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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Hütte. Daß sie ein privilegirter Stand waren, der seine Mitglieder für besser
hielt, als den Bürger und Bauer, der in Ehe, Beschäftigung, Recht, in
Sitten und Ceremoniel sich gegen andere abschloß, dies exclusive Standes-
gefühl hat den niedern Adel durch Jahrhunderte schwach gemacht und
seine Existenz zu einem Unglück für das Volk, aber es hat ihn auch vor dem
Untergange in wüstem Treiben bewahrt. Denn wie verkehrt die Neigungen
eines Geschlechtes sein mögen, wenn sie die Selbstachtung der Individuen
nicht schmälern, sondern erhoben, so halten sie das Verderben vielleicht lange
auf. Zwischen dem Räuber, der jetzt auf entlegener Haide den Wanderer be¬
raubt, und dem Landjunker, ^der um das Jahr 1500 den nürnberger Kaufmann
vom Pferde warf und bei Wasser und Brot in ein finsteres Gefängniß steckte,
während seine Frau aus dem gestohlenen Tuch Rocke und Mäntel schnitt, ist
in Rücksicht auf die That selbst sehr wenig Unterschied. Aber vor 350 Jahren
übte der adlige Räuber den Frevel mit der Empfindung, daß sein Thun viel¬
leicht gegen die Bestimmungen eines Neichötagsabschieds verstoße, daß es
aber von dem gesammten Adel seiner Landschaft, ja von dem höchsten Herrn
des Landes als ein angenehmer, im schlimmsten Fall als ein gewagter Streich
betrachtet werden würde. Allerdings wenn Um die Stadt sing, deren Bürger
er geschädigt hatte, so konnte er leicht sein Leben enden, wie Mi ein Mörder
der Landstraße, aber das Recht der Stadt war nicht sein Recht, und wenn er
so starb, dann wurde sein Tod von andern muntern Gesellen wahrscheinlich
mit Blut gerochen. Wie unvernünftig auch die Ehrengesetze waren, nach
denen zu leben er sich verpflichtet fühlte, er hatte nur das Bewußtsein, daß
sie vortrefflich waren, und daß dieselben Gesetze von tausend andern geehrt
wurden, die er sür die Besten auf dieser Erde hielt. So ward es möglich,
daß sich mitten in der größten Unsittlichkeit und Verschrobenheit doch bei Ein¬
zelnen männliche Tugenden erhielten: Treue gegen gegebenes Wort, Hingebung
an die Freunde, gytmüthige Freundlichkeit selbst gegen die Beraubten und
Gefangenen.

Doch wie warm der Antheil sein mag, den wir den -- nicht zahlreichen
-- hellen Gestalten schenken, welche in ihrer dunklen Umgebung noch erkenn¬
bar sind, man vergesse nicht, daß schon am Ende des 15. Jahrhunderts das
Treiben des Landadels als eine unerträgliche Plage und ein nationales Unglück
angesehen wurde.

In dieser Zeit begannen unter dem neuen Kaiser Maximilian die ewig
denkwürdigen Versuche, dem zerrütteten Körper des Reiches eine neue Ver¬
fassung und die Möglichkeit eines neuen Lebens zu geben. Die großen Institutio¬
nen, welche Waffenruhe und Gesetzlichkeit allgemein machen sollten, waren der
ewige Landfriede und das Reichskammergericht. Langsam setzten sie sich durch,
nicht ohne viele Störungen und Unterbrechungen. Mehr als 100 Jahre dauerte


Hütte. Daß sie ein privilegirter Stand waren, der seine Mitglieder für besser
hielt, als den Bürger und Bauer, der in Ehe, Beschäftigung, Recht, in
Sitten und Ceremoniel sich gegen andere abschloß, dies exclusive Standes-
gefühl hat den niedern Adel durch Jahrhunderte schwach gemacht und
seine Existenz zu einem Unglück für das Volk, aber es hat ihn auch vor dem
Untergange in wüstem Treiben bewahrt. Denn wie verkehrt die Neigungen
eines Geschlechtes sein mögen, wenn sie die Selbstachtung der Individuen
nicht schmälern, sondern erhoben, so halten sie das Verderben vielleicht lange
auf. Zwischen dem Räuber, der jetzt auf entlegener Haide den Wanderer be¬
raubt, und dem Landjunker, ^der um das Jahr 1500 den nürnberger Kaufmann
vom Pferde warf und bei Wasser und Brot in ein finsteres Gefängniß steckte,
während seine Frau aus dem gestohlenen Tuch Rocke und Mäntel schnitt, ist
in Rücksicht auf die That selbst sehr wenig Unterschied. Aber vor 350 Jahren
übte der adlige Räuber den Frevel mit der Empfindung, daß sein Thun viel¬
leicht gegen die Bestimmungen eines Neichötagsabschieds verstoße, daß es
aber von dem gesammten Adel seiner Landschaft, ja von dem höchsten Herrn
des Landes als ein angenehmer, im schlimmsten Fall als ein gewagter Streich
betrachtet werden würde. Allerdings wenn Um die Stadt sing, deren Bürger
er geschädigt hatte, so konnte er leicht sein Leben enden, wie Mi ein Mörder
der Landstraße, aber das Recht der Stadt war nicht sein Recht, und wenn er
so starb, dann wurde sein Tod von andern muntern Gesellen wahrscheinlich
mit Blut gerochen. Wie unvernünftig auch die Ehrengesetze waren, nach
denen zu leben er sich verpflichtet fühlte, er hatte nur das Bewußtsein, daß
sie vortrefflich waren, und daß dieselben Gesetze von tausend andern geehrt
wurden, die er sür die Besten auf dieser Erde hielt. So ward es möglich,
daß sich mitten in der größten Unsittlichkeit und Verschrobenheit doch bei Ein¬
zelnen männliche Tugenden erhielten: Treue gegen gegebenes Wort, Hingebung
an die Freunde, gytmüthige Freundlichkeit selbst gegen die Beraubten und
Gefangenen.

