Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Depesche des Grafen Walewski eingetroffen sei, welche die zwischen Eng¬
land und Frankreich stattgehabten Differenzen vollständig und für beide Theile
ehrenvoll löse. Die Allianz ist also hergestellt, daß das Einvernehmen nach
einer schwierigen Ausgleichung gleich wieder herzlich sei, ist unmöglich, aber
der stille Lauf der Zeit würde am meisten dazu gethan haben, die gegenseitige
Bitterkeit zu verwischen -- warum, fragt man sich, warum also diese neueste
kaiserliche Flugschrift? Dieselbe recapitulirt alle Attentate, die von England
aus gegen das Leben Napoleons gerichtet sind und hält dem englischen Volke
die Wohlthaten vor. welches es von dem Herrscher der Franzosen em¬
pfangen. Dadurch fordert sie die Kritik und neue Angriffe der englischen
Presse heraus, denen der Constitntionncl antworten wird, worauf dann wie¬
der grobe Repliken jenseits des Kanals nicht ausbleiben werden. Wel¬
chen Nutzen kann diese Schrift haben, die außerdem nicht die Consequenz
aus dem Tadel gegen England zieht und keine Genugthuung fordert?
Sie macht den Eindruck, als sei sie nicht aus einem Gusse, und als seien
die Forderungen, welche sich aus den Vorwürfen naturgemäß ergeben wür¬
den, gestrichen, nachdem die Versöhnung osnciell erfolgt war, also nichts
mehr gefordert werden konnte. Sehen wir uns nun die Schrift selbst etwas
näher an. Sie entwickelt zuerst, wie der Präsident und spätere Kaiser mit
großer Mühe und trotz nationaler Antipathien die Allianz zu Wege gebracht.
Die Legitimisten wie die Demokraten seien ihr entgegen gewesen, die beab¬
sichtigte Kooperation zum Schutz der Pforte (1849) habe den lebhaftesten
Widerstand gefunden, das Ultimatum Palmerstons in der Pacificofrage hätte
ohne die Vorsicht des Präsidenten zum Bruche geführt. Die Broschüre kommt
dann zum Staatsstreich und beklagt sich bitter, daß derselbe, ,,obwol ein Act
unsrer innern Lage, der niemandem im Ausland etwas anging," der Gegen¬
stand lebhaftesten Tadels der englischen Presse gewesen. Daß der Staats¬
streich England als Staat officiell nichts angehe, wurde durch die sofortige
Anerkennnung bewiesen, aber wenn die britische Negierung damals nichts
desto weniger ihre Küsten befestigte, so wird man sich nicht darüber verwun¬
dern dürfen, daß eine PresM die alles vor ihr Forum zieht, auch den zwei¬
ten December bespricht und es nicht billigt, daß man ein Volk rettungshalber
seiner sämmtlichen politischen Rechte beraubte. Daß nun diesem aggressiven
Verfahren gegenüber Napoleon III. große Mäßigung bewahrte, wie die Schrift
sagt, ist vollkommen wahr und zeugt von politischem Blick, denn wie es
heißt "große Völker können sich nicht fruchtlos beleidigen, und thun sie es,
so sind sie nahe daran, in Kampf zu gerathen; das geschah nach dem Frie-
den von Amiens, der durch die heftigen Reden und Zeitungsartikel gegen
den ersten Konsul compromittirt ward." Der Kaiser hielt also an der Idee
der Allianz fest, bis die orientalische Krisis dieselbe zum Abschluß brachte;


eine Depesche des Grafen Walewski eingetroffen sei, welche die zwischen Eng¬
land und Frankreich stattgehabten Differenzen vollständig und für beide Theile
ehrenvoll löse. Die Allianz ist also hergestellt, daß das Einvernehmen nach
einer schwierigen Ausgleichung gleich wieder herzlich sei, ist unmöglich, aber
der stille Lauf der Zeit würde am meisten dazu gethan haben, die gegenseitige
Bitterkeit zu verwischen — warum, fragt man sich, warum also diese neueste
kaiserliche Flugschrift? Dieselbe recapitulirt alle Attentate, die von England
aus gegen das Leben Napoleons gerichtet sind und hält dem englischen Volke
die Wohlthaten vor. welches es von dem Herrscher der Franzosen em¬
pfangen. Dadurch fordert sie die Kritik und neue Angriffe der englischen
Presse heraus, denen der Constitntionncl antworten wird, worauf dann wie¬
der grobe Repliken jenseits des Kanals nicht ausbleiben werden. Wel¬
chen Nutzen kann diese Schrift haben, die außerdem nicht die Consequenz
aus dem Tadel gegen England zieht und keine Genugthuung fordert?
