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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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blauer Spiegel, Zwischen den düstern Klippen rinnt die goldgelbe Sandflut
der Wüste herab. Einzelne Palmen beschatten die Lupinenbette aus dem
schmalen Saume fruchtbaren Landes zwischen dem Gestein und Wasser, und in
Mitten des wellenlosen Stromes taucht mit seinen vom Baumgrün umgebenen
Pylonen und Säulenhallen die heilige Insel der Isis, die letzte Zufluchtsstätte des
ägyptischen Heidenthums auf. Ein Boot trägt uns hinüber, wir gehen, von
den Festen der Göttermutter träumend, durch die dunkeln Höfe, durch
die buntbemalten Korridore, durch die Nebentempel und schauen dann von der
Terrasse im Süden hinab auf die ruhige Flut, wie sie aus der rothen Schlucht
leise murmelnd heranströmt, um kurz daraus sich in den Kampf mit den Fel¬
sen zu stürzen.

Zögernd trennt sich die Erinnerung von dem bezaubernden mild melan¬
cholischen Gegensatz, in dem das liebliche Eiland zu der Nacktheit, Schroffheit
und Unwirthlichkeit seiner Umgebung steht. Die Coulissen verschieben sich,
der halbbtgrcibne Tempel von Edfu, die Ruinen-von Esneh mit ihrem unter¬
irdischen Säulensaal treten in die Scene, aber noch lange bildet das holde
Philä, mondbeglänzt, wie jeder es geschaut haben muß, der es ganz geschaut
haben will, den Hintergrund des Gemäldes, bis endlich das alte National-
heiligthum von Karnak, mit seinen Pylonen und Obelisken und seiner von
hundertundzwanzig Riesensäulen getragenen Halle die größte Ruine der
Welt, Luksor und das Memnonium. der Pharaonenpalast von Medinet Habu
und die ganze ungeheure Trümmerstätte von Theben sich an seine Stelle drängt.

Wir sitzen auf einer umgestürzten Säule. Der graubärtige Führer hat
gefunden, daß er überflüssig ist, und sich, in seinen Burnuß gehüllt, im Schat¬
ten eines zerbrochnen Kolosses schlafen gelegt. Die Esclsbuben sprechen nur
flüsternd und beobachten neugierigen Blickes die Chowadschi, während ihre
Thiere, schläfrig die Augen schließend und die Ohren hängen lassend langsam
ebenfalls den Schatten suchen, um sich zum Schlaf hinzustrecken. Von den
Säulenschäften schauen Götter und Könige auf uns herab, im Westen blicken
uns in den gelben Bergen lange Reihen von schwarzen Grabthüren an, durch
die allmälig das ganze Aegyptervolk in das Nachtreich der Mumien auswanderte,
im Süden erheben sich aus grünen Saatfeldern auf ihren Thronen die beiden
Kolosse des Pharao Ann noph, von denen der eine uns von Kind an als der
klingende Memnon bekannt ist. Er ist der König dieser Trümmerwelt. Er
thront auf den Ruinen Thebens, selb se eine Ruine. Täglich kommt die Sonne
wie sie einst kam, aber sie belebt ihn nicht mehr. Sohn der Morgenröthe,
warum so schweigsam? Frage meine Schwester, die Sphinx der Pyramiden!
Frage die Dichter, denen ich Rede stand!

Und wir sind wieder auf unsrer Dahabieh, mitten auf dem Strome. Die
Sonne ist untergegangen, nur die Kante der Bergwand im Osten ist noch


blauer Spiegel, Zwischen den düstern Klippen rinnt die goldgelbe Sandflut
der Wüste herab. Einzelne Palmen beschatten die Lupinenbette aus dem
schmalen Saume fruchtbaren Landes zwischen dem Gestein und Wasser, und in
Mitten des wellenlosen Stromes taucht mit seinen vom Baumgrün umgebenen
Pylonen und Säulenhallen die heilige Insel der Isis, die letzte Zufluchtsstätte des
ägyptischen Heidenthums auf. Ein Boot trägt uns hinüber, wir gehen, von
den Festen der Göttermutter träumend, durch die dunkeln Höfe, durch
die buntbemalten Korridore, durch die Nebentempel und schauen dann von der
Terrasse im Süden hinab auf die ruhige Flut, wie sie aus der rothen Schlucht
leise murmelnd heranströmt, um kurz daraus sich in den Kampf mit den Fel¬
sen zu stürzen.

Zögernd trennt sich die Erinnerung von dem bezaubernden mild melan¬
cholischen Gegensatz, in dem das liebliche Eiland zu der Nacktheit, Schroffheit
und Unwirthlichkeit seiner Umgebung steht. Die Coulissen verschieben sich,
der halbbtgrcibne Tempel von Edfu, die Ruinen-von Esneh mit ihrem unter¬
irdischen Säulensaal treten in die Scene, aber noch lange bildet das holde
Philä, mondbeglänzt, wie jeder es geschaut haben muß, der es ganz geschaut
haben will, den Hintergrund des Gemäldes, bis endlich das alte National-
heiligthum von Karnak, mit seinen Pylonen und Obelisken und seiner von
hundertundzwanzig Riesensäulen getragenen Halle die größte Ruine der
Welt, Luksor und das Memnonium. der Pharaonenpalast von Medinet Habu
und die ganze ungeheure Trümmerstätte von Theben sich an seine Stelle drängt.

Wir sitzen auf einer umgestürzten Säule. Der graubärtige Führer hat
gefunden, daß er überflüssig ist, und sich, in seinen Burnuß gehüllt, im Schat¬
ten eines zerbrochnen Kolosses schlafen gelegt. Die Esclsbuben sprechen nur
flüsternd und beobachten neugierigen Blickes die Chowadschi, während ihre
Thiere, schläfrig die Augen schließend und die Ohren hängen lassend langsam
ebenfalls den Schatten suchen, um sich zum Schlaf hinzustrecken. Von den
Säulenschäften schauen Götter und Könige auf uns herab, im Westen blicken
uns in den gelben Bergen lange Reihen von schwarzen Grabthüren an, durch
die allmälig das ganze Aegyptervolk in das Nachtreich der Mumien auswanderte,
im Süden erheben sich aus grünen Saatfeldern auf ihren Thronen die beiden
Kolosse des Pharao Ann noph, von denen der eine uns von Kind an als der
klingende Memnon bekannt ist. Er ist der König dieser Trümmerwelt. Er
thront auf den Ruinen Thebens, selb se eine Ruine. Täglich kommt die Sonne
wie sie einst kam, aber sie belebt ihn nicht mehr. Sohn der Morgenröthe,
warum so schweigsam? Frage meine Schwester, die Sphinx der Pyramiden!
Frage die Dichter, denen ich Rede stand!

Und wir sind wieder auf unsrer Dahabieh, mitten auf dem Strome. Die
Sonne ist untergegangen, nur die Kante der Bergwand im Osten ist noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/44>, abgerufen am 22.12.2024.