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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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es und drei Menschengeschlechter starben dahin, bevor der niedere Adel sich an
den Zwang der neuen Gesetze gewöhnte. Dagegen Fürsten und Städte wie oft
sie selbst feindlich gegeneinander haderten, hatten beide das größte Interesse,
ihn zum Gehorsam zu zwingen. Nur merkwürdig! der Fchdetrotz wurde
gebrochen, aber der Stand der adligen Grundbesitzer wurde nicht sofort stär¬
ker, nicht nützlicher und nicht besser. Im Gegentheil. Er verlor einen Theil
seiner wilden und offnen Entschlossenheit und eignete sich vorzugsweise die
Fehler der neuen Zeit an. Wie ein besiegter Stamm, dem der Ueberwinder
neue Tracht, Sprache und Sitte aufdrängt, lange Jahre braucht, bevor er in dem
fremden Wesen sich heinnfch fühlt, so kränkelte das Geschlecht der alten Raubgesel¬
len am Rhein und Neckar, an Elbe und Oder. Wie die Wandlung nach und
nach geschah, soll hier an einigen Beispielen gezeigt werden.

Ein glücklicher Zufall hat uns drei Selbstbiographien deutscher Adligen
aus verschiedenen Zeiten des 1". Jahrhunderts erhalten, die des Berlichin-
gen, des Schärtlin, des Schweinichen, alle drei wohl bekannt; die eine, so
lange es deutsche Sprache gibt, innig verbunden mit dem Namen des größten
deutschen Dichters. Die drei Männer, deren Blütezeit in den Anfang, die
Mitte und das Ende des großen Jahrhunderts füllt, sind in Charakter und
Lebensschicksalen durchaus verschieden, aber alle drei sind Gutsbesitzer und jeder
von ihnen hat seine Lebensereignisse so erzählt, daß man in die gesellschaft¬
lichen Zustünde seines Kreises belehrende Einblicke erhält. Am bekanntesten ist
Götz von Berlichingen, seine Lebensgeschichte um häufigsten (zuerst 1731) ge¬
druckt. Da auf seinem Bilde die Verklärung liegt, welche ihm 300 Jahr
nach seinem Tode durch das reizende Gedicht Goethes ward, so hat jetzt der
Leser seiner Biographie einige Mühe, die idealen Linien des Dichters von
der Gestalt des historischen Götz sern zu halten. Und doch ,se das nöthig.
Denn wie bescheiden und liebevoll auch Goethe die geschichtlichen Züge
verwerthet hat, der historische Götz sieht >u seiner wirklichen Umgebung anders
aus. Als er sein Leben schrieb, e>" Greis in einer Zeit, der er fremd ge¬
worden war, weilte seine Erinnerung am liebsten bei den Reiterstückchen
seiner wilden Jugend, Daß sein Treiben unfruchtbar für ihn selbst und
schädlich für andere gewesen, vermögen wir ohne Mühe hinter den Zeilen
zu lesen. Aber vorzugsweise charakteristisch ist, daß er in der Mitte seines
Lebens gebrochen und gedemüthigt wurde, weil er bei dem großen Bauern¬
aufstände rathlos auf die falsche Seite gerieth. Um politische Fragen zu sorgen
war nicht seine Sache, kam er in eine Krisis, so handelte er nach dem Rath
seiner Gönner, größerer Dynasten, welche seinen starken Arm und redlichen
Willen nicht selten für ihre Zwecke gebraucht haben mögen. Als das Bauern¬
heer über seinen Grund hereinbrach, wußte er sich mit seinen Sippen keinen
Rath und schrieb an einen Rathgeber. Die Antwort wurde durch seine Schwieger-


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es und drei Menschengeschlechter starben dahin, bevor der niedere Adel sich an
den Zwang der neuen Gesetze gewöhnte. Dagegen Fürsten und Städte wie oft
sie selbst feindlich gegeneinander haderten, hatten beide das größte Interesse,
ihn zum Gehorsam zu zwingen. Nur merkwürdig! der Fchdetrotz wurde
gebrochen, aber der Stand der adligen Grundbesitzer wurde nicht sofort stär¬
ker, nicht nützlicher und nicht besser. Im Gegentheil. Er verlor einen Theil
seiner wilden und offnen Entschlossenheit und eignete sich vorzugsweise die
Fehler der neuen Zeit an. Wie ein besiegter Stamm, dem der Ueberwinder
neue Tracht, Sprache und Sitte aufdrängt, lange Jahre braucht, bevor er in dem
fremden Wesen sich heinnfch fühlt, so kränkelte das Geschlecht der alten Raubgesel¬
len am Rhein und Neckar, an Elbe und Oder. Wie die Wandlung nach und
nach geschah, soll hier an einigen Beispielen gezeigt werden.

