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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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dann noch besonders bezahlt werden mußte und schon der Mangel des An¬
gebots von Capital, welches sonst der Lockung von 1 oder 2°/" über den
gewöhnlichen Zinsfuß nicht widerstanden hätte, die Lage des Schuldners
erschweren mußte, ist klar.

Die Regierung wußte das sehr wohl, und hatte sich deshalb schon lange
bei Handelskammern, Gerichten und städtischen Behörden Gutachten über die
Wuchergesehe erbeten, welche sast allgemein gegen ihre Beibehaltung aus¬
gefallen waren. Als dann im Herbste v. I. die Krisis ausbrach, deren Ur¬
sachen wesentlich in dem gemißbrauchten Credit lagen, als infolge davon
das erschreckte Capital gänzlich den Verkehr mied und sich nur im Arminschen
Geldschrank für sicher zu halten schien, wollte die Regierung nicht länger die
Verantwortung dem dämonischen Walten der Verkehrsgesetze gegenüber tragen
und suspendirte vom 27. November 1857 bis 27. Februar 1858 die Wucher¬
gesetze. Absolute Heilung sollte und konnte das nicht bringen, aber es war
ein wohlthätiges Linderungsmittel, für dessen Darreichung zur rechten Zeit
Tausende von Geretteten der Negierung zu danken haben. Der Gewinn
lockte, man kam zur Besinnung, und was nicht unhaltbar war, fand
meistens mit mäßigen Opfern eine Stütze. Daß einigen Grundbesitzern
Capitalien gekündigt oder nur unter härtern Bedingungen gelassen sein mögen,
daß der Schreck auf der einen, das plötzlich erwachte Selbstbewußtsein des
Capitals auf der andern Seite den Zinsfuß in manchen Füllen beträchtlich
erhöht haben mögen, ist selbstverständlich, beweist aber nicht im Entferntesten,
daß dies die dauernde Folge abgeschaffter Wuchergesetze sein würde. Auch
unter diesen sehr singulären und die wahren Gesetze des freien Zinses ver¬
dunkelnden Umständen sprechen die bis jetzt eingegangenen Berichte nur von
den Wohlthaten der Verordnung und werden es auch nicht anders, sobald
sie bedenken, daß ihre Wirksamkeit nur größeres Unheil verhüten, aber nicht
positiv sein konnte.

Da die Suspension eines Gesetzes ohne Beistinunuug der Kammern
erlassen war. mußte verfassungsmäßig ihre nachträgliche Genehmigung in der
nächsten Session gesucht werden. Daß diese nicht verweigert werden würde,
war von vornherein gewiß. Die Zusammensetzung der Kammern führte
aber dcizn, daß in beiden der Genehmigung eine Resolution angehängt wurde,
die im Herrenhause sehr entschieden, im Abgeordnetenhause etwas milder die
Abneigung einer Majorität der Lcmdbotcn gegen die Freigebung des Zinsfußes
ausdrückte. Diesem Umstände haben wir die interessantesten Sitzungen zu ver¬
danken, welche dieses ganze, mehr als gewöhnlich inhaltslose Kammerjahr,
uns wahrscheinlich bieten wird. Die bedeutendsten Redner beider Parteien --
denn es kam der Hauptsache nach auf eine politische Principienfragc heraus
^ betraten nacheinander die Rednerbühne, und man muß mit Dank anerkennen


dann noch besonders bezahlt werden mußte und schon der Mangel des An¬
gebots von Capital, welches sonst der Lockung von 1 oder 2°/» über den
gewöhnlichen Zinsfuß nicht widerstanden hätte, die Lage des Schuldners
erschweren mußte, ist klar.

Die Regierung wußte das sehr wohl, und hatte sich deshalb schon lange
bei Handelskammern, Gerichten und städtischen Behörden Gutachten über die
Wuchergesehe erbeten, welche sast allgemein gegen ihre Beibehaltung aus¬
gefallen waren. Als dann im Herbste v. I. die Krisis ausbrach, deren Ur¬
sachen wesentlich in dem gemißbrauchten Credit lagen, als infolge davon
das erschreckte Capital gänzlich den Verkehr mied und sich nur im Arminschen
Geldschrank für sicher zu halten schien, wollte die Regierung nicht länger die
Verantwortung dem dämonischen Walten der Verkehrsgesetze gegenüber tragen
und suspendirte vom 27. November 1857 bis 27. Februar 1858 die Wucher¬
gesetze. Absolute Heilung sollte und konnte das nicht bringen, aber es war
ein wohlthätiges Linderungsmittel, für dessen Darreichung zur rechten Zeit
Tausende von Geretteten der Negierung zu danken haben. Der Gewinn
lockte, man kam zur Besinnung, und was nicht unhaltbar war, fand
meistens mit mäßigen Opfern eine Stütze. Daß einigen Grundbesitzern
Capitalien gekündigt oder nur unter härtern Bedingungen gelassen sein mögen,
daß der Schreck auf der einen, das plötzlich erwachte Selbstbewußtsein des
Capitals auf der andern Seite den Zinsfuß in manchen Füllen beträchtlich
erhöht haben mögen, ist selbstverständlich, beweist aber nicht im Entferntesten,
daß dies die dauernde Folge abgeschaffter Wuchergesetze sein würde. Auch
unter diesen sehr singulären und die wahren Gesetze des freien Zinses ver¬
dunkelnden Umständen sprechen die bis jetzt eingegangenen Berichte nur von
den Wohlthaten der Verordnung und werden es auch nicht anders, sobald
sie bedenken, daß ihre Wirksamkeit nur größeres Unheil verhüten, aber nicht
positiv sein konnte.

Da die Suspension eines Gesetzes ohne Beistinunuug der Kammern
erlassen war. mußte verfassungsmäßig ihre nachträgliche Genehmigung in der
nächsten Session gesucht werden. Daß diese nicht verweigert werden würde,
war von vornherein gewiß. Die Zusammensetzung der Kammern führte
aber dcizn, daß in beiden der Genehmigung eine Resolution angehängt wurde,
die im Herrenhause sehr entschieden, im Abgeordnetenhause etwas milder die
Abneigung einer Majorität der Lcmdbotcn gegen die Freigebung des Zinsfußes
ausdrückte. Diesem Umstände haben wir die interessantesten Sitzungen zu ver¬
danken, welche dieses ganze, mehr als gewöhnlich inhaltslose Kammerjahr,
uns wahrscheinlich bieten wird. Die bedeutendsten Redner beider Parteien —
denn es kam der Hauptsache nach auf eine politische Principienfragc heraus
^ betraten nacheinander die Rednerbühne, und man muß mit Dank anerkennen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/423>, abgerufen am 22.12.2024.