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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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termin gleich ausgesprochen. Es ist dieser Zug für italienische Volkssitte höchst
charakteristisch. Der Verkehr zwischen der Unverheiratheten und ihrem Ver¬
ehrer pflegt in Italien sehr beengt zusein, weit mehr als diesseits der Alpen.
Das Mädchen wird mit Aengstlichkeit bewacht, und bewacht sich selbst mit
nicht minderer Vorsicht. Erst der Priestersegen macht sie frei.

Einige Lieder lassen freilich durchblicken, daß solche Ehen häusig Ent¬
täuschungen im Gefolge haben. In folgender Weise unterhält sich ein Römer
mit seiner Gattin.

Sie: Ist das ein Fleißiger! Entweder muß er essen oder trinken. Mor¬
gens in die Aquavitaschenke, Abends berauscht zurück. All sein Gut hat er
aufgeschluckt. Mein Hochzeitsgut ging mit drauf! Nund wie eine Pomme-
ranze kam ich zu ihm, eine Sardelle läuft mir jetzt an Corpulenz den
Rang ab!

Er: Hochzeitsgut? Einen Seegraspfühl eben genug zum Pfeifenstopfer!
vier klägliche Stühle, ein Bettgestell kaum fähig allein zu stehen. Schon in
der ersten Nacht brachen wir damit zusammen. Die ganze Nachbarschaft fuhr
aus dem Schlaf!

Ein Liebhaber, den die Eltern beim Wort halten, sucht in der Canzone
Neso SeecAw einen guten Freund, der ihm seine Liebste abjage. Heute sei
des Mädchens Geburtstag, dann komme der Namenstag, dann Weihnacht,
Neujahr, Carneval und endlich gar der Mama Geburtstag. Da finde ein
Anderer Vergnügen daran, und dabei werfe die Mann ihm noch immer vor,
er komme nur zum Vergnügen! -- "Die Pest über die Weiber!" ruft der im
Toledo durchgeprügelte Tortaniello, der sich einfallen ließ mit einer Schönen
anzubinden.

Diese Neigung zu komischer Ausfassung macht sich auch über den alten
Liebhaber her, der "kein Adonis, o nein, kein Adonis ist." Ihm wird ein
Spiegel vorgehalten, damit er sehe, was ihm sür Hörner angewachsen seien.
Ein Auge drückten heirathslustige Mädchen wol zu, bei ihm aber reiche ein
Augezudrücken nicht aus. -- Ebenso geht es in der römischen Lirsea in ^el-ra,
über die alten Weiber her. "Warum schelten sie mich Kunkel? Weil ich 90
Jahr alt bin und keine Zähne mehr habe? He! mein Vetter ist ein Zahnarzt,
der wird schon Rath schaffen. Oder um meiner Haare willen? Der Perru-
chiere ist nah bei. Laßt mich nur machen. Oder um meiner Einäugigkeit
willen? Nun, da gibts jetzt Augen von Glas. Ich will" sie schon prellen."

Aus allen diesen Canzonen blickt die Physiognomie des niedern italie¬
nischen Volks. Die meisten Nenellen reden von ihrer Herrschaft, sind also
Dienende. Der Einfluß des Vaudevilles ist nicht zu verkennen. Man witzelt,
schwärmt, prügelt sich, ist über alle Gebühr grob und singt zur Chitarra das
tägliche Einerlei des italienischen Lebens. Die Sittenpolizei theilweise ist


termin gleich ausgesprochen. Es ist dieser Zug für italienische Volkssitte höchst
charakteristisch. Der Verkehr zwischen der Unverheiratheten und ihrem Ver¬
ehrer pflegt in Italien sehr beengt zusein, weit mehr als diesseits der Alpen.
Das Mädchen wird mit Aengstlichkeit bewacht, und bewacht sich selbst mit
nicht minderer Vorsicht. Erst der Priestersegen macht sie frei.

Einige Lieder lassen freilich durchblicken, daß solche Ehen häusig Ent¬
täuschungen im Gefolge haben. In folgender Weise unterhält sich ein Römer
mit seiner Gattin.

Sie: Ist das ein Fleißiger! Entweder muß er essen oder trinken. Mor¬
gens in die Aquavitaschenke, Abends berauscht zurück. All sein Gut hat er
aufgeschluckt. Mein Hochzeitsgut ging mit drauf! Nund wie eine Pomme-
ranze kam ich zu ihm, eine Sardelle läuft mir jetzt an Corpulenz den
Rang ab!

Er: Hochzeitsgut? Einen Seegraspfühl eben genug zum Pfeifenstopfer!
vier klägliche Stühle, ein Bettgestell kaum fähig allein zu stehen. Schon in
der ersten Nacht brachen wir damit zusammen. Die ganze Nachbarschaft fuhr
aus dem Schlaf!

