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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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bezweckt, als Plänen und Absichten den Boden zu bereiten, wie sie jener zehnte
und zwölfte Karl verfolgten. Nußland hatte der schwedischen Krone Norwegen
verschafft. Man war in Stockholm dankbar dafür, und da sich zu diesem
Gefühl der Dankbarfeit das in politischen Dingen stärkere Gefühl der Furcht
vor dem mächtigen Nachbar gesellte, so galt Schweden bis auf den letzten
Krieg als guter Freund des Zarenreichs. Die in diesem Kriege erlangte Er¬
kenntniß, daß Nußland nicht so stark sei. als man gemeint, schwächte jene
Anhänglichkeit, führte zu dem bekannten Garantie- und Defensivvertrag mit
den Westmächten, und hieß selbst gegen Rußland rüsten. Ein Einmarsch in
Finnland war das Tagesgespräch. Der Friede ließ es nicht so weit kommen.
Die alte Freundschaft aber war nicht wieder herzustellen, und so hatte die
schwedische Politik in Betreff Dänemarks ferner keine Rücksichten auf Rußlands
Juteresse zu nehmen. Man konnte jetzt bei der durch das Verfahren gegen
Schleswig-Holstein herbeigeführten Zerrüttung der dänischen Monarchie, bei
dem sehr wahrscheinlichen Aussterben des kopcnhagner Königshauses, bei der
Ernennung eines Thronfolgers gegen das alte Recht und bei der in einem
großen Theile des Volks sich immer lauter und banger kundgebenden Ueber¬
zeugung, daß nnr ein Anlehnen an die Verwandten im Norden Dänemark vor
dem Untergang retten könne, recht wohl glauben, daß die Zeit zur Ausführung
jener dynastischen Pläne des vorigen Jahrhunderts nahe sei, und daß man
es wirklich glaubte, zeigt die Aufeinanderfolge von Demonstrationen, die-das
Ministerium Scheele zu der Depesche vom 20. Februar vorigen Jahres ver¬
anlaßte.

^ Das Auftreten des Königs Oskar und des Kronprinzen (jetzigen Regen¬
ten) seit jener Umwandlung der auswärtigen Politik Schwedens sieht nur bei
oberflächlicher Betrachtung harmlos aus. Auf der Naturforscherversammlung
in Christiania im Frühling 1856 betonte der Kronprinz und damalige Vice-
könig zum ersten Male officiös die Einheit, nicht die Einigkeit, des Nor¬
dens. Deutlicher sprach bald nachher der König, indem er den Besuch däni¬
scher und norwegischer Studenten in Stockholm als eine ihm und seinem Hause
dargebrachte Huldigung behandelte, seinen Gästen einen festlichen Empfang
bereitete, an dem sich höhere Beamte betheiligten, und dann eine Rede hielt,
in der er seine Freude über die Verbrüderung der skandinavischen Jugend
ausdrückte, die für die Zukunft Bedeutung' habe. Wenige Wochen später
machte der .Kronprinz einen Besuch in Kopenhagen, wie es schien, mehr den
Studenten, als dem Hofe. Ein Fackelzug, den ihm die erstem bringen woll¬
ten, wurde "als politische Demonstration" verboten, und so kam es blos zu
einer feierlichen Begrüßung, auf welche der Prinz in längerer, ganz im Stil
der skandinavischen Enthusiasten gehaltner Rede antwortete. Ein zukünftiger
König aber begibt sich nicht unter die Studentenschaft eines andern Landes,


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bezweckt, als Plänen und Absichten den Boden zu bereiten, wie sie jener zehnte
und zwölfte Karl verfolgten. Nußland hatte der schwedischen Krone Norwegen
verschafft. Man war in Stockholm dankbar dafür, und da sich zu diesem
Gefühl der Dankbarfeit das in politischen Dingen stärkere Gefühl der Furcht
vor dem mächtigen Nachbar gesellte, so galt Schweden bis auf den letzten
Krieg als guter Freund des Zarenreichs. Die in diesem Kriege erlangte Er¬
kenntniß, daß Nußland nicht so stark sei. als man gemeint, schwächte jene
Anhänglichkeit, führte zu dem bekannten Garantie- und Defensivvertrag mit
den Westmächten, und hieß selbst gegen Rußland rüsten. Ein Einmarsch in
Finnland war das Tagesgespräch. Der Friede ließ es nicht so weit kommen.
Die alte Freundschaft aber war nicht wieder herzustellen, und so hatte die
schwedische Politik in Betreff Dänemarks ferner keine Rücksichten auf Rußlands
Juteresse zu nehmen. Man konnte jetzt bei der durch das Verfahren gegen
Schleswig-Holstein herbeigeführten Zerrüttung der dänischen Monarchie, bei
dem sehr wahrscheinlichen Aussterben des kopcnhagner Königshauses, bei der
Ernennung eines Thronfolgers gegen das alte Recht und bei der in einem
großen Theile des Volks sich immer lauter und banger kundgebenden Ueber¬
zeugung, daß nnr ein Anlehnen an die Verwandten im Norden Dänemark vor
dem Untergang retten könne, recht wohl glauben, daß die Zeit zur Ausführung
jener dynastischen Pläne des vorigen Jahrhunderts nahe sei, und daß man
es wirklich glaubte, zeigt die Aufeinanderfolge von Demonstrationen, die-das
Ministerium Scheele zu der Depesche vom 20. Februar vorigen Jahres ver¬
anlaßte.

^ Das Auftreten des Königs Oskar und des Kronprinzen (jetzigen Regen¬
ten) seit jener Umwandlung der auswärtigen Politik Schwedens sieht nur bei
oberflächlicher Betrachtung harmlos aus. Auf der Naturforscherversammlung
in Christiania im Frühling 1856 betonte der Kronprinz und damalige Vice-
könig zum ersten Male officiös die Einheit, nicht die Einigkeit, des Nor¬
dens. Deutlicher sprach bald nachher der König, indem er den Besuch däni¬
scher und norwegischer Studenten in Stockholm als eine ihm und seinem Hause
dargebrachte Huldigung behandelte, seinen Gästen einen festlichen Empfang
bereitete, an dem sich höhere Beamte betheiligten, und dann eine Rede hielt,
in der er seine Freude über die Verbrüderung der skandinavischen Jugend
ausdrückte, die für die Zukunft Bedeutung' habe. Wenige Wochen später
machte der .Kronprinz einen Besuch in Kopenhagen, wie es schien, mehr den
Studenten, als dem Hofe. Ein Fackelzug, den ihm die erstem bringen woll¬
ten, wurde „als politische Demonstration" verboten, und so kam es blos zu
einer feierlichen Begrüßung, auf welche der Prinz in längerer, ganz im Stil
der skandinavischen Enthusiasten gehaltner Rede antwortete. Ein zukünftiger
König aber begibt sich nicht unter die Studentenschaft eines andern Landes,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/499>, abgerufen am 28.07.2024.