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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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noch weitere Ausdehnung erhalten und stärker noch sein als jetzt in Aussicht
steht. So viel ist indeß gewiß, daß die Befestigung von Königsberg durch
ihren Anschluß an die von Danzig (letztere rührt aus alter Zeit her) die Ost¬
provinz zum unantastbarsten Punkt der preußischen Monarchie machen wird,
und es in Anbetracht der Lage einem russischen Angriff unmöglich gelingen
wird, die diesseitige Vertheidigung von der Ostsee, also von dem zuverlässigsten
Verbündeten, den Preußen in solcher Lage finden kann, von England zu
trennen. Ein befestigtes Breslau würde ziemlich dieselbe Bedeutung für
einen Bundeskrieg an der Seite von Oestreich haben; denn auch wenn
Rußland durch seine innere Entwickelung gekräftigt und vielleicht im Stande
sein wird, die 500,000 Mann aufzubringen, von denen General von Knese-
beck in seiner Denkschrift redete, wird es dennoch die beiden deutschen Gro߬
mächte unmöglich damit auseinanderwerfen können, falls ein Platz erster
Große den heute leider offenstehenden Raum zwischen Kalisch und dem
Riesengebirge verschließt, oder richtiger zu sagen ihn im defensiven" Sinne
ausfüllbar und haltbar macht.

Innerhalb der letzten hundert Jahre ist die politische Situation Preu¬
ßens nach außen hin in einer überraschenden Weise eine andere geworden.
Friedrichs II. Hauptstaatsgedanke war der, daß seine Monarchie ein wider
Oestreich errichtetes Gegenreich sei, und vornehmlich in diesem Widerstreit sich
wachsende Größe zu erringen habe. Von Nußland schied seine Besitzungen,
einen kurzen Grenzstrich ausgenommen, der Rest des Königreichs (der Republik)
Polen, und von Frankreich trennten ihn die geistlichen Kurfürstenthümer; beide
Reiche kamen für ihn insofern wenig in Betracht. Heute liegen die Dinge grade
umgekehrt: ein Krieg mit Oestreich ist aus vielen Gründen sehr unwahr¬
scheinlich; aber des Verhältnisses zu Frankreich sind wir nicht sicher, und ein
letzter entscheidender Kampf mit Nußland, in welchem es sich um Preußens
Existenz handeln wird, scheint mit der Zukunft uns näher und näher zu
rücken. Bei dem allen darf man aber von der Möglichkeit eines Krieges
zwischen Preußen und Oestreich nicht durchaus Abstand nehmen. Es wurde
schon einmal in diesem Aussatze auf den Herbst 1850, als auf einen bedeu¬
tungsvollen und warnenden Moment hingewiesen. Solche Momente können
wiederkehren, und wie sehr wir auch immerhin wünschen mögen, daß sie
fern bleiben, müssen wir dennoch die Nothwendigkeit anerkennen, bei unsern
militärischen Vorkehrungen aus jene Möglichkeit Rücksicht zu nehmen.

Erörtern wir hier zunächst die Situation, in welcher sich Preußen bei
jedem Einzelkricge mit Oestreich befinden wird. Hierbei müssen wir gleich
eines Hauptverhültnisses der gegenseitigen Lage gedenken, weil dasselbe von
großer, viel bedingender Wichtigkeit ist. Oestreich und Preußen sind nicht als


noch weitere Ausdehnung erhalten und stärker noch sein als jetzt in Aussicht
steht. So viel ist indeß gewiß, daß die Befestigung von Königsberg durch
ihren Anschluß an die von Danzig (letztere rührt aus alter Zeit her) die Ost¬
provinz zum unantastbarsten Punkt der preußischen Monarchie machen wird,
und es in Anbetracht der Lage einem russischen Angriff unmöglich gelingen
wird, die diesseitige Vertheidigung von der Ostsee, also von dem zuverlässigsten
Verbündeten, den Preußen in solcher Lage finden kann, von England zu
trennen. Ein befestigtes Breslau würde ziemlich dieselbe Bedeutung für
einen Bundeskrieg an der Seite von Oestreich haben; denn auch wenn
Rußland durch seine innere Entwickelung gekräftigt und vielleicht im Stande
sein wird, die 500,000 Mann aufzubringen, von denen General von Knese-
beck in seiner Denkschrift redete, wird es dennoch die beiden deutschen Gro߬
mächte unmöglich damit auseinanderwerfen können, falls ein Platz erster
Große den heute leider offenstehenden Raum zwischen Kalisch und dem
Riesengebirge verschließt, oder richtiger zu sagen ihn im defensiven» Sinne
ausfüllbar und haltbar macht.

Innerhalb der letzten hundert Jahre ist die politische Situation Preu¬
ßens nach außen hin in einer überraschenden Weise eine andere geworden.
Friedrichs II. Hauptstaatsgedanke war der, daß seine Monarchie ein wider
Oestreich errichtetes Gegenreich sei, und vornehmlich in diesem Widerstreit sich
wachsende Größe zu erringen habe. Von Nußland schied seine Besitzungen,
einen kurzen Grenzstrich ausgenommen, der Rest des Königreichs (der Republik)
Polen, und von Frankreich trennten ihn die geistlichen Kurfürstenthümer; beide
Reiche kamen für ihn insofern wenig in Betracht. Heute liegen die Dinge grade
umgekehrt: ein Krieg mit Oestreich ist aus vielen Gründen sehr unwahr¬
scheinlich; aber des Verhältnisses zu Frankreich sind wir nicht sicher, und ein
letzter entscheidender Kampf mit Nußland, in welchem es sich um Preußens
Existenz handeln wird, scheint mit der Zukunft uns näher und näher zu
rücken. Bei dem allen darf man aber von der Möglichkeit eines Krieges
zwischen Preußen und Oestreich nicht durchaus Abstand nehmen. Es wurde
schon einmal in diesem Aussatze auf den Herbst 1850, als auf einen bedeu¬
tungsvollen und warnenden Moment hingewiesen. Solche Momente können
wiederkehren, und wie sehr wir auch immerhin wünschen mögen, daß sie
fern bleiben, müssen wir dennoch die Nothwendigkeit anerkennen, bei unsern
militärischen Vorkehrungen aus jene Möglichkeit Rücksicht zu nehmen.

Erörtern wir hier zunächst die Situation, in welcher sich Preußen bei
jedem Einzelkricge mit Oestreich befinden wird. Hierbei müssen wir gleich
eines Hauptverhültnisses der gegenseitigen Lage gedenken, weil dasselbe von
großer, viel bedingender Wichtigkeit ist. Oestreich und Preußen sind nicht als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/274>, abgerufen am 28.07.2024.