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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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klug genug ihn gewähren zu lassen, so lange es sich um die Durchführung
ihrer Absichten handelte, war aber alles in Ordnung, so mußte er wol
merken, daß man sich nicht ungestraft überhebt. Die Hauptsache hatte er er¬
reicht, aber in nicht unwichtigen Nebendingen hatte er die Absicht seiner Herrin
nicht ganz getroffen. Es kam ihr acht blos daraus an, die Polen zu be¬
rauben, die polnischen Zustände sollten auch in ihrer ganzen Erbärmlichkeit
dargestellt werden, grade darum hatte sie Siepers gewählt. So entartet die
Nation war, gegen die einsacke rohe Gewalt Hütte sie sich doch aufgelehnt,
ein Jgelstrvm hätte eine laute, anscheinend chevalereske Opposition hervor¬
gerufen. Der Wechsel zwischen Drohung und Schmeichelei, zwischen verächt¬
licher Bestechung und höflichen Geschenken, mit dem Siepers zu Werke ging,
war ganz geeignet, die bodenlose Gemeinheit dieses hochmüthigen und sitten¬
losen Adels an den Tag zu bringen und das romantische Mitgefühl für die
Polen wird durch diese actenmäßige Darstellung wahrlich nicht gefördert.
Aber Siepers war nicht weit genug gegangen. Als sich in der letzten
Krisis selbst unter den erkauften und besoldeten Landboten ein Murren
erhob, war er nicht schnell und streng genug eingeschritten, hauptsächlich hatte
er aber in einem Punkt Katharinas Ideen mißverstanden. Wenn er in der Haupt¬
sache durch offene Gewalt oder durch-Bestechung seinen Zweck erreicht hatte, so ließ
er es zu, daß die Gedemüthigten sich durch einzelne, unbedeutende Kleinigkeiten
entschädigten, und er sah ihnen durch die Finger, wenn sie das sogar mit einer
gewissen Ruhmredigkeit thaten. Nichts lag den Absichten Katharinas ferner.
Der Nacken des Bote's sollte nicht blos den eisernen Fuß suhlen, er sollte von
ihm beschmuzt werden. Es kommt in der Geschichte nie oder wenigstens sehr
selten vor. daß ein Despot sich streng an die Regeln Macchiavellis hält
d. h. nur so viel Böses thut, als zur Erreichung seiner Zwecke unbedingt
nothwendig ist; erst wenn er mit seiner Willkür über diesen Zweck
hinausgeht, empfindet er seine Allmacht. Daraus erklärt sich die wunderliche
Ordensgeschichte.

Aber bei der Ungnade des russischen Staatsmanns kommt noch ein an¬
derer Umstand in Betracht. Trotz aller Reclamationen gegen den Despotis¬
mus pflegt man auf seine schlimmste Seite nicht die gebührende Aufmerksam¬
keit zu wenden. Man faßt ihn in der Negel nur im Großen, nur in seinen
politischen Folgen auf, läßt aber die sittliche" unberücksichtigt. Die schlimmste
Seite des Despotismus ist, daß er seine Helfershelfer sittlich corrumpirt, und
daß er diese Wirkungen sehr weit ausdehnt. Es ist ein häufig gehörtes, aber
unbegründetes Borurtheil, daß mau in einer Despotie ruhig leben könne,
wenn man sich von allen politischen Dingen fernhalte. In den Günstlingen
lebt das Gefühl, daß ihre Stellung vergänglich ist und daß sie sich beeilen
müssen, für die Zukunft etwas Sicheres bei Seite zu bringen. Da es in


Grenzten I. 1858. 39

klug genug ihn gewähren zu lassen, so lange es sich um die Durchführung
ihrer Absichten handelte, war aber alles in Ordnung, so mußte er wol
merken, daß man sich nicht ungestraft überhebt. Die Hauptsache hatte er er¬
reicht, aber in nicht unwichtigen Nebendingen hatte er die Absicht seiner Herrin
nicht ganz getroffen. Es kam ihr acht blos daraus an, die Polen zu be¬
rauben, die polnischen Zustände sollten auch in ihrer ganzen Erbärmlichkeit
dargestellt werden, grade darum hatte sie Siepers gewählt. So entartet die
Nation war, gegen die einsacke rohe Gewalt Hütte sie sich doch aufgelehnt,
ein Jgelstrvm hätte eine laute, anscheinend chevalereske Opposition hervor¬
gerufen. Der Wechsel zwischen Drohung und Schmeichelei, zwischen verächt¬
licher Bestechung und höflichen Geschenken, mit dem Siepers zu Werke ging,
war ganz geeignet, die bodenlose Gemeinheit dieses hochmüthigen und sitten¬
losen Adels an den Tag zu bringen und das romantische Mitgefühl für die
Polen wird durch diese actenmäßige Darstellung wahrlich nicht gefördert.
Aber Siepers war nicht weit genug gegangen. Als sich in der letzten
Krisis selbst unter den erkauften und besoldeten Landboten ein Murren
erhob, war er nicht schnell und streng genug eingeschritten, hauptsächlich hatte
er aber in einem Punkt Katharinas Ideen mißverstanden. Wenn er in der Haupt¬
sache durch offene Gewalt oder durch-Bestechung seinen Zweck erreicht hatte, so ließ
er es zu, daß die Gedemüthigten sich durch einzelne, unbedeutende Kleinigkeiten
entschädigten, und er sah ihnen durch die Finger, wenn sie das sogar mit einer
gewissen Ruhmredigkeit thaten. Nichts lag den Absichten Katharinas ferner.
Der Nacken des Bote's sollte nicht blos den eisernen Fuß suhlen, er sollte von
ihm beschmuzt werden. Es kommt in der Geschichte nie oder wenigstens sehr
selten vor. daß ein Despot sich streng an die Regeln Macchiavellis hält
d. h. nur so viel Böses thut, als zur Erreichung seiner Zwecke unbedingt
nothwendig ist; erst wenn er mit seiner Willkür über diesen Zweck
hinausgeht, empfindet er seine Allmacht. Daraus erklärt sich die wunderliche
Ordensgeschichte.

