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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Kaum war der Klang der abziehenden Herdeglocken in den Straßen
der Bundesstadt verhallt, so riefen die Kirchenglocken den hohen Souverän schon
wieder zu einer feierlichen Action: zur Wahl des Nationalraths. Der Wahlact
ging fast in der ganzen Schweiz in größter Ruhe vorüber, hier und da
sogar unter sichtlicher Apathie, in welcher sich das hier und da ein Bischen
blasirte Zürich besonders auszeichnete. Zwar hatten die Malcontenten von
Genf einige Wochen lang Himmel und Holle in Bewegung zu setzen versucht,
um dem Schweizervolk begreiflich zu machen, daß es, genau betrachtet, ab¬
scheulich regiert sei. Jnmes Fazy und sein Troß thaten das Ihre in der
Revue de Genime, Hr. Reichsregent Bogt das Seine in einem Provinzialblatt
des Cantons Bern, dessen früherer Redacteur, Hr. Deutschkatholik Doviat,
zur Zeit des Winteraufgebots wegen Schimpfreden auf den König von Preu¬
ßen polizeilich ausgewiesen, und über den Kanal transportirt worden war.
Das Zeug "achtundvierzigerlcte" zu sehr, wie man bei uns sagt. Unser
Volk hat sür Reichsregentschaften keinen Magen noch Geschmack, und die Kunst
am besten zu schimpfen ist ihm kein Kriterium des besten Regenten: dafür
hat es eine bald dreißigjährige Erfahrung hinter sich. Die Sache drohte dem
nationaleren Theil der radicalen Partei zu schaden, es erfolgte in dem Blatte,
das man als Organ des Bundesrathes Stämpfli betrachtet, ein verständlicher
Wink und -- aus einmal war die Eidgenossenschaft wieder ganz passabel re¬
giert. Die, von denen ich eben rede, pflegen.sich mit Vorliebe die "Unab¬
hängigen" zu-nennen. Das Volk übrigens nahm von der Episode wenig Notiz.
Es hatte seine Rechnung schon gemacht, die Ereignisse des Jahres hatten zu
deutlich gesprochen, die alles Uebrige beherrschende nenenburger Frage lag
klar genug vor, als daß es zu seinem Urtheil eines Wegweisers bedurft hätte.
Das Volk sagte sich: die Herren in Bern haben sich brav gehalten; als man
uns grob kam, kamen sie auch grob, als man uns die Hand bot, schlügen
sie ein; sie haben die Sache glücklich zu Ende gebracht; sind zufrieden mit
den Herren in Bern, sollen weiter regieren.

Das Resultat der Wahlen war eine glänzende Approbation der bisher
befolgten eidgenössischen Politik und ein ebenso glänzendes Zutrauensvotum
für den Bundesrath, dessen sämmtliche Mitglieder überdies in ihren Heimath-
cantoncn gewählt wurden, obschon sie zur Conservirung ihres Regierungsfau-
teuils einer solchen Wahl gesetzlich nicht nöthig haben, und sie daher immer
als Ehrengeschenk betrachten können. Auch das Stimmvcrhältniß der Par¬
teien unter sich wurde nicht wesentlich alterirt; die Conservativen haben einige
Stimmen und tüchtige Köpfe gewonnen, doch disponiren sie im Verein mit
den Ultramontanen nicht über mehr als 30 bis 35 Stimmen in der 120
Mitglieder zählenden Behörde.

Einzig in den Cantonen Waadt, Neuenburg und Se. Gallen ging es bei


Kaum war der Klang der abziehenden Herdeglocken in den Straßen
der Bundesstadt verhallt, so riefen die Kirchenglocken den hohen Souverän schon
wieder zu einer feierlichen Action: zur Wahl des Nationalraths. Der Wahlact
ging fast in der ganzen Schweiz in größter Ruhe vorüber, hier und da
sogar unter sichtlicher Apathie, in welcher sich das hier und da ein Bischen
blasirte Zürich besonders auszeichnete. Zwar hatten die Malcontenten von
Genf einige Wochen lang Himmel und Holle in Bewegung zu setzen versucht,
um dem Schweizervolk begreiflich zu machen, daß es, genau betrachtet, ab¬
scheulich regiert sei. Jnmes Fazy und sein Troß thaten das Ihre in der
Revue de Genime, Hr. Reichsregent Bogt das Seine in einem Provinzialblatt
des Cantons Bern, dessen früherer Redacteur, Hr. Deutschkatholik Doviat,
zur Zeit des Winteraufgebots wegen Schimpfreden auf den König von Preu¬
ßen polizeilich ausgewiesen, und über den Kanal transportirt worden war.
Das Zeug „achtundvierzigerlcte" zu sehr, wie man bei uns sagt. Unser
Volk hat sür Reichsregentschaften keinen Magen noch Geschmack, und die Kunst
am besten zu schimpfen ist ihm kein Kriterium des besten Regenten: dafür
hat es eine bald dreißigjährige Erfahrung hinter sich. Die Sache drohte dem
nationaleren Theil der radicalen Partei zu schaden, es erfolgte in dem Blatte,
das man als Organ des Bundesrathes Stämpfli betrachtet, ein verständlicher
Wink und — aus einmal war die Eidgenossenschaft wieder ganz passabel re¬
giert. Die, von denen ich eben rede, pflegen.sich mit Vorliebe die „Unab¬
hängigen" zu-nennen. Das Volk übrigens nahm von der Episode wenig Notiz.
Es hatte seine Rechnung schon gemacht, die Ereignisse des Jahres hatten zu
deutlich gesprochen, die alles Uebrige beherrschende nenenburger Frage lag
klar genug vor, als daß es zu seinem Urtheil eines Wegweisers bedurft hätte.
Das Volk sagte sich: die Herren in Bern haben sich brav gehalten; als man
uns grob kam, kamen sie auch grob, als man uns die Hand bot, schlügen
sie ein; sie haben die Sache glücklich zu Ende gebracht; sind zufrieden mit
den Herren in Bern, sollen weiter regieren.

Das Resultat der Wahlen war eine glänzende Approbation der bisher
befolgten eidgenössischen Politik und ein ebenso glänzendes Zutrauensvotum
für den Bundesrath, dessen sämmtliche Mitglieder überdies in ihren Heimath-
cantoncn gewählt wurden, obschon sie zur Conservirung ihres Regierungsfau-
teuils einer solchen Wahl gesetzlich nicht nöthig haben, und sie daher immer
als Ehrengeschenk betrachten können. Auch das Stimmvcrhältniß der Par¬
teien unter sich wurde nicht wesentlich alterirt; die Conservativen haben einige
Stimmen und tüchtige Köpfe gewonnen, doch disponiren sie im Verein mit
den Ultramontanen nicht über mehr als 30 bis 35 Stimmen in der 120
Mitglieder zählenden Behörde.

Einzig in den Cantonen Waadt, Neuenburg und Se. Gallen ging es bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/416>, abgerufen am 22.12.2024.