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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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schwach von der Abendröthe beleuchtet. Ein günstiges Wind führt uns an
einem Felsvorsprung vorüber, auf dem in der Kapelle eines arabischen Heili¬
gen die ewige Lampe brennt. Die Sitte erfordert, daß die Matrosen hier em
Brot als Opfer in den Strom werfen, damit der Heilige die Heimfahrt segne.
Das Opfer ist gebracht, der Schech hat es wohlgefällig angenommen; denn
er sandte von der Höhe seine Tauben, es ihm zu holen. Die Ruder ruhen.
Das Schiffsvolk ahmt dem Chowadschi nach, der auf dem Verdeck sitzend den
Tanz der Sterne auf den Wellen beobachtet. Von der Laterne am Bugspriet
beschienen, hocken die braunen Gesellen im Kreise und lassen die Pfnfe von
Mund zu Mund gehen. Der Schiffsjunge holt die Tarabuka. und der Sän¬
ger der Gesellschaft -- es fehlt nie an einem solchen Sänger -- trägt vom
Gemurmel der Tarabuka und dem taktmäßigen Händeklatschen der Uebrigen
begleitet mit leisen Molltönen ein Liebeslied aus der Wüste oder eine Ro¬
manze von Abu Said oder Antar vor. In der Ferne leuchtet das Licht eines
andern Bootes mit Europäern, am Ufer ein Wachtfeuer, durch dessen Rauch¬
wolken weiße Turbane sichtbar sind.

Das Schiff hat sein Ziel für heute erreicht. Auf steiler Uferbank zeigen
sich die. dunkeln Umrisse von Palmen, darin die Hütten eines Dorfes. Das
Herdfeuer eines Kaffeehauses flackert den Ankömmlingen einladend entgegen.
Die Tänzerinnen des Ortes sammeln sich am Landungsplatz und gaukeln in
ihren hellen Gewändern lockend aus dem Dunkeln ins Helle und wieder in
die Nacht zurück. "Fantasia? Fantasia. pa Chowadschi?" rufen die Sirenen
des Nil nach dem Boot herüber. Die Frage wird durch den Dragoman be¬
jaht, der Chowadschi will ihre Fantasia gnädig ansehen, und behend geht die
Mannschaft daran, die Dcchabieh für den Tanz der Bajaderen vorzubereiten.
Noch nie waren ihre Finger und Füße so rasch, als heute, wo sie die Bühne
für dieses Ballet vorbereiten, bei dem sie Galerieplätze haben sollen. Im
Nu ist die Mitte des Verdecks in ein großes Zelt verwandelt, Geräth und
Geschirr aus dem Wege geräumt, ein Sitz für die Künstlergesellschaft erbaut
und die große Laterne in der Mitte des improvisirten Zeltes als Kronleuchter
aufgehangen. Die Chowadschi nehmen Platz vor der Kajüte, die Matrosen
lagern sich im Kreise um den Vordermast. Die Dandies unter ihnen haben
Zeit gefunden, sich für die Gelegenheit nach .Kräften zu putzen, schneeweiße
Turbane statt der Alltagsfetzen um die Schläfe zu winden, die Finger mit
silbernen Ringen zu bestecken, selbst die Gesichter zu waschen. Der Schiffs¬
junge prüludirt mit Daumen und Mittelsingern aus dem Trommelfell der
Tarabuka. Der alte Capitän schlägt dann und wann die Leincnwände des
Zeltes auseinander, um auszuschauen, ob sie kommen.

Und sie kommen endlich. Frauenstimmen lassen sich hören. Das Bret,
das die Brücke vom Boot nach dem Lande bildet, beginnt zu schwanken'. Ein


schwach von der Abendröthe beleuchtet. Ein günstiges Wind führt uns an
einem Felsvorsprung vorüber, auf dem in der Kapelle eines arabischen Heili¬
gen die ewige Lampe brennt. Die Sitte erfordert, daß die Matrosen hier em
Brot als Opfer in den Strom werfen, damit der Heilige die Heimfahrt segne.
Das Opfer ist gebracht, der Schech hat es wohlgefällig angenommen; denn
er sandte von der Höhe seine Tauben, es ihm zu holen. Die Ruder ruhen.
Das Schiffsvolk ahmt dem Chowadschi nach, der auf dem Verdeck sitzend den
Tanz der Sterne auf den Wellen beobachtet. Von der Laterne am Bugspriet
beschienen, hocken die braunen Gesellen im Kreise und lassen die Pfnfe von
Mund zu Mund gehen. Der Schiffsjunge holt die Tarabuka. und der Sän¬
ger der Gesellschaft — es fehlt nie an einem solchen Sänger — trägt vom
Gemurmel der Tarabuka und dem taktmäßigen Händeklatschen der Uebrigen
begleitet mit leisen Molltönen ein Liebeslied aus der Wüste oder eine Ro¬
manze von Abu Said oder Antar vor. In der Ferne leuchtet das Licht eines
andern Bootes mit Europäern, am Ufer ein Wachtfeuer, durch dessen Rauch¬
wolken weiße Turbane sichtbar sind.

Das Schiff hat sein Ziel für heute erreicht. Auf steiler Uferbank zeigen
sich die. dunkeln Umrisse von Palmen, darin die Hütten eines Dorfes. Das
Herdfeuer eines Kaffeehauses flackert den Ankömmlingen einladend entgegen.
Die Tänzerinnen des Ortes sammeln sich am Landungsplatz und gaukeln in
ihren hellen Gewändern lockend aus dem Dunkeln ins Helle und wieder in
die Nacht zurück. „Fantasia? Fantasia. pa Chowadschi?" rufen die Sirenen
des Nil nach dem Boot herüber. Die Frage wird durch den Dragoman be¬
jaht, der Chowadschi will ihre Fantasia gnädig ansehen, und behend geht die
Mannschaft daran, die Dcchabieh für den Tanz der Bajaderen vorzubereiten.
Noch nie waren ihre Finger und Füße so rasch, als heute, wo sie die Bühne
für dieses Ballet vorbereiten, bei dem sie Galerieplätze haben sollen. Im
Nu ist die Mitte des Verdecks in ein großes Zelt verwandelt, Geräth und
Geschirr aus dem Wege geräumt, ein Sitz für die Künstlergesellschaft erbaut
und die große Laterne in der Mitte des improvisirten Zeltes als Kronleuchter
aufgehangen. Die Chowadschi nehmen Platz vor der Kajüte, die Matrosen
lagern sich im Kreise um den Vordermast. Die Dandies unter ihnen haben
Zeit gefunden, sich für die Gelegenheit nach .Kräften zu putzen, schneeweiße
Turbane statt der Alltagsfetzen um die Schläfe zu winden, die Finger mit
silbernen Ringen zu bestecken, selbst die Gesichter zu waschen. Der Schiffs¬
junge prüludirt mit Daumen und Mittelsingern aus dem Trommelfell der
Tarabuka. Der alte Capitän schlägt dann und wann die Leincnwände des
Zeltes auseinander, um auszuschauen, ob sie kommen.

Und sie kommen endlich. Frauenstimmen lassen sich hören. Das Bret,
das die Brücke vom Boot nach dem Lande bildet, beginnt zu schwanken'. Ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/45>, abgerufen am 22.12.2024.