Ein glücklicher Zufall hat uns drei Selbstbiographien deutscher Adligen
aus verschiedenen Zeiten des 1«. Jahrhunderts erhalten, die des Berlichin-
gen, des Schärtlin, des Schweinichen, alle drei wohl bekannt; die eine, so
lange es deutsche Sprache gibt, innig verbunden mit dem Namen des größten
deutschen Dichters. Die drei Männer, deren Blütezeit in den Anfang, die
Mitte und das Ende des großen Jahrhunderts füllt, sind in Charakter und
Lebensschicksalen durchaus verschieden, aber alle drei sind Gutsbesitzer und jeder
von ihnen hat seine Lebensereignisse so erzählt, daß man in die gesellschaft¬
lichen Zustünde seines Kreises belehrende Einblicke erhält. Am bekanntesten ist
Götz von Berlichingen, seine Lebensgeschichte um häufigsten (zuerst 1731) ge¬
druckt. Da auf seinem Bilde die Verklärung liegt, welche ihm 300 Jahr
nach seinem Tode durch das reizende Gedicht Goethes ward, so hat jetzt der
Leser seiner Biographie einige Mühe, die idealen Linien des Dichters von
der Gestalt des historischen Götz sern zu halten. Und doch ,se das nöthig.
Denn wie bescheiden und liebevoll auch Goethe die geschichtlichen Züge
verwerthet hat, der historische Götz sieht >u seiner wirklichen Umgebung anders
aus. Als er sein Leben schrieb, e>» Greis in einer Zeit, der er fremd ge¬
worden war, weilte seine Erinnerung am liebsten bei den Reiterstückchen
seiner wilden Jugend, Daß sein Treiben unfruchtbar für ihn selbst und
schädlich für andere gewesen, vermögen wir ohne Mühe hinter den Zeilen
zu lesen. Aber vorzugsweise charakteristisch ist, daß er in der Mitte seines
Lebens gebrochen und gedemüthigt wurde, weil er bei dem großen Bauern¬
aufstände rathlos auf die falsche Seite gerieth. Um politische Fragen zu sorgen
war nicht seine Sache, kam er in eine Krisis, so handelte er nach dem Rath
seiner Gönner, größerer Dynasten, welche seinen starken Arm und redlichen
Willen nicht selten für ihre Zwecke gebraucht haben mögen. Als das Bauern¬
heer über seinen Grund hereinbrach, wußte er sich mit seinen Sippen keinen
Rath und schrieb an einen Rathgeber. Die Antwort wurde durch seine Schwieger-


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[0393] es und drei Menschengeschlechter starben dahin, bevor der niedere Adel sich an den Zwang der neuen Gesetze gewöhnte. Dagegen Fürsten und Städte wie oft sie selbst feindlich gegeneinander haderten, hatten beide das größte Interesse, ihn zum Gehorsam zu zwingen. Nur merkwürdig! der Fchdetrotz wurde gebrochen, aber der Stand der adligen Grundbesitzer wurde nicht sofort stär¬ ker, nicht nützlicher und nicht besser. Im Gegentheil. Er verlor einen Theil seiner wilden und offnen Entschlossenheit und eignete sich vorzugsweise die Fehler der neuen Zeit an. Wie ein besiegter Stamm, dem der Ueberwinder neue Tracht, Sprache und Sitte aufdrängt, lange Jahre braucht, bevor er in dem fremden Wesen sich heinnfch fühlt, so kränkelte das Geschlecht der alten Raubgesel¬ len am Rhein und Neckar, an Elbe und Oder. Wie die Wandlung nach und nach geschah, soll hier an einigen Beispielen gezeigt werden. Ein glücklicher Zufall hat uns drei Selbstbiographien deutscher Adligen aus verschiedenen Zeiten des 1«. Jahrhunderts erhalten, die des Berlichin- gen, des Schärtlin, des Schweinichen, alle drei wohl bekannt; die eine, so lange es deutsche Sprache gibt, innig verbunden mit dem Namen des größten deutschen Dichters. Die drei Männer, deren Blütezeit in den Anfang, die Mitte und das Ende des großen Jahrhunderts füllt, sind in Charakter und Lebensschicksalen durchaus verschieden, aber alle drei sind Gutsbesitzer und jeder von ihnen hat seine Lebensereignisse so erzählt, daß man in die gesellschaft¬ lichen Zustünde seines Kreises belehrende Einblicke erhält. Am bekanntesten ist Götz von Berlichingen, seine Lebensgeschichte um häufigsten (zuerst 1731) ge¬ druckt. Da auf seinem Bilde die Verklärung liegt, welche ihm 300 Jahr nach seinem Tode durch das reizende Gedicht Goethes ward, so hat jetzt der Leser seiner Biographie einige Mühe, die idealen Linien des Dichters von der Gestalt des historischen Götz sern zu halten. Und doch ,se das nöthig. Denn wie bescheiden und liebevoll auch Goethe die geschichtlichen Züge verwerthet hat, der historische Götz sieht >u seiner wirklichen Umgebung anders aus. Als er sein Leben schrieb, e>» Greis in einer Zeit, der er fremd ge¬ worden war, weilte seine Erinnerung am liebsten bei den Reiterstückchen seiner wilden Jugend, Daß sein Treiben unfruchtbar für ihn selbst und schädlich für andere gewesen, vermögen wir ohne Mühe hinter den Zeilen zu lesen. Aber vorzugsweise charakteristisch ist, daß er in der Mitte seines Lebens gebrochen und gedemüthigt wurde, weil er bei dem großen Bauern¬ aufstände rathlos auf die falsche Seite gerieth. Um politische Fragen zu sorgen war nicht seine Sache, kam er in eine Krisis, so handelte er nach dem Rath seiner Gönner, größerer Dynasten, welche seinen starken Arm und redlichen Willen nicht selten für ihre Zwecke gebraucht haben mögen. Als das Bauern¬ heer über seinen Grund hereinbrach, wußte er sich mit seinen Sippen keinen Rath und schrieb an einen Rathgeber. Die Antwort wurde durch seine Schwieger- Äre>iji>öden 1. I6ü5. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/393>, abgerufen am 22.12.2024.