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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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läßt nichts zu wünschen übrig, und das Ganze kostet auf den deutschen
Märkten einen Thaler, kurz es ist der Preis, den wir nur an unserm Kon¬
versationslexikon kennen. Nun ist es freilich bis jetzt noch ein kleiner Theil
der Literatur, der zu diesem Preise ausgeboten wird, aber es läßt sich mit
Bestimmtheit voraussehn, daß die Rückwirkung auf den übrigen Theil der
Literatur nicht ausbleiben kann. In Deutschland zeigt es sich zunächst in der
Masse der unerhört wohlfeilen Journale, die ein Vierteljahr um das andere
hervortreten und von denen einige bereits einen glänzenden Absatz gefunden
haben. Fassen wir nun die Folgen dieses veränderten Geschäftsbetriebs ins
Auge, so drängen sich zwei entgegengesetzte Seiten hervor.

Es ist augenscheinlich, daß dieser Preis, da die Herstellungskosten sich
nicht verändert haben, nur durch die Erwartung eines sehr gesteigerten Ab¬
satzes möglich wird. Nun stimmt die Rechnung zwar nicht immer, daß ein Buch,
welches man für einen Thaler verkauft, fünf oder sechsmal so viel Abnehmer
findet, als dasselbe wenn es fünfThaler kostet; aber von dieser Voraussetzung
geht man doch aus, und da in einzelnen Fällen sich das Verhältniß noch viel
günstiger herausstellt, so kann man sie im Durchschnitt als richtig anneh¬
men. Die'Folge ist, daß der Kreis der Lesenden sich sehr bedeutend erweitert;
dadurch wird dann wieder das Bedürfniß des Lesens gesteigert, und dadurch
neue Unternehmungen ins Werk gerufen, die dann wieder eine rückwirkende
Kraft ausüben. Freilich geht dieser Progreß nicht ins Unendliche fort, es tritt
gelegentlich eine Krisis ein, wie bei den verwandten Creditanstalten bereits
geschehn ist. Aber die geistigen Einflüsse hören damit doch nicht auf. Zunächst
kann man die Erweiterung des Leserkreises unzweifelhaft als einen Fortschritt
der Cultur bezeichnen, und es ist ganz im Sinn unsrer Zeit, daß auch in
dieser Beziehung die Bildung sich mehr und mehr nivellirt. Freilich wird
dieser Gewinn durch ein theures Opfer erkauft.

Um mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen großen Leserkreis zu rechnen,
muß mau auf die Bedürfnisse der Menge speculiren. Dagegen wäre nichts
zu sagen, wenn man die wahren Bedürfnisse berechnen wollte. Die frühere
Sitte, daß die Autoren nur für sich Monologe hinsummten und es dann ei¬
ner unbestimmten Zukunft überließen, die tiefen Ideen herauszufühlen, die
der Gegenwart unverständlich waren, hat die Literatur nicht gefördert. Die
Größe eines Schriftstellers zeigt sich zwar nicht ausschließlich, aber auch in
der Größe seines Einflusses. Aber es ist ein himmelweiter Unterschied, ob es
einem Schriftsteller gelingt, durch den Zauber seines Genius die Menge zu
sich zu erheben, oder ob er sich zu ihr herabläßt und ihren niedrigen Instincten
schmeichelt. Das Letztere wird die Regel sein, sobald die Literatur mehr und
mehr zur Industrie herabsinkt.

Am unschädlichsten ist die Wirkung noch insofern, als sie eine Menge


läßt nichts zu wünschen übrig, und das Ganze kostet auf den deutschen
Märkten einen Thaler, kurz es ist der Preis, den wir nur an unserm Kon¬
versationslexikon kennen. Nun ist es freilich bis jetzt noch ein kleiner Theil
der Literatur, der zu diesem Preise ausgeboten wird, aber es läßt sich mit
Bestimmtheit voraussehn, daß die Rückwirkung auf den übrigen Theil der
Literatur nicht ausbleiben kann. In Deutschland zeigt es sich zunächst in der
Masse der unerhört wohlfeilen Journale, die ein Vierteljahr um das andere
hervortreten und von denen einige bereits einen glänzenden Absatz gefunden
haben. Fassen wir nun die Folgen dieses veränderten Geschäftsbetriebs ins
Auge, so drängen sich zwei entgegengesetzte Seiten hervor.

Es ist augenscheinlich, daß dieser Preis, da die Herstellungskosten sich
nicht verändert haben, nur durch die Erwartung eines sehr gesteigerten Ab¬
satzes möglich wird. Nun stimmt die Rechnung zwar nicht immer, daß ein Buch,
welches man für einen Thaler verkauft, fünf oder sechsmal so viel Abnehmer
findet, als dasselbe wenn es fünfThaler kostet; aber von dieser Voraussetzung
geht man doch aus, und da in einzelnen Fällen sich das Verhältniß noch viel
günstiger herausstellt, so kann man sie im Durchschnitt als richtig anneh¬
men. Die'Folge ist, daß der Kreis der Lesenden sich sehr bedeutend erweitert;
dadurch wird dann wieder das Bedürfniß des Lesens gesteigert, und dadurch
neue Unternehmungen ins Werk gerufen, die dann wieder eine rückwirkende
Kraft ausüben. Freilich geht dieser Progreß nicht ins Unendliche fort, es tritt
gelegentlich eine Krisis ein, wie bei den verwandten Creditanstalten bereits
geschehn ist. Aber die geistigen Einflüsse hören damit doch nicht auf. Zunächst
kann man die Erweiterung des Leserkreises unzweifelhaft als einen Fortschritt
der Cultur bezeichnen, und es ist ganz im Sinn unsrer Zeit, daß auch in
dieser Beziehung die Bildung sich mehr und mehr nivellirt. Freilich wird
dieser Gewinn durch ein theures Opfer erkauft.