Aber bei der Ungnade des russischen Staatsmanns kommt noch ein an¬
derer Umstand in Betracht. Trotz aller Reclamationen gegen den Despotis¬
mus pflegt man auf seine schlimmste Seite nicht die gebührende Aufmerksam¬
keit zu wenden. Man faßt ihn in der Negel nur im Großen, nur in seinen
politischen Folgen auf, läßt aber die sittliche» unberücksichtigt. Die schlimmste
Seite des Despotismus ist, daß er seine Helfershelfer sittlich corrumpirt, und
daß er diese Wirkungen sehr weit ausdehnt. Es ist ein häufig gehörtes, aber
unbegründetes Borurtheil, daß mau in einer Despotie ruhig leben könne,
wenn man sich von allen politischen Dingen fernhalte. In den Günstlingen
lebt das Gefühl, daß ihre Stellung vergänglich ist und daß sie sich beeilen
müssen, für die Zukunft etwas Sicheres bei Seite zu bringen. Da es in


Grenzten I. 1858. 39
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[0313] klug genug ihn gewähren zu lassen, so lange es sich um die Durchführung ihrer Absichten handelte, war aber alles in Ordnung, so mußte er wol merken, daß man sich nicht ungestraft überhebt. Die Hauptsache hatte er er¬ reicht, aber in nicht unwichtigen Nebendingen hatte er die Absicht seiner Herrin nicht ganz getroffen. Es kam ihr acht blos daraus an, die Polen zu be¬ rauben, die polnischen Zustände sollten auch in ihrer ganzen Erbärmlichkeit dargestellt werden, grade darum hatte sie Siepers gewählt. So entartet die Nation war, gegen die einsacke rohe Gewalt Hütte sie sich doch aufgelehnt, ein Jgelstrvm hätte eine laute, anscheinend chevalereske Opposition hervor¬ gerufen. Der Wechsel zwischen Drohung und Schmeichelei, zwischen verächt¬ licher Bestechung und höflichen Geschenken, mit dem Siepers zu Werke ging, war ganz geeignet, die bodenlose Gemeinheit dieses hochmüthigen und sitten¬ losen Adels an den Tag zu bringen und das romantische Mitgefühl für die Polen wird durch diese actenmäßige Darstellung wahrlich nicht gefördert. Aber Siepers war nicht weit genug gegangen. Als sich in der letzten Krisis selbst unter den erkauften und besoldeten Landboten ein Murren erhob, war er nicht schnell und streng genug eingeschritten, hauptsächlich hatte er aber in einem Punkt Katharinas Ideen mißverstanden. Wenn er in der Haupt¬ sache durch offene Gewalt oder durch-Bestechung seinen Zweck erreicht hatte, so ließ er es zu, daß die Gedemüthigten sich durch einzelne, unbedeutende Kleinigkeiten entschädigten, und er sah ihnen durch die Finger, wenn sie das sogar mit einer gewissen Ruhmredigkeit thaten. Nichts lag den Absichten Katharinas ferner. Der Nacken des Bote's sollte nicht blos den eisernen Fuß suhlen, er sollte von ihm beschmuzt werden. Es kommt in der Geschichte nie oder wenigstens sehr selten vor. daß ein Despot sich streng an die Regeln Macchiavellis hält d. h. nur so viel Böses thut, als zur Erreichung seiner Zwecke unbedingt nothwendig ist; erst wenn er mit seiner Willkür über diesen Zweck hinausgeht, empfindet er seine Allmacht. Daraus erklärt sich die wunderliche Ordensgeschichte. Aber bei der Ungnade des russischen Staatsmanns kommt noch ein an¬ derer Umstand in Betracht. Trotz aller Reclamationen gegen den Despotis¬ mus pflegt man auf seine schlimmste Seite nicht die gebührende Aufmerksam¬ keit zu wenden. Man faßt ihn in der Negel nur im Großen, nur in seinen politischen Folgen auf, läßt aber die sittliche» unberücksichtigt. Die schlimmste Seite des Despotismus ist, daß er seine Helfershelfer sittlich corrumpirt, und daß er diese Wirkungen sehr weit ausdehnt. Es ist ein häufig gehörtes, aber unbegründetes Borurtheil, daß mau in einer Despotie ruhig leben könne, wenn man sich von allen politischen Dingen fernhalte. In den Günstlingen lebt das Gefühl, daß ihre Stellung vergänglich ist und daß sie sich beeilen müssen, für die Zukunft etwas Sicheres bei Seite zu bringen. Da es in Grenzten I. 1858. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/313>, abgerufen am 22.12.2024.