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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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es keinen Zins gibt, ohne Bedenken der Schluß gezogen werden kann, daß
es dann entweder noch gar kein Capital gibt, oder daß es in Kurzem
kein Capital mehr geben wird. Wenn es den Socialisten jemals gelingen
sollte, ihr Ideal einer Gesellschaft zu verwirklichen, die weder Zinsen noch
Eigenthum kennt, so würden wir dort ein treffliches Beispiel für unsere Behaup¬
tung haben. Dann kehrt das Chaos wieder, ein klägliches, rechts- und besitz¬
loses Vegetiren, wie arme Jäger- und Fischervölker es wirklich führen, -- es
müßten denn Considerants Visionen in Erfüllung gehen.

In der That ist die Zahl derjenigen, welche heute den Zins in seinem
Princip angreifen würden, in Deutschland wenigstens eine nicht in Betracht
kommende Minorität. Man ist darüber einig. daß das Capital im*Ganzen
eine wohlthätige Macht ist, daß die Bildung von neuem Capital nur geschehen
kann, indem der Producirende entweder durch verdoppelte Anstrengungen einen
Ueberschuß über seine Bedürfnisse erzielt, oder indem er diese selbst beschränkt.
In beiden Fällen ist er eines Lohnes werth, dessen lockende Aussicht zugleich
ein Motiv seiner Anstrengungen oder Entbehrungen bildet. Von Seiten des
Capitalentleihers betrachtet, wird zugegeben, daß diesem durch das Darlehn
ein Dienst geleistet wird, und daß, wenn er durch den Verzicht eines andern
auf die Früchte seines Schaffens sich in den Stand gesetzt sieht, seinen Ge¬
schäftsbetrieb zu erweitern und einträglicher zu machen, es billig sei, das; jener
an seinem Gewinn Theil nehme, und zwar um so mehr, je weniger Garan¬
tie er dem Darlehnsgeber für die Rückerstattung des Capitals selbst biete.
Von einem ganz unparteiischen Gesichtspunkt aus, der die Dienste des Ver¬
leihers, wie die Vortheile des Entleihers aus dem Spiel läßt, zeigt der Zins
sich endlich als das beste und sogar als das einzige Mittel, fir.irte Capitalien
allmälig zu amortisiren und die Rückerstattung einmaliger Vorschüsse, welche
vielen, vielleicht mehren aufeinanderfolgenden Generationen zu Gute kommen,
auf alle zu vertheilen, die an ihrem Nutzen participirt haben.

Ueber alles dieses sind die Gebildeten, welche sich jemals praktisch oder
theoretisch mit volkswirthschaftlichen Dingen abgegeben haben, einig. Strei¬
tiges Gebiet betreten wir erst in'dem Augenblick, wo es sich darum handelt,
die Höhe des Lohns zu bestimmen, welchen der Capitalist zu fordern berechtigt
sein soll. Nun scheint es beim ersten Blick einleuchtend, daß eine gleichmäßige
und dauernde Bestimmung hierüber zu treffen unmöglich ist, weil ja die Ele¬
mente, welche dabei zusammenwirken, mannigfache und beständig wechselnde
sind: Anzahl der Capitalien, Anzahl und Rentabilität der Anlagcplätze, Größe
und Betriebsamkeit der Bevölkerung, Sicherheit oder drohende Gefahr der
nächsten Zukunft; und weil sich mit diesen allgemeinen Bedingungen noch
zahllose individuelle Verhältnisse verbinden, welche jeden einzelnen Fall eines
Leihgeschäfts zu einer höchst complicirten Combination machen. Wo der


es keinen Zins gibt, ohne Bedenken der Schluß gezogen werden kann, daß
es dann entweder noch gar kein Capital gibt, oder daß es in Kurzem
kein Capital mehr geben wird. Wenn es den Socialisten jemals gelingen
sollte, ihr Ideal einer Gesellschaft zu verwirklichen, die weder Zinsen noch
Eigenthum kennt, so würden wir dort ein treffliches Beispiel für unsere Behaup¬
tung haben. Dann kehrt das Chaos wieder, ein klägliches, rechts- und besitz¬
loses Vegetiren, wie arme Jäger- und Fischervölker es wirklich führen, — es
müßten denn Considerants Visionen in Erfüllung gehen.

In der That ist die Zahl derjenigen, welche heute den Zins in seinem
Princip angreifen würden, in Deutschland wenigstens eine nicht in Betracht
kommende Minorität. Man ist darüber einig. daß das Capital im*Ganzen
eine wohlthätige Macht ist, daß die Bildung von neuem Capital nur geschehen
kann, indem der Producirende entweder durch verdoppelte Anstrengungen einen
Ueberschuß über seine Bedürfnisse erzielt, oder indem er diese selbst beschränkt.
In beiden Fällen ist er eines Lohnes werth, dessen lockende Aussicht zugleich
ein Motiv seiner Anstrengungen oder Entbehrungen bildet. Von Seiten des
Capitalentleihers betrachtet, wird zugegeben, daß diesem durch das Darlehn
ein Dienst geleistet wird, und daß, wenn er durch den Verzicht eines andern
auf die Früchte seines Schaffens sich in den Stand gesetzt sieht, seinen Ge¬
schäftsbetrieb zu erweitern und einträglicher zu machen, es billig sei, das; jener
an seinem Gewinn Theil nehme, und zwar um so mehr, je weniger Garan¬
tie er dem Darlehnsgeber für die Rückerstattung des Capitals selbst biete.
Von einem ganz unparteiischen Gesichtspunkt aus, der die Dienste des Ver¬
leihers, wie die Vortheile des Entleihers aus dem Spiel läßt, zeigt der Zins
sich endlich als das beste und sogar als das einzige Mittel, fir.irte Capitalien
allmälig zu amortisiren und die Rückerstattung einmaliger Vorschüsse, welche
vielen, vielleicht mehren aufeinanderfolgenden Generationen zu Gute kommen,
auf alle zu vertheilen, die an ihrem Nutzen participirt haben.

