Deutschland nur
dem Einfluß des Auslandes (S. 18-. das nur hat der Verfasser selbst unter¬
strichen); Preußen verdankt Frankreich gradezu seine Großmachtstellung is. 8).
Es ist nicht nöthig, von diesen Hanswurstiaden noch mehr mitzutheilen. Wie
schön sticht dagegen Oestreich ab! es hat die deutsche Kaiserkrone mit so viel
Ehre, als ihm die Zustände des Reichs irgend gestattet, getragen (S. 3); es
hat zwar im siebenjährigen Krieg das gesammte Ausland, namentlich Nu߬
land und Frankreich gegen Preußen gewaffnet; aber das war ganz in der
Ordnung u. s, w. Nebenbei werden der deutschen Aristokratie ziemlich er¬
hebliche Komplimente gemacht. Die Verbindung Steins mit dem preußischen
Staat wird „eine unglückliche Ehe" genannt, und dieser interessante Einfall
wird mehrmals wiederholt. - Ein Anderer, der sich L. N. unterzeichnet, be¬
schreibt Fichtes Leben in derselben Art. wie es schon mehrmals geschehen ist.
die eigenthümliche Tendenz ist nur, nachzuweisen, daß Fichte nicht den Schock-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/77>, abgerufen am 22.12.2024.