Doch wie warm der Antheil sein mag, den wir den — nicht zahlreichen
— hellen Gestalten schenken, welche in ihrer dunklen Umgebung noch erkenn¬
bar sind, man vergesse nicht, daß schon am Ende des 15. Jahrhunderts das
Treiben des Landadels als eine unerträgliche Plage und ein nationales Unglück
angesehen wurde.

In dieser Zeit begannen unter dem neuen Kaiser Maximilian die ewig
denkwürdigen Versuche, dem zerrütteten Körper des Reiches eine neue Ver¬
fassung und die Möglichkeit eines neuen Lebens zu geben. Die großen Institutio¬
nen, welche Waffenruhe und Gesetzlichkeit allgemein machen sollten, waren der
ewige Landfriede und das Reichskammergericht. Langsam setzten sie sich durch,
nicht ohne viele Störungen und Unterbrechungen. Mehr als 100 Jahre dauerte


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[0392] Hütte. Daß sie ein privilegirter Stand waren, der seine Mitglieder für besser hielt, als den Bürger und Bauer, der in Ehe, Beschäftigung, Recht, in Sitten und Ceremoniel sich gegen andere abschloß, dies exclusive Standes- gefühl hat den niedern Adel durch Jahrhunderte schwach gemacht und seine Existenz zu einem Unglück für das Volk, aber es hat ihn auch vor dem Untergange in wüstem Treiben bewahrt. Denn wie verkehrt die Neigungen eines Geschlechtes sein mögen, wenn sie die Selbstachtung der Individuen nicht schmälern, sondern erhoben, so halten sie das Verderben vielleicht lange auf. Zwischen dem Räuber, der jetzt auf entlegener Haide den Wanderer be¬ raubt, und dem Landjunker, ^der um das Jahr 1500 den nürnberger Kaufmann vom Pferde warf und bei Wasser und Brot in ein finsteres Gefängniß steckte, während seine Frau aus dem gestohlenen Tuch Rocke und Mäntel schnitt, ist in Rücksicht auf die That selbst sehr wenig Unterschied. Aber vor 350 Jahren übte der adlige Räuber den Frevel mit der Empfindung, daß sein Thun viel¬ leicht gegen die Bestimmungen eines Neichötagsabschieds verstoße, daß es aber von dem gesammten Adel seiner Landschaft, ja von dem höchsten Herrn des Landes als ein angenehmer, im schlimmsten Fall als ein gewagter Streich betrachtet werden würde. Allerdings wenn Um die Stadt sing, deren Bürger er geschädigt hatte, so konnte er leicht sein Leben enden, wie Mi ein Mörder der Landstraße, aber das Recht der Stadt war nicht sein Recht, und wenn er so starb, dann wurde sein Tod von andern muntern Gesellen wahrscheinlich mit Blut gerochen. Wie unvernünftig auch die Ehrengesetze waren, nach denen zu leben er sich verpflichtet fühlte, er hatte nur das Bewußtsein, daß sie vortrefflich waren, und daß dieselben Gesetze von tausend andern geehrt wurden, die er sür die Besten auf dieser Erde hielt. So ward es möglich, daß sich mitten in der größten Unsittlichkeit und Verschrobenheit doch bei Ein¬ zelnen männliche Tugenden erhielten: Treue gegen gegebenes Wort, Hingebung an die Freunde, gytmüthige Freundlichkeit selbst gegen die Beraubten und Gefangenen. Doch wie warm der Antheil sein mag, den wir den — nicht zahlreichen — hellen Gestalten schenken, welche in ihrer dunklen Umgebung noch erkenn¬ bar sind, man vergesse nicht, daß schon am Ende des 15. Jahrhunderts das Treiben des Landadels als eine unerträgliche Plage und ein nationales Unglück angesehen wurde. In dieser Zeit begannen unter dem neuen Kaiser Maximilian die ewig denkwürdigen Versuche, dem zerrütteten Körper des Reiches eine neue Ver¬ fassung und die Möglichkeit eines neuen Lebens zu geben. Die großen Institutio¬ nen, welche Waffenruhe und Gesetzlichkeit allgemein machen sollten, waren der ewige Landfriede und das Reichskammergericht. Langsam setzten sie sich durch, nicht ohne viele Störungen und Unterbrechungen. Mehr als 100 Jahre dauerte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/392>, abgerufen am 27.07.2024.