Ueber alles dieses sind die Gebildeten, welche sich jemals praktisch oder
theoretisch mit volkswirthschaftlichen Dingen abgegeben haben, einig. Strei¬
tiges Gebiet betreten wir erst in'dem Augenblick, wo es sich darum handelt,
die Höhe des Lohns zu bestimmen, welchen der Capitalist zu fordern berechtigt
sein soll. Nun scheint es beim ersten Blick einleuchtend, daß eine gleichmäßige
und dauernde Bestimmung hierüber zu treffen unmöglich ist, weil ja die Ele¬
mente, welche dabei zusammenwirken, mannigfache und beständig wechselnde
sind: Anzahl der Capitalien, Anzahl und Rentabilität der Anlagcplätze, Größe
und Betriebsamkeit der Bevölkerung, Sicherheit oder drohende Gefahr der
nächsten Zukunft; und weil sich mit diesen allgemeinen Bedingungen noch
zahllose individuelle Verhältnisse verbinden, welche jeden einzelnen Fall eines
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[0421] es keinen Zins gibt, ohne Bedenken der Schluß gezogen werden kann, daß es dann entweder noch gar kein Capital gibt, oder daß es in Kurzem kein Capital mehr geben wird. Wenn es den Socialisten jemals gelingen sollte, ihr Ideal einer Gesellschaft zu verwirklichen, die weder Zinsen noch Eigenthum kennt, so würden wir dort ein treffliches Beispiel für unsere Behaup¬ tung haben. Dann kehrt das Chaos wieder, ein klägliches, rechts- und besitz¬ loses Vegetiren, wie arme Jäger- und Fischervölker es wirklich führen, — es müßten denn Considerants Visionen in Erfüllung gehen. In der That ist die Zahl derjenigen, welche heute den Zins in seinem Princip angreifen würden, in Deutschland wenigstens eine nicht in Betracht kommende Minorität. Man ist darüber einig. daß das Capital im*Ganzen eine wohlthätige Macht ist, daß die Bildung von neuem Capital nur geschehen kann, indem der Producirende entweder durch verdoppelte Anstrengungen einen Ueberschuß über seine Bedürfnisse erzielt, oder indem er diese selbst beschränkt. In beiden Fällen ist er eines Lohnes werth, dessen lockende Aussicht zugleich ein Motiv seiner Anstrengungen oder Entbehrungen bildet. Von Seiten des Capitalentleihers betrachtet, wird zugegeben, daß diesem durch das Darlehn ein Dienst geleistet wird, und daß, wenn er durch den Verzicht eines andern auf die Früchte seines Schaffens sich in den Stand gesetzt sieht, seinen Ge¬ schäftsbetrieb zu erweitern und einträglicher zu machen, es billig sei, das; jener an seinem Gewinn Theil nehme, und zwar um so mehr, je weniger Garan¬ tie er dem Darlehnsgeber für die Rückerstattung des Capitals selbst biete. Von einem ganz unparteiischen Gesichtspunkt aus, der die Dienste des Ver¬ leihers, wie die Vortheile des Entleihers aus dem Spiel läßt, zeigt der Zins sich endlich als das beste und sogar als das einzige Mittel, fir.irte Capitalien allmälig zu amortisiren und die Rückerstattung einmaliger Vorschüsse, welche vielen, vielleicht mehren aufeinanderfolgenden Generationen zu Gute kommen, auf alle zu vertheilen, die an ihrem Nutzen participirt haben. Ueber alles dieses sind die Gebildeten, welche sich jemals praktisch oder theoretisch mit volkswirthschaftlichen Dingen abgegeben haben, einig. Strei¬ tiges Gebiet betreten wir erst in'dem Augenblick, wo es sich darum handelt, die Höhe des Lohns zu bestimmen, welchen der Capitalist zu fordern berechtigt sein soll. Nun scheint es beim ersten Blick einleuchtend, daß eine gleichmäßige und dauernde Bestimmung hierüber zu treffen unmöglich ist, weil ja die Ele¬ mente, welche dabei zusammenwirken, mannigfache und beständig wechselnde sind: Anzahl der Capitalien, Anzahl und Rentabilität der Anlagcplätze, Größe und Betriebsamkeit der Bevölkerung, Sicherheit oder drohende Gefahr der nächsten Zukunft; und weil sich mit diesen allgemeinen Bedingungen noch zahllose individuelle Verhältnisse verbinden, welche jeden einzelnen Fall eines Leihgeschäfts zu einer höchst complicirten Combination machen. Wo der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/421>, abgerufen am 27.07.2024.