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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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parallel zueinander gestellte Staaten anzusehen, sondern ihre räumliche
Nebcnlage entspricht einer Stellung ein e>er<zia>n. In demselben Maße, wie
Oestreich weiter nach Osten greift, greift Preußen weiter nach Westen. Aber
der Unterschied waltet zwischen beiden Ucberflügelungen ob, daß die östrei¬
chische im Grunde genommen keine ist, indem Rußlands Zwischenlage bei
einem Einzelkriege die Ausnutzung verbietet, die preußische hingegen bei der
Schwäche der deutschen Kleinstaaten leicht zu einem Anfall Wider Oestreich,
von zwei Seiten her, die Hand bieten kann, wenn anders die beweglichen
Mittel dazu vorhanden sind. Das heißt so viel als: Preußen bedroht, ver¬
möge seiner Rheinstcllung, in deren Folge es westwärts basirt ist, Oestreich,
außer von Schlesien und Sachsen her, auch von Baiern aus, wogegen Oest-
reich nur von der böhmischen Ecke bei Eger her den Zusammenhalt der preu¬
ßischen Monarchie bedrohen könnte, aber nicht im Stande wäre, von dort
aus nach Westphalen oder den Rheinlanden vorzudringen. Um dieser Gründe
willen ist die wider Oestreich zur Vertheidigung verwendete Fronte auf die Aus¬
dehnung beschränkt, welche die beiden Festungen Erfurt und Kösel bezeichnen.
Beim ersten Ueberschauen der innerhalb dieses Raumes waltenden Verhältnisse
wird man gewahr, daß ein Naturschutz oder eine natürliche Basis hier noch
weit weniger vorhanden ist, wie irgend sonst wo, und daß. wenn nicht die
politischen Verhältnisse hier günstigere wären, wie im Westen und namentlich
im Osten, Preußen von Süden her die größten Gefahren zu gewärtigen hätte.
Das zwischen Brandenburg und Böhmen eingeschobene Sachsen ist weit ent¬
fernt, eine Schutzwehr zu sein, weil ein so kleiner Staat, wie dieser, seine
Neutralität in keinem Falle zu wahren vermag; im Gegentheil wird seine
Existenz stets demjenigen zum Vortheil gereichen, der die Offensive ergreift,
welche Stelle wir hier, wo von Preußens Vertheidigung die Rede ist. Oest¬
reich zuzuschreiben haben. Es ist klar, daß eine aus Böhmen hervorbrechende
östreichische Armee es in ihrem freien Belieben hat, die Elbe auf beiden
Ufern zu beherrschen, daß Gründe sehr entscheidender Art sie mit ihren Haupt-
Operationen auf die rechte Stromseite hinweisen, und daß die Festungen Tor¬
gau und Wittenberg, zumal sie klein sind, und darum keine strategische An¬
ziehungskraft ausüben, eigentlich nur vorhanden zu sein scheinen, um um¬
gangen und von kleinen Beobachtungscorps im Schach gehalten zu werden,
hat man aber Wittenberg und Torgau passirt, so steht man mitten in den
Marken und hart am Weichbilde von Berlin, welches einem rasch geführten
Offensivstoß Preis gegeben zu sein scheint.

In diesen Möglichkeiten ist die Hnuptgefahr enthalten, welche uns von
Oestreich aus bedroht, und sie ist in jeder Hinsicht eine außerordentlich ernste
zu nennen. Daß Breslau noch unbefestigt ist. ist neben der Calamität, welche


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parallel zueinander gestellte Staaten anzusehen, sondern ihre räumliche
Nebcnlage entspricht einer Stellung ein e>er<zia>n. In demselben Maße, wie
Oestreich weiter nach Osten greift, greift Preußen weiter nach Westen. Aber
der Unterschied waltet zwischen beiden Ucberflügelungen ob, daß die östrei¬
chische im Grunde genommen keine ist, indem Rußlands Zwischenlage bei
einem Einzelkriege die Ausnutzung verbietet, die preußische hingegen bei der
Schwäche der deutschen Kleinstaaten leicht zu einem Anfall Wider Oestreich,
von zwei Seiten her, die Hand bieten kann, wenn anders die beweglichen
Mittel dazu vorhanden sind. Das heißt so viel als: Preußen bedroht, ver¬
möge seiner Rheinstcllung, in deren Folge es westwärts basirt ist, Oestreich,
außer von Schlesien und Sachsen her, auch von Baiern aus, wogegen Oest-
reich nur von der böhmischen Ecke bei Eger her den Zusammenhalt der preu¬
ßischen Monarchie bedrohen könnte, aber nicht im Stande wäre, von dort
aus nach Westphalen oder den Rheinlanden vorzudringen. Um dieser Gründe
willen ist die wider Oestreich zur Vertheidigung verwendete Fronte auf die Aus¬
dehnung beschränkt, welche die beiden Festungen Erfurt und Kösel bezeichnen.
Beim ersten Ueberschauen der innerhalb dieses Raumes waltenden Verhältnisse
wird man gewahr, daß ein Naturschutz oder eine natürliche Basis hier noch
weit weniger vorhanden ist, wie irgend sonst wo, und daß. wenn nicht die
politischen Verhältnisse hier günstigere wären, wie im Westen und namentlich
im Osten, Preußen von Süden her die größten Gefahren zu gewärtigen hätte.
Das zwischen Brandenburg und Böhmen eingeschobene Sachsen ist weit ent¬
fernt, eine Schutzwehr zu sein, weil ein so kleiner Staat, wie dieser, seine
Neutralität in keinem Falle zu wahren vermag; im Gegentheil wird seine
Existenz stets demjenigen zum Vortheil gereichen, der die Offensive ergreift,
welche Stelle wir hier, wo von Preußens Vertheidigung die Rede ist. Oest¬
reich zuzuschreiben haben. Es ist klar, daß eine aus Böhmen hervorbrechende
östreichische Armee es in ihrem freien Belieben hat, die Elbe auf beiden
Ufern zu beherrschen, daß Gründe sehr entscheidender Art sie mit ihren Haupt-
Operationen auf die rechte Stromseite hinweisen, und daß die Festungen Tor¬
gau und Wittenberg, zumal sie klein sind, und darum keine strategische An¬
ziehungskraft ausüben, eigentlich nur vorhanden zu sein scheinen, um um¬
gangen und von kleinen Beobachtungscorps im Schach gehalten zu werden,
hat man aber Wittenberg und Torgau passirt, so steht man mitten in den
Marken und hart am Weichbilde von Berlin, welches einem rasch geführten
Offensivstoß Preis gegeben zu sein scheint.

