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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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suchten die Römer vergebens seine Außenwerke zu erschüttern. Titus hätte
dieses in der ganzen alten Welt verehrte und berühmte Gotteshaus gern ge¬
schont. Aber bei einem Handgemenge (am 5. August), wo die Römer den
Juden bis in den Tempel nachdrängen, schleuderte ein Soldat, von einem
Kameraden emporgehoben, einen Brand durch das sogenannte goldene Fenster.
Die Flamme griff um sich, zu spät eilte Titus herbei, seine Befehle verhallten
ungehört im Getümmel und der Tempel ging in Feuer auf.

Auch nach dem Brande des Nationalheiligthums dauerte die Vertheidi¬
gung der obern Stadt mit unverminderter Hartnäckigkeit fort. Auch jetzt, wo
alle Hoffnung geschwunden war, mußten die Römer noch jeden Zollbreit
Boden mit Strömen von Blut erkaufen. Erst am zweiten September des
Jahres 70 ging die Sonne über den rauchenden Trümmern Jerusalems auf.
Mehr als eine Million Juden war nach Josephus bei der Belagerung um¬
gekommen. An 100,000 wurden gefangen. Von diesen ward eine große
Zahl hingerichtet, eine andere Menge verschmachtete aus Mangel an Nahrung,
Tausende wurden in Gladiatorenspielen und Thierkämpfen geschlachtet, Tausende
in die ägyptischen Bergwerke gesendet, die übrigen, namentlich alle unter
17 Jahren, als Sklaven verkauft. Mit der Zerstörung Jerusalems war der
eigentliche Herd des Aufruhrs erloschen. Der Krieg konnte als beendet an¬
gesehen werden. Vespasian und Titus ließen die Denkmünze der ^na^Ä eaM
schlagen, die als trauerndes Weib vor einem aufrecht stehenden Krieger unter
einer Palme sitzt, und hielten einen der prachtvollsten und eigenthümlichsten
Triumphe, die Rom je gesehen hatte. Ueber der heiligen Straße, nicht weit
vom Aufgange zum Capitol erhob sich der Triumphbogen, an dessen Reliefs
die Opfertische und der siebenarmige Leuchter, von Soldaten getragen, noch
heute zu sehen sind. Die römischen Juden sollen lange diesen Weg ver¬
mieden haben.

An einigen Punkten Judüas glimmten die Reste des großen Brandes
noch fort. Erst am Passahfest 73 n. Chr. siel die letzte Festung Maseda und
ihr Fall war ein schauerliches Nachspiel der großen Katastrophe. Die dort
Eingeschlossenen wählten zehn aus ihrer Mitte, die alle übrigen tödteten und
zuletzt einander. Die Zahl der Todten, Weiber und Kinder mitgerechnet, be-
lief sich aus neunhundertsechzig.

Es ist ohne Zweifel sehr zu bedauern, daß wir die Geschichte des jüdi¬
schen Krieges nur in einer innerlich so unwahren und gefärbten Erzählung
besitzen: aber selbst in dieser verfehlt der hochtragische Gegenstand nicht seinen
ergreifenden Eindruck, der freilich anderer Art ist als der Verfasser beabsichtigte.
Um so mehr, da Josephus ein in der That sehr großes Darstcllungstalent
besitzt, und in anschaulicher Lebendigkeit der Schilderung nichts zu wünschen
übrig läßt. Für ihn wäre es freilich ehrenvoller gewesen, in der Vertheidi-


suchten die Römer vergebens seine Außenwerke zu erschüttern. Titus hätte
dieses in der ganzen alten Welt verehrte und berühmte Gotteshaus gern ge¬
schont. Aber bei einem Handgemenge (am 5. August), wo die Römer den
Juden bis in den Tempel nachdrängen, schleuderte ein Soldat, von einem
Kameraden emporgehoben, einen Brand durch das sogenannte goldene Fenster.
Die Flamme griff um sich, zu spät eilte Titus herbei, seine Befehle verhallten
ungehört im Getümmel und der Tempel ging in Feuer auf.

Auch nach dem Brande des Nationalheiligthums dauerte die Vertheidi¬
gung der obern Stadt mit unverminderter Hartnäckigkeit fort. Auch jetzt, wo
alle Hoffnung geschwunden war, mußten die Römer noch jeden Zollbreit
Boden mit Strömen von Blut erkaufen. Erst am zweiten September des
Jahres 70 ging die Sonne über den rauchenden Trümmern Jerusalems auf.
Mehr als eine Million Juden war nach Josephus bei der Belagerung um¬
gekommen. An 100,000 wurden gefangen. Von diesen ward eine große
Zahl hingerichtet, eine andere Menge verschmachtete aus Mangel an Nahrung,
Tausende wurden in Gladiatorenspielen und Thierkämpfen geschlachtet, Tausende
in die ägyptischen Bergwerke gesendet, die übrigen, namentlich alle unter
17 Jahren, als Sklaven verkauft. Mit der Zerstörung Jerusalems war der
eigentliche Herd des Aufruhrs erloschen. Der Krieg konnte als beendet an¬
gesehen werden. Vespasian und Titus ließen die Denkmünze der ^na^Ä eaM
schlagen, die als trauerndes Weib vor einem aufrecht stehenden Krieger unter
einer Palme sitzt, und hielten einen der prachtvollsten und eigenthümlichsten
Triumphe, die Rom je gesehen hatte. Ueber der heiligen Straße, nicht weit
vom Aufgange zum Capitol erhob sich der Triumphbogen, an dessen Reliefs
die Opfertische und der siebenarmige Leuchter, von Soldaten getragen, noch
heute zu sehen sind. Die römischen Juden sollen lange diesen Weg ver¬
mieden haben.

