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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Werth legen, was am folgenreichsten werden mag, das ist die seit dem zweiten
pariser Frieden begonnene Herstellung eines im allergroßartigsten Sinne ent¬
worfenen und nunmehr nahezu seiner Vollendung entgegengeführten Landes-
befestigungsfystcms.

Preußen hatte bis zu 1800, wie die meisten damaligen Staaten
und wie Oestreich noch bis zum Ausbruch des orientalischen Kriegs, ohne
ein Landesbefestigungssystem existirt. Die einzige Macht in Europa, welche,
ein solches im strengen Wortsinne besaß, war Frankreich. Friedrich des Großen
Monarchie beruhte auf den beweglichen Massen und suchte ihren Halt in '
ihnen. Zwar verfügte man über Plätze ersten Ranges wie Magdeburg, man
hatte deren mehre zweiten Ranges, wie Stettin und Glogau, und eine
große Anzahl von untergeordneter Classe, wie Graudenz, Kolberg, Spandau,
Neisse, Schwcidnitz u. s. w., aber diese zum Theil nicht im besten Zustande
erhaltenen Festungen machten kein Ganzes aus, lagen da, wo sie sich be¬
fanden, mehr aus Zufall, wie infolge einer strategischen Combination, und
standen, namentlich zur räumlichen Gestalt des Staates und zu seinen
verschiedenen Kriegstheatern, dein westlichen, dem südlichen und östlichen, in
keiner berechneten Beziehung. Es mangelte aber auch an einer verständigen
Theorie, nach welcher derartige Anlagen hätten geordnet werden können. Die
höheren militärischen Wissenschaften waren noch weit zurück. Wenn man
einen recht drastischen Eindruck von der damals herrschenden Unklarheit über
solche Dinge empfangen will, kann man nichts Besseres thun, als die, wenn^
ich nicht irre im Jahr 180g erschienenen Memoiren von Massenbach
nachzulesen. Und Massenbach war nicht etwa ein unbedeutender und unklarer
Kopf, sondern einer der hellsten Geister, welche dem damaligen preußischen
Generalquartiermeisterstabe angehörten. Dennoch urtheilt er über die Frage,
wie das neugewonnene Südpreußen durch ein Befestigungssystem zu sichern
sei, wie ein Kind. Dieselbe Unmündigkeit herrscht in dem sonst so classischen
Werke des in preußischem Dienst (1807) gefallenen ehemaligen französischen
Ingenieuroffiziers Boucmard, da, wo er darin die Landesbcfcstigungsfrage
behandelt, vor; und die Ansichten von Jomini und Rogniat über denselben
Gegenstand müssen mindestens sehr verwirrt genannt. werden. Für dieses
.Wissen waren recht eigentlich erst die großen Kriege Napoleons I. die hohe
Schule gewesen, und den preußischen Militärs gebührt das nicht, hoch
genug anzuschlagende Verdienst: sie am besten benutzt zu haben. Wie man
weiß, stand bis zum Jahre 1813 Scharnhorst dem preußischen Jngenicurcorps
als Chef vor. Es hatte nur der vergleichsweise kurzen Erfahrungen der
Kriege von 1806--7 bedurft, um ihm vollkommen klar zu machen, was ein
Landesbefestigungssystem und was es nicht sei. Seine Anordnungen in
sortificatorischer Beziehung, mit denen er den großen Erhebungskampf unter-


Werth legen, was am folgenreichsten werden mag, das ist die seit dem zweiten
pariser Frieden begonnene Herstellung eines im allergroßartigsten Sinne ent¬
worfenen und nunmehr nahezu seiner Vollendung entgegengeführten Landes-
befestigungsfystcms.

