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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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bitter über die preußische Unbilligkeit, Habsucht und Inhumanität, und die
Kaiserin gibt ihm in diesen Gefühlen vollkommen recht. Indeß war dies
Mal der Bogen doch zu straff gespannt. Die Kriegsereignisse am Rhein geben
nicht die gewünschte Chance und auf eine Anweisung von Se. Petersburg
zieht der Botschafter ein anderes Gesicht auf. Mit äußerster Strenge weist
er die Polen an, die preußischen Forderungen zu befriedigen und rohe Gewalt
bringt endlich die Sache glücklich zu Ende.

Bis dahin hatte Katharina in ihren Briefen fortwährend die unbedingte
Billigung und die größte Dankbarkeit ausgesprochen, das Ganze ist jetzt glück¬
lich vollendet, und der Botschafter erwartet seinen Lohn. Dieser Lohn erfolgt
in folgendem kaiserlichen Rescript-. "Herr Botschafter von Siepers! Wir haben
nur mit äußerstem Mißfallen erfahren tonnen, daß der Reichstag von Grodno
in seiner letzten Sitzung, ohne Sie zu befragen, oder besser gesagt, aus Arg¬
list den nämlichen Orden wieder hergestellt hat, der vom König von Polen
zur Zeit der Revolution und der Feindseligkeit gegen Nußland errichtet und
aus Unser ausdrückliches Verlangen aufgehoben worden ist. Es ist der Leicht¬
sinn nicht allein und der Blödsinn, wie Sie es nennen, sondern sogar der Geist
der Ränke, der Nach- und Herrschsucht, welche der neuen Revolution zu Grunde
liegen, die Wir in diesem unverschämten und verwegenen Schritt erblicken.
Daher durften Wir es nicht gut heißen, daß Sie ihn nicht aus dem wahren
Gesichtspunkt angesehen, und den Reichstag ohne die Genugthuung, welche
die Sache forderte, geschlossen haben, da Sie doch ein unbestrittenes Recht
dazu besaßen, vermöge des zuletzt geschlossenen Vertrages, wo unter andern
die polnische Negierung sich verpflichtet, keine innere Einrichtung zu treffen,
ohne zuvor Uns darüber zu befragen. Sie haben gefehlt, daß Sie sich eines
solchen Schrittes enthielten, Ihrer Angabe nach aus Furcht, die Früchte
Ihrer Arbeiten einem widerwärtigen Ende Preis zu geben. Diese Früchte
gehn in der That verloren, sobald einerseits der Buncesvertrag gebrochen
wird, indeß es andererseits erhellt, daß Sie keinen besondern Erfolg gehabt,
in einem der Hauptgegenstände, dle Ihrer Sorge anvertraut sind, nämlich
dem, in den Nathsverjammlungen der Nation die Zahl der wohlwollenden
und.Rußland anhängigen Männer zu vermehren; denn es sand sich niemand,
der nicht allein die Sache hätte aufhalten, sondern Ihnen auch nur einen
Wink geben können. Was den Vertrag betrifft, durch den die polnischen
Provinzen mit Unserm Reiche verbunden worden sind, so war es nur das
Erge dniß Unserer Waffen und wäre durch sie vor jedem Angriff in Sicher¬
heit gewesen. Was hatten Sie also zu fürchten? Aber wie solch Gerede nicht
hinreicht, was geschehen ist wieder gut zu machen, müssen Wir zu wirksamen
Mitteln greifen, unter die Wir als erstes das rechnen, aufs nachdrücklichste
dem König und der polnischen Nation Unser gerechtes Mißfallen bei dieser


bitter über die preußische Unbilligkeit, Habsucht und Inhumanität, und die
Kaiserin gibt ihm in diesen Gefühlen vollkommen recht. Indeß war dies
Mal der Bogen doch zu straff gespannt. Die Kriegsereignisse am Rhein geben
nicht die gewünschte Chance und auf eine Anweisung von Se. Petersburg
zieht der Botschafter ein anderes Gesicht auf. Mit äußerster Strenge weist
er die Polen an, die preußischen Forderungen zu befriedigen und rohe Gewalt
bringt endlich die Sache glücklich zu Ende.

Bis dahin hatte Katharina in ihren Briefen fortwährend die unbedingte
Billigung und die größte Dankbarkeit ausgesprochen, das Ganze ist jetzt glück¬
lich vollendet, und der Botschafter erwartet seinen Lohn. Dieser Lohn erfolgt
in folgendem kaiserlichen Rescript-. „Herr Botschafter von Siepers! Wir haben
nur mit äußerstem Mißfallen erfahren tonnen, daß der Reichstag von Grodno
in seiner letzten Sitzung, ohne Sie zu befragen, oder besser gesagt, aus Arg¬
list den nämlichen Orden wieder hergestellt hat, der vom König von Polen
zur Zeit der Revolution und der Feindseligkeit gegen Nußland errichtet und
aus Unser ausdrückliches Verlangen aufgehoben worden ist. Es ist der Leicht¬
sinn nicht allein und der Blödsinn, wie Sie es nennen, sondern sogar der Geist
der Ränke, der Nach- und Herrschsucht, welche der neuen Revolution zu Grunde
liegen, die Wir in diesem unverschämten und verwegenen Schritt erblicken.
Daher durften Wir es nicht gut heißen, daß Sie ihn nicht aus dem wahren
Gesichtspunkt angesehen, und den Reichstag ohne die Genugthuung, welche
die Sache forderte, geschlossen haben, da Sie doch ein unbestrittenes Recht
dazu besaßen, vermöge des zuletzt geschlossenen Vertrages, wo unter andern
die polnische Negierung sich verpflichtet, keine innere Einrichtung zu treffen,
ohne zuvor Uns darüber zu befragen. Sie haben gefehlt, daß Sie sich eines
solchen Schrittes enthielten, Ihrer Angabe nach aus Furcht, die Früchte
Ihrer Arbeiten einem widerwärtigen Ende Preis zu geben. Diese Früchte
gehn in der That verloren, sobald einerseits der Buncesvertrag gebrochen
wird, indeß es andererseits erhellt, daß Sie keinen besondern Erfolg gehabt,
in einem der Hauptgegenstände, dle Ihrer Sorge anvertraut sind, nämlich
dem, in den Nathsverjammlungen der Nation die Zahl der wohlwollenden
und.Rußland anhängigen Männer zu vermehren; denn es sand sich niemand,
der nicht allein die Sache hätte aufhalten, sondern Ihnen auch nur einen
Wink geben können. Was den Vertrag betrifft, durch den die polnischen
Provinzen mit Unserm Reiche verbunden worden sind, so war es nur das
Erge dniß Unserer Waffen und wäre durch sie vor jedem Angriff in Sicher¬
heit gewesen. Was hatten Sie also zu fürchten? Aber wie solch Gerede nicht
hinreicht, was geschehen ist wieder gut zu machen, müssen Wir zu wirksamen
Mitteln greifen, unter die Wir als erstes das rechnen, aufs nachdrücklichste
dem König und der polnischen Nation Unser gerechtes Mißfallen bei dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/310>, abgerufen am 28.07.2024.