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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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mußte weichen, die Zäune wurden niedergerissen, die Gräben wurden zuge¬
schüttet.

Zu Nürnberg, wo ich den Schutz Georg von Wedells oder eines andern
nicht nöthig hatte, bin ich in ein Wirthshaus geritten, in welchem der obge-
meldetc Herzog von Liegnitz auch Herberge genommen. Auch Kais. Majestät
ist mit großem Comitat herangekommen und so lange zu Nürnberg geblie¬
ben, daß er zu Augsburg bequem um den 1. September ankommen konnte.
Der Herzog von Liegnitz hat sich seines Saufens beflissen, ist stets voll ge¬
wesen und um dazu in Nürnberg Gesellschaft zu haben, da ihm seine zuge¬
ordneten Räthe bei dem Schwärmen keine Gesellschaft leisten wollten, hat
er die Hofleute des Markgrafen Johann gerne bei sich gehabt, die denn
'mit ihm ein unbändiges Trinken verführt haben. Als sie einst sehr bezecht
waren, hat der Herzog mit sechs Markgräfiichen sich den rechten Aermel von
Wamms und Hemde schneiden lassen, so daß der Arm ganz nackend
war, hat die Hosen aufgelöst und das Hemde zwischen den Hosen und dem
Wamms rund herum etwas ausgezogen. So sind sie ohne Schuhe auf den
Socken in bloßem Haupte, vor ihnen das große Spiel, die Spielleute der
Stadt Nürnberg, welche aus aller Macht so laut blasen mußten als sie konn¬
ten, die Gasse entlang vorwärts gezogen, einer nach dem andern, bald nach
dem Mittagessen, aus der Herberge nach dem Logement des Herzogs Heinrich
von Braunschweig. In der einen Hand hatte der Herzog ein paar Würfel,
in der andern Hand etliche Goldstücke. Da kam eine Welt von Leuten Her-
zugelaufen, zumal von den fremden Nationen, Spanier und Italiener und
sahen diesen deutschen Ebnaken zu. Der Wein überwand sie; als sie zum
Braunschweiger hinaufkamen, schlug der Liegnitzer mit beiden Händen vor
dem Braunschweiger auf den Tisch, aus der einen Hand hatte er das Gold
verloren, in der andern Hand hatte er nur einen Würfel, konnte nicht lallen,
sondern stürzte an dem Tische nieder. Der Braunschweiger ließ ihn durch
vier seiner Edelleute aufheben, eine Stiege hinaustragen und in ein Bett
legen. Der Kaiser soll übel damit zufrieden gewesen sein, daß den Deutschen
vor andern Nationen solch ein grausamer Spott widerfuhr.

Nun waren aber bei dem Herzog von Liegnitz Anzeichen genug, daß^ er
nicht übel erzogen war. Denn ich hatte etliche Tage vorher über Tisch, als
er ziemlich bezecht war, gehört, wie er ganze Geschichten des alten Testaments,
nicht wie sie in der Bibel stehn, sondern mit seinen eigenen Worten, nicht
nur recitirte, sondern auch auf seines Vaters Geschäfte, die er beim Kaiser
verrichten sollte, so geschickt applicirte, daß ich mich verwundert habe--darum
sieht man hier die Frucht des Volltrinkens, daß man aus einer Sünde in die
andere fällt. Denn als er keine andere Saufgesellschaft mehr bekommen
konnte, kam er in der Nacht vor meine Kammer, klopfte und rief so lange,


mußte weichen, die Zäune wurden niedergerissen, die Gräben wurden zuge¬
schüttet.

Zu Nürnberg, wo ich den Schutz Georg von Wedells oder eines andern
nicht nöthig hatte, bin ich in ein Wirthshaus geritten, in welchem der obge-
meldetc Herzog von Liegnitz auch Herberge genommen. Auch Kais. Majestät
ist mit großem Comitat herangekommen und so lange zu Nürnberg geblie¬
ben, daß er zu Augsburg bequem um den 1. September ankommen konnte.
Der Herzog von Liegnitz hat sich seines Saufens beflissen, ist stets voll ge¬
wesen und um dazu in Nürnberg Gesellschaft zu haben, da ihm seine zuge¬
ordneten Räthe bei dem Schwärmen keine Gesellschaft leisten wollten, hat
er die Hofleute des Markgrafen Johann gerne bei sich gehabt, die denn
'mit ihm ein unbändiges Trinken verführt haben. Als sie einst sehr bezecht
waren, hat der Herzog mit sechs Markgräfiichen sich den rechten Aermel von
Wamms und Hemde schneiden lassen, so daß der Arm ganz nackend
war, hat die Hosen aufgelöst und das Hemde zwischen den Hosen und dem
Wamms rund herum etwas ausgezogen. So sind sie ohne Schuhe auf den
Socken in bloßem Haupte, vor ihnen das große Spiel, die Spielleute der
Stadt Nürnberg, welche aus aller Macht so laut blasen mußten als sie konn¬
ten, die Gasse entlang vorwärts gezogen, einer nach dem andern, bald nach
dem Mittagessen, aus der Herberge nach dem Logement des Herzogs Heinrich
von Braunschweig. In der einen Hand hatte der Herzog ein paar Würfel,
in der andern Hand etliche Goldstücke. Da kam eine Welt von Leuten Her-
zugelaufen, zumal von den fremden Nationen, Spanier und Italiener und
sahen diesen deutschen Ebnaken zu. Der Wein überwand sie; als sie zum
Braunschweiger hinaufkamen, schlug der Liegnitzer mit beiden Händen vor
dem Braunschweiger auf den Tisch, aus der einen Hand hatte er das Gold
verloren, in der andern Hand hatte er nur einen Würfel, konnte nicht lallen,
sondern stürzte an dem Tische nieder. Der Braunschweiger ließ ihn durch
vier seiner Edelleute aufheben, eine Stiege hinaustragen und in ein Bett
legen. Der Kaiser soll übel damit zufrieden gewesen sein, daß den Deutschen
vor andern Nationen solch ein grausamer Spott widerfuhr.

Nun waren aber bei dem Herzog von Liegnitz Anzeichen genug, daß^ er
nicht übel erzogen war. Denn ich hatte etliche Tage vorher über Tisch, als
er ziemlich bezecht war, gehört, wie er ganze Geschichten des alten Testaments,
nicht wie sie in der Bibel stehn, sondern mit seinen eigenen Worten, nicht
nur recitirte, sondern auch auf seines Vaters Geschäfte, die er beim Kaiser
verrichten sollte, so geschickt applicirte, daß ich mich verwundert habe—darum
sieht man hier die Frucht des Volltrinkens, daß man aus einer Sünde in die
andere fällt. Denn als er keine andere Saufgesellschaft mehr bekommen
konnte, kam er in der Nacht vor meine Kammer, klopfte und rief so lange,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/296>, abgerufen am 28.07.2024.