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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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geworden. Saßen unzählig viele Leute mit'ihren Packeten auf der Gasse,
auch viele, viele Wagen und Karren angespannt, die alle, als das Thor aus
ging, mit fortwanderten. Als wir ins freie Feld kamen, sahen wir, daß die
guten Leutchen sich in alle Straßen vertheilten. Da wurden viel 1000 Wind¬
lichter gesehn, diese hatten Laternen, diese Strohschäube, andere Pechfackeln.
In Summa etliche 1000 Leute zogen in Traurigkeit fort. Ich und mein
Haufe kamen um 12 Mitternacht gen Themar, welche Stadt sich mit uns
auch aufmachte, und abermals etliche hundert mehr wurden. Der Marsch ging
auf Schwarzig, Steinbach zu, und als wir gegen Morgen in ein Dorf kamen,
da wurden die Leute erschreckt, daß sie Haus und Hos auch zurückließen, und
mit uns fortzögen. Wir waren etwa eine Stunde in der Herberge gewesen,
so kam schon Post, daß die Kroaten diesen Morgen wären zu Themar einge¬
fallen, hätten die Fuhrmannsgüter oder Geleit ausgehauen, geplündert, dem Bürge¬
rn erster den Kopf aufgespalten, die Kirche ausgeplündert, auch die Orgelpfeifen
auf deu Markt herausgetragen etc. Da wars hohe Zeit, daß wir gewichen.
Hildburghausen aber hat sich darnach mit einer großen Summe Geldes und Kelchen
ranzioniren müssen, sonst wäre die Stadt auch eingeäschert worden, wie andere
Städte. Auf dieser Wanderschaft bekam ich auch ein Paar Handschuh, Messer und
Scheide verehret. Das währte etwa 5> oder 0 Tage, da kam die Post, die
Feinde wären von Koburg aufgebrochen. Da konnte ich nicht länger bleiben.
Ich lief geschwind auf Römhild zu, wo mein Herr Gevatter Cremer Amts-
schreiber war. Mußte Herrn Amtmann referiren, wie mirs ergangen.. Nur
dieses Städtlein blieb ungeplündert. Herr Amtmann ließ Feuer unter sie
geben, und Gott erhielt durch des Amtmanns Vorsicht dies Städtlein. Unterdeß
kam Römhild ganz voll Exulanten, die theils bekannt, theils unbekannt
waren. Ich achtete aber damals keiner Gesellschaft, überlief viel 100 Men¬
schen und kam zuerst nach Heldburg zurück, eben da man die Erschlagenen auf
einem Karren auf den Gottesacker führte. Als ich solches sah, ging ich auf.
den Gottesacker, und fand 17 Personen in einem Grab liegen, darunter
waren 3 Rathspersonen, eine mein Schwiegervater, der Cantor. etliche
Bürger, der Hofmeister, Landknecht und Stadtknecht. Waren alle gräulich
zugerichtet. Nach diesem ging ich in meiner Schwiegerin Haus, da fand ich
sie krank, und vom Radeln, Zwicken mit Pistolschrauben so übel zugerichtet,
daß sie mir kaum Rede geben konnte. Sie gab sich darein, sie müßte auch ster¬
ben. Drum befahl sie. ich solle mein Weib und Kinder, welche der Feind
mitgenommen,-suchen lassen. Es waren aber die Kinder, (du Michel IV-,
und deine älteste Schwester 5 Jahr alt). Gern hätte ich zu Heldburg etwas
gegessen, es war aber weder zu essen noch zu trinken da. Laufe deswegen
hungrig und erschrocken auf Poppenhausen zu, dort nicht allein mich zu erquicken,
sondern auch Boten zu schaffen, die mein Weib und Kinder suchte" und aus-


geworden. Saßen unzählig viele Leute mit'ihren Packeten auf der Gasse,
auch viele, viele Wagen und Karren angespannt, die alle, als das Thor aus
ging, mit fortwanderten. Als wir ins freie Feld kamen, sahen wir, daß die
guten Leutchen sich in alle Straßen vertheilten. Da wurden viel 1000 Wind¬
lichter gesehn, diese hatten Laternen, diese Strohschäube, andere Pechfackeln.
In Summa etliche 1000 Leute zogen in Traurigkeit fort. Ich und mein
Haufe kamen um 12 Mitternacht gen Themar, welche Stadt sich mit uns
auch aufmachte, und abermals etliche hundert mehr wurden. Der Marsch ging
auf Schwarzig, Steinbach zu, und als wir gegen Morgen in ein Dorf kamen,
da wurden die Leute erschreckt, daß sie Haus und Hos auch zurückließen, und
mit uns fortzögen. Wir waren etwa eine Stunde in der Herberge gewesen,
so kam schon Post, daß die Kroaten diesen Morgen wären zu Themar einge¬
fallen, hätten die Fuhrmannsgüter oder Geleit ausgehauen, geplündert, dem Bürge¬
rn erster den Kopf aufgespalten, die Kirche ausgeplündert, auch die Orgelpfeifen
auf deu Markt herausgetragen etc. Da wars hohe Zeit, daß wir gewichen.
Hildburghausen aber hat sich darnach mit einer großen Summe Geldes und Kelchen
ranzioniren müssen, sonst wäre die Stadt auch eingeäschert worden, wie andere
Städte. Auf dieser Wanderschaft bekam ich auch ein Paar Handschuh, Messer und
Scheide verehret. Das währte etwa 5> oder 0 Tage, da kam die Post, die
Feinde wären von Koburg aufgebrochen. Da konnte ich nicht länger bleiben.