An einigen Punkten Judüas glimmten die Reste des großen Brandes
noch fort. Erst am Passahfest 73 n. Chr. siel die letzte Festung Maseda und
ihr Fall war ein schauerliches Nachspiel der großen Katastrophe. Die dort
Eingeschlossenen wählten zehn aus ihrer Mitte, die alle übrigen tödteten und
zuletzt einander. Die Zahl der Todten, Weiber und Kinder mitgerechnet, be-
lief sich aus neunhundertsechzig.

Es ist ohne Zweifel sehr zu bedauern, daß wir die Geschichte des jüdi¬
schen Krieges nur in einer innerlich so unwahren und gefärbten Erzählung
besitzen: aber selbst in dieser verfehlt der hochtragische Gegenstand nicht seinen
ergreifenden Eindruck, der freilich anderer Art ist als der Verfasser beabsichtigte.
Um so mehr, da Josephus ein in der That sehr großes Darstcllungstalent
besitzt, und in anschaulicher Lebendigkeit der Schilderung nichts zu wünschen
übrig läßt. Für ihn wäre es freilich ehrenvoller gewesen, in der Vertheidi-


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[0351] suchten die Römer vergebens seine Außenwerke zu erschüttern. Titus hätte dieses in der ganzen alten Welt verehrte und berühmte Gotteshaus gern ge¬ schont. Aber bei einem Handgemenge (am 5. August), wo die Römer den Juden bis in den Tempel nachdrängen, schleuderte ein Soldat, von einem Kameraden emporgehoben, einen Brand durch das sogenannte goldene Fenster. Die Flamme griff um sich, zu spät eilte Titus herbei, seine Befehle verhallten ungehört im Getümmel und der Tempel ging in Feuer auf. Auch nach dem Brande des Nationalheiligthums dauerte die Vertheidi¬ gung der obern Stadt mit unverminderter Hartnäckigkeit fort. Auch jetzt, wo alle Hoffnung geschwunden war, mußten die Römer noch jeden Zollbreit Boden mit Strömen von Blut erkaufen. Erst am zweiten September des Jahres 70 ging die Sonne über den rauchenden Trümmern Jerusalems auf. Mehr als eine Million Juden war nach Josephus bei der Belagerung um¬ gekommen. An 100,000 wurden gefangen. Von diesen ward eine große Zahl hingerichtet, eine andere Menge verschmachtete aus Mangel an Nahrung, Tausende wurden in Gladiatorenspielen und Thierkämpfen geschlachtet, Tausende in die ägyptischen Bergwerke gesendet, die übrigen, namentlich alle unter 17 Jahren, als Sklaven verkauft. Mit der Zerstörung Jerusalems war der eigentliche Herd des Aufruhrs erloschen. Der Krieg konnte als beendet an¬ gesehen werden. Vespasian und Titus ließen die Denkmünze der ^na^Ä eaM schlagen, die als trauerndes Weib vor einem aufrecht stehenden Krieger unter einer Palme sitzt, und hielten einen der prachtvollsten und eigenthümlichsten Triumphe, die Rom je gesehen hatte. Ueber der heiligen Straße, nicht weit vom Aufgange zum Capitol erhob sich der Triumphbogen, an dessen Reliefs die Opfertische und der siebenarmige Leuchter, von Soldaten getragen, noch heute zu sehen sind. Die römischen Juden sollen lange diesen Weg ver¬ mieden haben. An einigen Punkten Judüas glimmten die Reste des großen Brandes noch fort. Erst am Passahfest 73 n. Chr. siel die letzte Festung Maseda und ihr Fall war ein schauerliches Nachspiel der großen Katastrophe. Die dort Eingeschlossenen wählten zehn aus ihrer Mitte, die alle übrigen tödteten und zuletzt einander. Die Zahl der Todten, Weiber und Kinder mitgerechnet, be- lief sich aus neunhundertsechzig. Es ist ohne Zweifel sehr zu bedauern, daß wir die Geschichte des jüdi¬ schen Krieges nur in einer innerlich so unwahren und gefärbten Erzählung besitzen: aber selbst in dieser verfehlt der hochtragische Gegenstand nicht seinen ergreifenden Eindruck, der freilich anderer Art ist als der Verfasser beabsichtigte. Um so mehr, da Josephus ein in der That sehr großes Darstcllungstalent besitzt, und in anschaulicher Lebendigkeit der Schilderung nichts zu wünschen übrig läßt. Für ihn wäre es freilich ehrenvoller gewesen, in der Vertheidi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/351>, abgerufen am 22.12.2024.