Sie macht den Eindruck, als sei sie nicht aus einem Gusse, und als seien
die Forderungen, welche sich aus den Vorwürfen naturgemäß ergeben wür¬
den, gestrichen, nachdem die Versöhnung osnciell erfolgt war, also nichts
mehr gefordert werden konnte. Sehen wir uns nun die Schrift selbst etwas
näher an. Sie entwickelt zuerst, wie der Präsident und spätere Kaiser mit
großer Mühe und trotz nationaler Antipathien die Allianz zu Wege gebracht.
Die Legitimisten wie die Demokraten seien ihr entgegen gewesen, die beab¬
sichtigte Kooperation zum Schutz der Pforte (1849) habe den lebhaftesten
Widerstand gefunden, das Ultimatum Palmerstons in der Pacificofrage hätte
ohne die Vorsicht des Präsidenten zum Bruche geführt. Die Broschüre kommt
dann zum Staatsstreich und beklagt sich bitter, daß derselbe, ,,obwol ein Act
unsrer innern Lage, der niemandem im Ausland etwas anging," der Gegen¬
stand lebhaftesten Tadels der englischen Presse gewesen. Daß der Staats¬
streich England als Staat officiell nichts angehe, wurde durch die sofortige
Anerkennnung bewiesen, aber wenn die britische Negierung damals nichts
desto weniger ihre Küsten befestigte, so wird man sich nicht darüber verwun¬
dern dürfen, daß eine PresM die alles vor ihr Forum zieht, auch den zwei¬
ten December bespricht und es nicht billigt, daß man ein Volk rettungshalber
seiner sämmtlichen politischen Rechte beraubte. Daß nun diesem aggressiven
Verfahren gegenüber Napoleon III. große Mäßigung bewahrte, wie die Schrift
sagt, ist vollkommen wahr und zeugt von politischem Blick, denn wie es
heißt „große Völker können sich nicht fruchtlos beleidigen, und thun sie es,
so sind sie nahe daran, in Kampf zu gerathen; das geschah nach dem Frie-
den von Amiens, der durch die heftigen Reden und Zeitungsartikel gegen
den ersten Konsul compromittirt ward." Der Kaiser hielt also an der Idee
der Allianz fest, bis die orientalische Krisis dieselbe zum Abschluß brachte;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105741"/>
          <p xml:id="ID_1210" prev="#ID_1209" next="#ID_1211"> eine Depesche des Grafen Walewski eingetroffen sei, welche die zwischen Eng¬<lb/>
land und Frankreich stattgehabten Differenzen vollständig und für beide Theile<lb/>
ehrenvoll löse. Die Allianz ist also hergestellt, daß das Einvernehmen nach<lb/>
einer schwierigen Ausgleichung gleich wieder herzlich sei, ist unmöglich, aber<lb/>
der stille Lauf der Zeit würde am meisten dazu gethan haben, die gegenseitige<lb/>
Bitterkeit zu verwischen &#x2014; warum, fragt man sich, warum also diese neueste<lb/>
kaiserliche Flugschrift? Dieselbe recapitulirt alle Attentate, die von England<lb/>
aus gegen das Leben Napoleons gerichtet sind und hält dem englischen Volke<lb/>
die Wohlthaten vor. welches es von dem Herrscher der Franzosen em¬<lb/>
pfangen. Dadurch fordert sie die Kritik und neue Angriffe der englischen<lb/>
Presse heraus, denen der Constitntionncl antworten wird, worauf dann wie¬<lb/>
der grobe Repliken jenseits des Kanals nicht ausbleiben werden. Wel¬<lb/>
chen Nutzen kann diese Schrift haben, die außerdem nicht die Consequenz<lb/>
aus dem Tadel gegen England zieht und keine Genugthuung fordert?<lb/>
Sie macht den Eindruck, als sei sie nicht aus einem Gusse, und als seien<lb/>
die Forderungen, welche sich aus den Vorwürfen naturgemäß ergeben wür¬<lb/>
den, gestrichen, nachdem die Versöhnung osnciell erfolgt war, also nichts<lb/>
mehr gefordert werden konnte. Sehen wir uns nun die Schrift selbst etwas<lb/>
näher an. Sie entwickelt zuerst, wie der Präsident und spätere Kaiser mit<lb/>
großer Mühe und trotz nationaler Antipathien die Allianz zu Wege gebracht.<lb/>
Die Legitimisten wie die Demokraten seien ihr entgegen gewesen, die beab¬<lb/>
sichtigte Kooperation zum Schutz der Pforte (1849) habe den lebhaftesten<lb/>
Widerstand gefunden, das Ultimatum Palmerstons in der Pacificofrage hätte<lb/>
ohne die Vorsicht des Präsidenten zum Bruche geführt. Die Broschüre kommt<lb/>
dann zum Staatsstreich und beklagt sich bitter, daß derselbe, ,,obwol ein Act<lb/>
unsrer innern Lage, der niemandem im Ausland etwas anging," der Gegen¬<lb/>
stand lebhaftesten Tadels der englischen Presse gewesen. Daß der Staats¬<lb/>