In diesen Möglichkeiten ist die Hnuptgefahr enthalten, welche uns von
Oestreich aus bedroht, und sie ist in jeder Hinsicht eine außerordentlich ernste
zu nennen. Daß Breslau noch unbefestigt ist. ist neben der Calamität, welche


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[0275] parallel zueinander gestellte Staaten anzusehen, sondern ihre räumliche Nebcnlage entspricht einer Stellung ein e>er<zia>n. In demselben Maße, wie Oestreich weiter nach Osten greift, greift Preußen weiter nach Westen. Aber der Unterschied waltet zwischen beiden Ucberflügelungen ob, daß die östrei¬ chische im Grunde genommen keine ist, indem Rußlands Zwischenlage bei einem Einzelkriege die Ausnutzung verbietet, die preußische hingegen bei der Schwäche der deutschen Kleinstaaten leicht zu einem Anfall Wider Oestreich, von zwei Seiten her, die Hand bieten kann, wenn anders die beweglichen Mittel dazu vorhanden sind. Das heißt so viel als: Preußen bedroht, ver¬ möge seiner Rheinstcllung, in deren Folge es westwärts basirt ist, Oestreich, außer von Schlesien und Sachsen her, auch von Baiern aus, wogegen Oest- reich nur von der böhmischen Ecke bei Eger her den Zusammenhalt der preu¬ ßischen Monarchie bedrohen könnte, aber nicht im Stande wäre, von dort aus nach Westphalen oder den Rheinlanden vorzudringen. Um dieser Gründe willen ist die wider Oestreich zur Vertheidigung verwendete Fronte auf die Aus¬ dehnung beschränkt, welche die beiden Festungen Erfurt und Kösel bezeichnen. Beim ersten Ueberschauen der innerhalb dieses Raumes waltenden Verhältnisse wird man gewahr, daß ein Naturschutz oder eine natürliche Basis hier noch weit weniger vorhanden ist, wie irgend sonst wo, und daß. wenn nicht die politischen Verhältnisse hier günstigere wären, wie im Westen und namentlich im Osten, Preußen von Süden her die größten Gefahren zu gewärtigen hätte. Das zwischen Brandenburg und Böhmen eingeschobene Sachsen ist weit ent¬ fernt, eine Schutzwehr zu sein, weil ein so kleiner Staat, wie dieser, seine Neutralität in keinem Falle zu wahren vermag; im Gegentheil wird seine Existenz stets demjenigen zum Vortheil gereichen, der die Offensive ergreift, welche Stelle wir hier, wo von Preußens Vertheidigung die Rede ist. Oest¬ reich zuzuschreiben haben. Es ist klar, daß eine aus Böhmen hervorbrechende östreichische Armee es in ihrem freien Belieben hat, die Elbe auf beiden Ufern zu beherrschen, daß Gründe sehr entscheidender Art sie mit ihren Haupt- Operationen auf die rechte Stromseite hinweisen, und daß die Festungen Tor¬ gau und Wittenberg, zumal sie klein sind, und darum keine strategische An¬ ziehungskraft ausüben, eigentlich nur vorhanden zu sein scheinen, um um¬ gangen und von kleinen Beobachtungscorps im Schach gehalten zu werden, hat man aber Wittenberg und Torgau passirt, so steht man mitten in den Marken und hart am Weichbilde von Berlin, welches einem rasch geführten Offensivstoß Preis gegeben zu sein scheint. In diesen Möglichkeiten ist die Hnuptgefahr enthalten, welche uns von Oestreich aus bedroht, und sie ist in jeder Hinsicht eine außerordentlich ernste zu nennen. Daß Breslau noch unbefestigt ist. ist neben der Calamität, welche 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/275>, abgerufen am 28.07.2024.