Ich lief geschwind auf Römhild zu, wo mein Herr Gevatter Cremer Amts-
schreiber war. Mußte Herrn Amtmann referiren, wie mirs ergangen.. Nur
dieses Städtlein blieb ungeplündert. Herr Amtmann ließ Feuer unter sie
geben, und Gott erhielt durch des Amtmanns Vorsicht dies Städtlein. Unterdeß
kam Römhild ganz voll Exulanten, die theils bekannt, theils unbekannt
waren. Ich achtete aber damals keiner Gesellschaft, überlief viel 100 Men¬
schen und kam zuerst nach Heldburg zurück, eben da man die Erschlagenen auf
einem Karren auf den Gottesacker führte. Als ich solches sah, ging ich auf.
den Gottesacker, und fand 17 Personen in einem Grab liegen, darunter
waren 3 Rathspersonen, eine mein Schwiegervater, der Cantor. etliche
Bürger, der Hofmeister, Landknecht und Stadtknecht. Waren alle gräulich
zugerichtet. Nach diesem ging ich in meiner Schwiegerin Haus, da fand ich
sie krank, und vom Radeln, Zwicken mit Pistolschrauben so übel zugerichtet,
daß sie mir kaum Rede geben konnte. Sie gab sich darein, sie müßte auch ster¬
ben. Drum befahl sie. ich solle mein Weib und Kinder, welche der Feind
mitgenommen,-suchen lassen. Es waren aber die Kinder, (du Michel IV-,
und deine älteste Schwester 5 Jahr alt). Gern hätte ich zu Heldburg etwas
gegessen, es war aber weder zu essen noch zu trinken da. Laufe deswegen
hungrig und erschrocken auf Poppenhausen zu, dort nicht allein mich zu erquicken,
sondern auch Boten zu schaffen, die mein Weib und Kinder suchte» und aus-


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[0064] geworden. Saßen unzählig viele Leute mit'ihren Packeten auf der Gasse, auch viele, viele Wagen und Karren angespannt, die alle, als das Thor aus ging, mit fortwanderten. Als wir ins freie Feld kamen, sahen wir, daß die guten Leutchen sich in alle Straßen vertheilten. Da wurden viel 1000 Wind¬ lichter gesehn, diese hatten Laternen, diese Strohschäube, andere Pechfackeln. In Summa etliche 1000 Leute zogen in Traurigkeit fort. Ich und mein Haufe kamen um 12 Mitternacht gen Themar, welche Stadt sich mit uns auch aufmachte, und abermals etliche hundert mehr wurden. Der Marsch ging auf Schwarzig, Steinbach zu, und als wir gegen Morgen in ein Dorf kamen, da wurden die Leute erschreckt, daß sie Haus und Hos auch zurückließen, und mit uns fortzögen. Wir waren etwa eine Stunde in der Herberge gewesen, so kam schon Post, daß die Kroaten diesen Morgen wären zu Themar einge¬ fallen, hätten die Fuhrmannsgüter oder Geleit ausgehauen, geplündert, dem Bürge¬ rn erster den Kopf aufgespalten, die Kirche ausgeplündert, auch die Orgelpfeifen auf deu Markt herausgetragen etc. Da wars hohe Zeit, daß wir gewichen. Hildburghausen aber hat sich darnach mit einer großen Summe Geldes und Kelchen ranzioniren müssen, sonst wäre die Stadt auch eingeäschert worden, wie andere Städte. Auf dieser Wanderschaft bekam ich auch ein Paar Handschuh, Messer und Scheide verehret. Das währte etwa 5> oder 0 Tage, da kam die Post, die Feinde wären von Koburg aufgebrochen. Da konnte ich nicht länger bleiben. Ich lief geschwind auf Römhild zu, wo mein Herr Gevatter Cremer Amts- schreiber war. Mußte Herrn Amtmann referiren, wie mirs ergangen.. Nur dieses Städtlein blieb ungeplündert. Herr Amtmann ließ Feuer unter sie geben, und Gott erhielt durch des Amtmanns Vorsicht dies Städtlein. Unterdeß kam Römhild ganz voll Exulanten, die theils bekannt, theils unbekannt waren. Ich achtete aber damals keiner Gesellschaft, überlief viel 100 Men¬ schen und kam zuerst nach Heldburg zurück, eben da man die Erschlagenen auf einem Karren auf den Gottesacker führte. Als ich solches sah, ging ich auf. den Gottesacker, und fand 17 Personen in einem Grab liegen, darunter waren 3 Rathspersonen, eine mein Schwiegervater, der Cantor. etliche Bürger, der Hofmeister, Landknecht und Stadtknecht. Waren alle gräulich zugerichtet. Nach diesem ging ich in meiner Schwiegerin Haus, da fand ich sie krank, und vom Radeln, Zwicken mit Pistolschrauben so übel zugerichtet, daß sie mir kaum Rede geben konnte. Sie gab sich darein, sie müßte auch ster¬ ben. Drum befahl sie. ich solle mein Weib und Kinder, welche der Feind mitgenommen,-suchen lassen. Es waren aber die Kinder, (du Michel IV-, und deine älteste Schwester 5 Jahr alt). Gern hätte ich zu Heldburg etwas gegessen, es war aber weder zu essen noch zu trinken da. Laufe deswegen hungrig und erschrocken auf Poppenhausen zu, dort nicht allein mich zu erquicken, sondern auch Boten zu schaffen, die mein Weib und Kinder suchte» und aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/64>, abgerufen am 27.07.2024.