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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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dieser Weise geschehen, so hätte ja der Eigner eines Schiffes durch einen Ses-
unfall sehr häufig die Aussicht auf einen directen Vortheil, da ihm das ver¬
gütet würde, wofür er sich schon in anderer Weise bezahlt gemacht hat, näm¬
lich die Abnutzung des Schiffes. Am spitzfindigsten liegt die Sache aber bei
den verladenen Gütern. Da muß zwischen dem aufgegebenen und dem wirk¬
lichen, zwischen dem Preise des Einschiffungs- und dem des Bestimmungs¬
ortes unterschieden, da muß der vorher durch particuläre Havarie etwa ver¬
ursachte Schaden' besonders berechnet, da muß die unregelmäßig verladene
Waare ganz aus der Rechnung gestrichen werden u. s, w. Die "Aufmachung
der großen Havarie", wie es technisch heißt, ist eine so sehr schwierige Sache,
daß ganze Bibliotheken darüber zusammengeschrieben sind und doch für viele
praktisch wichtige Punkte noch immer keine Einigkeit erlangt ist. So viel
wird den Lesern aus dem Bisherigen gewiß klar geworden sein, daß es sich
bei den meisten der dahin gehörigen Fragen viel weniger um juristische Con-
sequenzmachercien, als um Zweckmäßigkeit und Billigkeit handelt. Namentlich
wird mit möglichster Schärfe der überhaupt bei dem Versicherungswesen ma߬
gebende Grundsatz, daß der Versicherte nur entschädigt werden, nicht gewin¬
nen soll, festgehalten. In ihrem Grundgedanken und in ihrer Entstehung
hat Havarieberechnung mit der Versicherung allerdings nichts zu thun; in
unserer Zeit dagegen stehen beide im engsten Zusammenhange. Anfügen
wollen wir noch, daß bei der Seeschiffahrt Verhältnisse eintreten können, die
auf andern Verkehrs- und Rechtsgebieten gradezu gar nicht oder mindestens
nur in äußerst seltenen Ausnahmen denkbar wären. Der Schiffer darf die
ihm zur Fracht anvertraute Waare verkaufen, falls ihm kein anderes Mittel,
sich die zur Fortsetzung der Reise nothwendigen Gelder zu verschaffen, zu Ge¬
bote steht; er darf ferner zu demselben Zweck das Schiff verpfänden, obgleich
ihm weder Schiff noch Ladung angehört. Ein solches gesetzlich gestaltetes
Verfügungsrecht über fremdes Eigenthum erklärt sich eben aus der eigenthüm¬
lichen Lage, in weiche ein Schiffer hineingerathen kann. Natürlich übt das¬
selbe seinen Einfluß auf die Versicherungen aus.

Wir haben bisher die Lage des oder der Versicherten, wenn gleich nur
in den allgemeinsten Umrissen geschildert, aber auch die Lage des Ver¬
sicherers vor Seegcfahren weicht von der eines andern Versicherers sehr be¬
deutend ab. Die z. B. durch Feuer und Hagel entstehenden Unglücksfälle
wird der Verhinderer nach der Größe der Versicherungssumme und des wirk¬
lich herbeigeführten Schadens ersetzen, bei einer Lebensversicherung wird er
nach dem Tode des Versicherten an die Berechtigten die ausgemachte Summe,
die auf sehr einfache Daten hin ausgerechnet worden, bezahlen; anders aber
bei Seeversicherungen. Hier muß jeder Fall viel individueller für sich behandelt
werden und setzt die genaueste Kenntniß alter betreffenden Verhältnisse voraus.


Grcnzbote" I. 1858. 48

dieser Weise geschehen, so hätte ja der Eigner eines Schiffes durch einen Ses-
unfall sehr häufig die Aussicht auf einen directen Vortheil, da ihm das ver¬
gütet würde, wofür er sich schon in anderer Weise bezahlt gemacht hat, näm¬
lich die Abnutzung des Schiffes. Am spitzfindigsten liegt die Sache aber bei
den verladenen Gütern. Da muß zwischen dem aufgegebenen und dem wirk¬
lichen, zwischen dem Preise des Einschiffungs- und dem des Bestimmungs¬
ortes unterschieden, da muß der vorher durch particuläre Havarie etwa ver¬
ursachte Schaden' besonders berechnet, da muß die unregelmäßig verladene
Waare ganz aus der Rechnung gestrichen werden u. s, w. Die „Aufmachung
der großen Havarie", wie es technisch heißt, ist eine so sehr schwierige Sache,
daß ganze Bibliotheken darüber zusammengeschrieben sind und doch für viele
praktisch wichtige Punkte noch immer keine Einigkeit erlangt ist. So viel
wird den Lesern aus dem Bisherigen gewiß klar geworden sein, daß es sich
bei den meisten der dahin gehörigen Fragen viel weniger um juristische Con-
sequenzmachercien, als um Zweckmäßigkeit und Billigkeit handelt. Namentlich
wird mit möglichster Schärfe der überhaupt bei dem Versicherungswesen ma߬
gebende Grundsatz, daß der Versicherte nur entschädigt werden, nicht gewin¬
nen soll, festgehalten. In ihrem Grundgedanken und in ihrer Entstehung
hat Havarieberechnung mit der Versicherung allerdings nichts zu thun; in
unserer Zeit dagegen stehen beide im engsten Zusammenhange. Anfügen
wollen wir noch, daß bei der Seeschiffahrt Verhältnisse eintreten können, die
auf andern Verkehrs- und Rechtsgebieten gradezu gar nicht oder mindestens
nur in äußerst seltenen Ausnahmen denkbar wären. Der Schiffer darf die
ihm zur Fracht anvertraute Waare verkaufen, falls ihm kein anderes Mittel,
sich die zur Fortsetzung der Reise nothwendigen Gelder zu verschaffen, zu Ge¬
bote steht; er darf ferner zu demselben Zweck das Schiff verpfänden, obgleich
ihm weder Schiff noch Ladung angehört. Ein solches gesetzlich gestaltetes
Verfügungsrecht über fremdes Eigenthum erklärt sich eben aus der eigenthüm¬
lichen Lage, in weiche ein Schiffer hineingerathen kann. Natürlich übt das¬
selbe seinen Einfluß auf die Versicherungen aus.