streich England als Staat officiell nichts angehe, wurde durch die sofortige<lb/>
Anerkennnung bewiesen, aber wenn die britische Negierung damals nichts<lb/>
desto weniger ihre Küsten befestigte, so wird man sich nicht darüber verwun¬<lb/>
dern dürfen, daß eine PresM die alles vor ihr Forum zieht, auch den zwei¬<lb/>
ten December bespricht und es nicht billigt, daß man ein Volk rettungshalber<lb/>
seiner sämmtlichen politischen Rechte beraubte. Daß nun diesem aggressiven<lb/>
Verfahren gegenüber Napoleon III. große Mäßigung bewahrte, wie die Schrift<lb/>
sagt, ist vollkommen wahr und zeugt von politischem Blick, denn wie es<lb/>
heißt &#x201E;große Völker können sich nicht fruchtlos beleidigen, und thun sie es,<lb/>
so sind sie nahe daran, in Kampf zu gerathen; das geschah nach dem Frie-<lb/>
den von Amiens, der durch die heftigen Reden und Zeitungsartikel gegen<lb/>
den ersten Konsul compromittirt ward." Der Kaiser hielt also an der Idee<lb/>
der Allianz fest, bis die orientalische Krisis dieselbe zum Abschluß brachte;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0464] eine Depesche des Grafen Walewski eingetroffen sei, welche die zwischen Eng¬ land und Frankreich stattgehabten Differenzen vollständig und für beide Theile ehrenvoll löse. Die Allianz ist also hergestellt, daß das Einvernehmen nach einer schwierigen Ausgleichung gleich wieder herzlich sei, ist unmöglich, aber der stille Lauf der Zeit würde am meisten dazu gethan haben, die gegenseitige Bitterkeit zu verwischen — warum, fragt man sich, warum also diese neueste kaiserliche Flugschrift? Dieselbe recapitulirt alle Attentate, die von England aus gegen das Leben Napoleons gerichtet sind und hält dem englischen Volke die Wohlthaten vor. welches es von dem Herrscher der Franzosen em¬ pfangen. Dadurch fordert sie die Kritik und neue Angriffe der englischen Presse heraus, denen der Constitntionncl antworten wird, worauf dann wie¬ der grobe Repliken jenseits des Kanals nicht ausbleiben werden. Wel¬ chen Nutzen kann diese Schrift haben, die außerdem nicht die Consequenz aus dem Tadel gegen England zieht und keine Genugthuung fordert? Sie macht den Eindruck, als sei sie nicht aus einem Gusse, und als seien die Forderungen, welche sich aus den Vorwürfen naturgemäß ergeben wür¬ den, gestrichen, nachdem die Versöhnung osnciell erfolgt war, also nichts mehr gefordert werden konnte. Sehen wir uns nun die Schrift selbst etwas näher an. Sie entwickelt zuerst, wie der Präsident und spätere Kaiser mit großer Mühe und trotz nationaler Antipathien die Allianz zu Wege gebracht. Die Legitimisten wie die Demokraten seien ihr entgegen gewesen, die beab¬ sichtigte Kooperation zum Schutz der Pforte (1849) habe den lebhaftesten Widerstand gefunden, das Ultimatum Palmerstons in der Pacificofrage hätte ohne die Vorsicht des Präsidenten zum Bruche geführt. Die Broschüre kommt dann zum Staatsstreich und beklagt sich bitter, daß derselbe, ,,obwol ein Act unsrer innern Lage, der niemandem im Ausland etwas anging," der Gegen¬ stand lebhaftesten Tadels der englischen Presse gewesen. Daß der Staats¬ streich England als Staat officiell nichts angehe, wurde durch die sofortige Anerkennnung bewiesen, aber wenn die britische Negierung damals nichts desto weniger ihre Küsten befestigte, so wird man sich nicht darüber verwun¬ dern dürfen, daß eine PresM die alles vor ihr Forum zieht, auch den zwei¬ ten December bespricht und es nicht billigt, daß man ein Volk rettungshalber seiner sämmtlichen politischen Rechte beraubte. Daß nun diesem aggressiven Verfahren gegenüber Napoleon III. große Mäßigung bewahrte, wie die Schrift sagt, ist vollkommen wahr und zeugt von politischem Blick, denn wie es heißt „große Völker können sich nicht fruchtlos beleidigen, und thun sie es, so sind sie nahe daran, in Kampf zu gerathen; das geschah nach dem Frie- den von Amiens, der durch die heftigen Reden und Zeitungsartikel gegen den ersten Konsul compromittirt ward." Der Kaiser hielt also an der Idee der Allianz fest, bis die orientalische Krisis dieselbe zum Abschluß brachte;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/464
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/464>, abgerufen am 27.07.2024.