Preußen hatte bis zu 1800, wie die meisten damaligen Staaten
und wie Oestreich noch bis zum Ausbruch des orientalischen Kriegs, ohne
ein Landesbefestigungssystem existirt. Die einzige Macht in Europa, welche,
ein solches im strengen Wortsinne besaß, war Frankreich. Friedrich des Großen
Monarchie beruhte auf den beweglichen Massen und suchte ihren Halt in '
ihnen. Zwar verfügte man über Plätze ersten Ranges wie Magdeburg, man
hatte deren mehre zweiten Ranges, wie Stettin und Glogau, und eine
große Anzahl von untergeordneter Classe, wie Graudenz, Kolberg, Spandau,
Neisse, Schwcidnitz u. s. w., aber diese zum Theil nicht im besten Zustande
erhaltenen Festungen machten kein Ganzes aus, lagen da, wo sie sich be¬
fanden, mehr aus Zufall, wie infolge einer strategischen Combination, und
standen, namentlich zur räumlichen Gestalt des Staates und zu seinen
verschiedenen Kriegstheatern, dein westlichen, dem südlichen und östlichen, in
keiner berechneten Beziehung. Es mangelte aber auch an einer verständigen
Theorie, nach welcher derartige Anlagen hätten geordnet werden können. Die
höheren militärischen Wissenschaften waren noch weit zurück. Wenn man
einen recht drastischen Eindruck von der damals herrschenden Unklarheit über
solche Dinge empfangen will, kann man nichts Besseres thun, als die, wenn^
ich nicht irre im Jahr 180g erschienenen Memoiren von Massenbach
nachzulesen. Und Massenbach war nicht etwa ein unbedeutender und unklarer
Kopf, sondern einer der hellsten Geister, welche dem damaligen preußischen
Generalquartiermeisterstabe angehörten. Dennoch urtheilt er über die Frage,
wie das neugewonnene Südpreußen durch ein Befestigungssystem zu sichern
sei, wie ein Kind. Dieselbe Unmündigkeit herrscht in dem sonst so classischen
Werke des in preußischem Dienst (1807) gefallenen ehemaligen französischen
Ingenieuroffiziers Boucmard, da, wo er darin die Landesbcfcstigungsfrage
behandelt, vor; und die Ansichten von Jomini und Rogniat über denselben
Gegenstand müssen mindestens sehr verwirrt genannt. werden. Für dieses
.Wissen waren recht eigentlich erst die großen Kriege Napoleons I. die hohe
Schule gewesen, und den preußischen Militärs gebührt das nicht, hoch
genug anzuschlagende Verdienst: sie am besten benutzt zu haben. Wie man
weiß, stand bis zum Jahre 1813 Scharnhorst dem preußischen Jngenicurcorps
als Chef vor. Es hatte nur der vergleichsweise kurzen Erfahrungen der
Kriege von 1806—7 bedurft, um ihm vollkommen klar zu machen, was ein
Landesbefestigungssystem und was es nicht sei. Seine Anordnungen in
sortificatorischer Beziehung, mit denen er den großen Erhebungskampf unter-


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[0261] Werth legen, was am folgenreichsten werden mag, das ist die seit dem zweiten pariser Frieden begonnene Herstellung eines im allergroßartigsten Sinne ent¬ worfenen und nunmehr nahezu seiner Vollendung entgegengeführten Landes- befestigungsfystcms. Preußen hatte bis zu 1800, wie die meisten damaligen Staaten und wie Oestreich noch bis zum Ausbruch des orientalischen Kriegs, ohne ein Landesbefestigungssystem existirt. Die einzige Macht in Europa, welche, ein solches im strengen Wortsinne besaß, war Frankreich. Friedrich des Großen Monarchie beruhte auf den beweglichen Massen und suchte ihren Halt in ' ihnen. Zwar verfügte man über Plätze ersten Ranges wie Magdeburg, man hatte deren mehre zweiten Ranges, wie Stettin und Glogau, und eine große Anzahl von untergeordneter Classe, wie Graudenz, Kolberg, Spandau, Neisse, Schwcidnitz u. s. w., aber diese zum Theil nicht im besten Zustande erhaltenen Festungen machten kein Ganzes aus, lagen da, wo sie sich be¬ fanden, mehr aus Zufall, wie infolge einer strategischen Combination, und standen, namentlich zur räumlichen Gestalt des Staates und zu seinen verschiedenen Kriegstheatern, dein westlichen, dem südlichen und östlichen, in keiner berechneten Beziehung. Es mangelte aber auch an einer verständigen Theorie, nach welcher derartige Anlagen hätten geordnet werden können. Die höheren militärischen Wissenschaften waren noch weit zurück. Wenn man einen recht drastischen Eindruck von der damals herrschenden Unklarheit über solche Dinge empfangen will, kann man nichts Besseres thun, als die, wenn^ ich nicht irre im Jahr 180g erschienenen Memoiren von Massenbach nachzulesen. Und Massenbach war nicht etwa ein unbedeutender und unklarer Kopf, sondern einer der hellsten Geister, welche dem damaligen preußischen Generalquartiermeisterstabe angehörten. Dennoch urtheilt er über die Frage, wie das neugewonnene Südpreußen durch ein Befestigungssystem zu sichern sei, wie ein Kind. Dieselbe Unmündigkeit herrscht in dem sonst so classischen Werke des in preußischem Dienst (1807) gefallenen ehemaligen französischen Ingenieuroffiziers Boucmard, da, wo er darin die Landesbcfcstigungsfrage behandelt, vor; und die Ansichten von Jomini und Rogniat über denselben Gegenstand müssen mindestens sehr verwirrt genannt. werden. Für dieses .Wissen waren recht eigentlich erst die großen Kriege Napoleons I. die hohe Schule gewesen, und den preußischen Militärs gebührt das nicht, hoch genug anzuschlagende Verdienst: sie am besten benutzt zu haben. Wie man weiß, stand bis zum Jahre 1813 Scharnhorst dem preußischen Jngenicurcorps als Chef vor. Es hatte nur der vergleichsweise kurzen Erfahrungen der Kriege von 1806—7 bedurft, um ihm vollkommen klar zu machen, was ein Landesbefestigungssystem und was es nicht sei. Seine Anordnungen in sortificatorischer Beziehung, mit denen er den großen Erhebungskampf unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/261>, abgerufen am 22.12.2024.