Wir haben bisher die Lage des oder der Versicherten, wenn gleich nur
in den allgemeinsten Umrissen geschildert, aber auch die Lage des Ver¬
sicherers vor Seegcfahren weicht von der eines andern Versicherers sehr be¬
deutend ab. Die z. B. durch Feuer und Hagel entstehenden Unglücksfälle
wird der Verhinderer nach der Größe der Versicherungssumme und des wirk¬
lich herbeigeführten Schadens ersetzen, bei einer Lebensversicherung wird er
nach dem Tode des Versicherten an die Berechtigten die ausgemachte Summe,
die auf sehr einfache Daten hin ausgerechnet worden, bezahlen; anders aber
bei Seeversicherungen. Hier muß jeder Fall viel individueller für sich behandelt
werden und setzt die genaueste Kenntniß alter betreffenden Verhältnisse voraus.


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[0385] dieser Weise geschehen, so hätte ja der Eigner eines Schiffes durch einen Ses- unfall sehr häufig die Aussicht auf einen directen Vortheil, da ihm das ver¬ gütet würde, wofür er sich schon in anderer Weise bezahlt gemacht hat, näm¬ lich die Abnutzung des Schiffes. Am spitzfindigsten liegt die Sache aber bei den verladenen Gütern. Da muß zwischen dem aufgegebenen und dem wirk¬ lichen, zwischen dem Preise des Einschiffungs- und dem des Bestimmungs¬ ortes unterschieden, da muß der vorher durch particuläre Havarie etwa ver¬ ursachte Schaden' besonders berechnet, da muß die unregelmäßig verladene Waare ganz aus der Rechnung gestrichen werden u. s, w. Die „Aufmachung der großen Havarie", wie es technisch heißt, ist eine so sehr schwierige Sache, daß ganze Bibliotheken darüber zusammengeschrieben sind und doch für viele praktisch wichtige Punkte noch immer keine Einigkeit erlangt ist. So viel wird den Lesern aus dem Bisherigen gewiß klar geworden sein, daß es sich bei den meisten der dahin gehörigen Fragen viel weniger um juristische Con- sequenzmachercien, als um Zweckmäßigkeit und Billigkeit handelt. Namentlich wird mit möglichster Schärfe der überhaupt bei dem Versicherungswesen ma߬ gebende Grundsatz, daß der Versicherte nur entschädigt werden, nicht gewin¬ nen soll, festgehalten. In ihrem Grundgedanken und in ihrer Entstehung hat Havarieberechnung mit der Versicherung allerdings nichts zu thun; in unserer Zeit dagegen stehen beide im engsten Zusammenhange. Anfügen wollen wir noch, daß bei der Seeschiffahrt Verhältnisse eintreten können, die auf andern Verkehrs- und Rechtsgebieten gradezu gar nicht oder mindestens nur in äußerst seltenen Ausnahmen denkbar wären. Der Schiffer darf die ihm zur Fracht anvertraute Waare verkaufen, falls ihm kein anderes Mittel, sich die zur Fortsetzung der Reise nothwendigen Gelder zu verschaffen, zu Ge¬ bote steht; er darf ferner zu demselben Zweck das Schiff verpfänden, obgleich ihm weder Schiff noch Ladung angehört. Ein solches gesetzlich gestaltetes Verfügungsrecht über fremdes Eigenthum erklärt sich eben aus der eigenthüm¬ lichen Lage, in weiche ein Schiffer hineingerathen kann. Natürlich übt das¬ selbe seinen Einfluß auf die Versicherungen aus. Wir haben bisher die Lage des oder der Versicherten, wenn gleich nur in den allgemeinsten Umrissen geschildert, aber auch die Lage des Ver¬ sicherers vor Seegcfahren weicht von der eines andern Versicherers sehr be¬ deutend ab. Die z. B. durch Feuer und Hagel entstehenden Unglücksfälle wird der Verhinderer nach der Größe der Versicherungssumme und des wirk¬ lich herbeigeführten Schadens ersetzen, bei einer Lebensversicherung wird er nach dem Tode des Versicherten an die Berechtigten die ausgemachte Summe, die auf sehr einfache Daten hin ausgerechnet worden, bezahlen; anders aber bei Seeversicherungen. Hier muß jeder Fall viel individueller für sich behandelt werden und setzt die genaueste Kenntniß alter betreffenden Verhältnisse voraus. Grcnzbote» I. 1858. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/385>, abgerufen am 28.07.2024.