Um mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen großen Leserkreis zu rechnen,
muß mau auf die Bedürfnisse der Menge speculiren. Dagegen wäre nichts
zu sagen, wenn man die wahren Bedürfnisse berechnen wollte. Die frühere
Sitte, daß die Autoren nur für sich Monologe hinsummten und es dann ei¬
ner unbestimmten Zukunft überließen, die tiefen Ideen herauszufühlen, die
der Gegenwart unverständlich waren, hat die Literatur nicht gefördert. Die
Größe eines Schriftstellers zeigt sich zwar nicht ausschließlich, aber auch in
der Größe seines Einflusses. Aber es ist ein himmelweiter Unterschied, ob es
einem Schriftsteller gelingt, durch den Zauber seines Genius die Menge zu
sich zu erheben, oder ob er sich zu ihr herabläßt und ihren niedrigen Instincten
schmeichelt. Das Letztere wird die Regel sein, sobald die Literatur mehr und
mehr zur Industrie herabsinkt.

Am unschädlichsten ist die Wirkung noch insofern, als sie eine Menge


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[0253] läßt nichts zu wünschen übrig, und das Ganze kostet auf den deutschen Märkten einen Thaler, kurz es ist der Preis, den wir nur an unserm Kon¬ versationslexikon kennen. Nun ist es freilich bis jetzt noch ein kleiner Theil der Literatur, der zu diesem Preise ausgeboten wird, aber es läßt sich mit Bestimmtheit voraussehn, daß die Rückwirkung auf den übrigen Theil der Literatur nicht ausbleiben kann. In Deutschland zeigt es sich zunächst in der Masse der unerhört wohlfeilen Journale, die ein Vierteljahr um das andere hervortreten und von denen einige bereits einen glänzenden Absatz gefunden haben. Fassen wir nun die Folgen dieses veränderten Geschäftsbetriebs ins Auge, so drängen sich zwei entgegengesetzte Seiten hervor. Es ist augenscheinlich, daß dieser Preis, da die Herstellungskosten sich nicht verändert haben, nur durch die Erwartung eines sehr gesteigerten Ab¬ satzes möglich wird. Nun stimmt die Rechnung zwar nicht immer, daß ein Buch, welches man für einen Thaler verkauft, fünf oder sechsmal so viel Abnehmer findet, als dasselbe wenn es fünfThaler kostet; aber von dieser Voraussetzung geht man doch aus, und da in einzelnen Fällen sich das Verhältniß noch viel günstiger herausstellt, so kann man sie im Durchschnitt als richtig anneh¬ men. Die'Folge ist, daß der Kreis der Lesenden sich sehr bedeutend erweitert; dadurch wird dann wieder das Bedürfniß des Lesens gesteigert, und dadurch neue Unternehmungen ins Werk gerufen, die dann wieder eine rückwirkende Kraft ausüben. Freilich geht dieser Progreß nicht ins Unendliche fort, es tritt gelegentlich eine Krisis ein, wie bei den verwandten Creditanstalten bereits geschehn ist. Aber die geistigen Einflüsse hören damit doch nicht auf. Zunächst kann man die Erweiterung des Leserkreises unzweifelhaft als einen Fortschritt der Cultur bezeichnen, und es ist ganz im Sinn unsrer Zeit, daß auch in dieser Beziehung die Bildung sich mehr und mehr nivellirt. Freilich wird dieser Gewinn durch ein theures Opfer erkauft. Um mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einen großen Leserkreis zu rechnen, muß mau auf die Bedürfnisse der Menge speculiren. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn man die wahren Bedürfnisse berechnen wollte. Die frühere Sitte, daß die Autoren nur für sich Monologe hinsummten und es dann ei¬ ner unbestimmten Zukunft überließen, die tiefen Ideen herauszufühlen, die der Gegenwart unverständlich waren, hat die Literatur nicht gefördert. Die Größe eines Schriftstellers zeigt sich zwar nicht ausschließlich, aber auch in der Größe seines Einflusses. Aber es ist ein himmelweiter Unterschied, ob es einem Schriftsteller gelingt, durch den Zauber seines Genius die Menge zu sich zu erheben, oder ob er sich zu ihr herabläßt und ihren niedrigen Instincten schmeichelt. Das Letztere wird die Regel sein, sobald die Literatur mehr und mehr zur Industrie herabsinkt. Am unschädlichsten ist die Wirkung noch insofern, als sie eine Menge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/253>, abgerufen am 22.12.2024.