Ein Liebhaber, den die Eltern beim Wort halten, sucht in der Canzone
Neso SeecAw einen guten Freund, der ihm seine Liebste abjage. Heute sei
des Mädchens Geburtstag, dann komme der Namenstag, dann Weihnacht,
Neujahr, Carneval und endlich gar der Mama Geburtstag. Da finde ein
Anderer Vergnügen daran, und dabei werfe die Mann ihm noch immer vor,
er komme nur zum Vergnügen! — „Die Pest über die Weiber!" ruft der im
Toledo durchgeprügelte Tortaniello, der sich einfallen ließ mit einer Schönen
anzubinden.

Diese Neigung zu komischer Ausfassung macht sich auch über den alten
Liebhaber her, der „kein Adonis, o nein, kein Adonis ist." Ihm wird ein
Spiegel vorgehalten, damit er sehe, was ihm sür Hörner angewachsen seien.
Ein Auge drückten heirathslustige Mädchen wol zu, bei ihm aber reiche ein
Augezudrücken nicht aus. — Ebenso geht es in der römischen Lirsea in ^el-ra,
über die alten Weiber her. „Warum schelten sie mich Kunkel? Weil ich 90
Jahr alt bin und keine Zähne mehr habe? He! mein Vetter ist ein Zahnarzt,
der wird schon Rath schaffen. Oder um meiner Haare willen? Der Perru-
chiere ist nah bei. Laßt mich nur machen. Oder um meiner Einäugigkeit
willen? Nun, da gibts jetzt Augen von Glas. Ich will" sie schon prellen."

Aus allen diesen Canzonen blickt die Physiognomie des niedern italie¬
nischen Volks. Die meisten Nenellen reden von ihrer Herrschaft, sind also
Dienende. Der Einfluß des Vaudevilles ist nicht zu verkennen. Man witzelt,
schwärmt, prügelt sich, ist über alle Gebühr grob und singt zur Chitarra das
tägliche Einerlei des italienischen Lebens. Die Sittenpolizei theilweise ist


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[0236] termin gleich ausgesprochen. Es ist dieser Zug für italienische Volkssitte höchst charakteristisch. Der Verkehr zwischen der Unverheiratheten und ihrem Ver¬ ehrer pflegt in Italien sehr beengt zusein, weit mehr als diesseits der Alpen. Das Mädchen wird mit Aengstlichkeit bewacht, und bewacht sich selbst mit nicht minderer Vorsicht. Erst der Priestersegen macht sie frei. Einige Lieder lassen freilich durchblicken, daß solche Ehen häusig Ent¬ täuschungen im Gefolge haben. In folgender Weise unterhält sich ein Römer mit seiner Gattin. Sie: Ist das ein Fleißiger! Entweder muß er essen oder trinken. Mor¬ gens in die Aquavitaschenke, Abends berauscht zurück. All sein Gut hat er aufgeschluckt. Mein Hochzeitsgut ging mit drauf! Nund wie eine Pomme- ranze kam ich zu ihm, eine Sardelle läuft mir jetzt an Corpulenz den Rang ab! Er: Hochzeitsgut? Einen Seegraspfühl eben genug zum Pfeifenstopfer! vier klägliche Stühle, ein Bettgestell kaum fähig allein zu stehen. Schon in der ersten Nacht brachen wir damit zusammen. Die ganze Nachbarschaft fuhr aus dem Schlaf! Ein Liebhaber, den die Eltern beim Wort halten, sucht in der Canzone Neso SeecAw einen guten Freund, der ihm seine Liebste abjage. Heute sei des Mädchens Geburtstag, dann komme der Namenstag, dann Weihnacht, Neujahr, Carneval und endlich gar der Mama Geburtstag. Da finde ein Anderer Vergnügen daran, und dabei werfe die Mann ihm noch immer vor, er komme nur zum Vergnügen! — „Die Pest über die Weiber!" ruft der im Toledo durchgeprügelte Tortaniello, der sich einfallen ließ mit einer Schönen anzubinden. Diese Neigung zu komischer Ausfassung macht sich auch über den alten Liebhaber her, der „kein Adonis, o nein, kein Adonis ist." Ihm wird ein Spiegel vorgehalten, damit er sehe, was ihm sür Hörner angewachsen seien. Ein Auge drückten heirathslustige Mädchen wol zu, bei ihm aber reiche ein Augezudrücken nicht aus. — Ebenso geht es in der römischen Lirsea in ^el-ra, über die alten Weiber her. „Warum schelten sie mich Kunkel? Weil ich 90 Jahr alt bin und keine Zähne mehr habe? He! mein Vetter ist ein Zahnarzt, der wird schon Rath schaffen. Oder um meiner Haare willen? Der Perru- chiere ist nah bei. Laßt mich nur machen. Oder um meiner Einäugigkeit willen? Nun, da gibts jetzt Augen von Glas. Ich will" sie schon prellen." Aus allen diesen Canzonen blickt die Physiognomie des niedern italie¬ nischen Volks. Die meisten Nenellen reden von ihrer Herrschaft, sind also Dienende. Der Einfluß des Vaudevilles ist nicht zu verkennen. Man witzelt, schwärmt, prügelt sich, ist über alle Gebühr grob und singt zur Chitarra das tägliche Einerlei des italienischen Lebens. Die Sittenpolizei theilweise ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/236>, abgerufen am 27.07.2024.