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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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selbst wichtig ist, weil Grund und Folge sich deutlich verknüpfen; was die
allgemeinen Zustände deutlich charakterisirt, oder auch, da der Geschichtschreiber
seinen Stoff als einen gegebenen empfängt, dasjenige, wofür sich eine gründ¬
liche und geistvolle Quelle findet. Zwar nicht immer, aber doch in der
Regel fallen die innern und äußern Motive zusammen, denn meistens erregen
diejenigen Begebenheiten das Interesse verständiger Zeitgenossen, die es ver¬
dienen. Aber auch wo das nicht der Fall ist, wird das Verständniß einer
Periode weit mehr durch die quellenmäßige Darstellung einer Geschichte von
secundärem Interesse gefördert, als durch ein trockenes Register von Thatsachen
ohne Fleisch und Blut. Wenn man aber aus Gewissenspflichten alle That¬
sachen, die man erfahren hat, dein Leser mittheilen will, so findet sich dazu
der angemessene Ort in dem oben erwähnten Anhang. Bis zu einem gewissen
Grad ergänzt jeder Leser die Kunst des Geschichtschreibers dadurch, daß er
überschlägt, was ihn langweilt, es ist aber augenscheinlich, daß der Geschicht¬
schreiber selbst, dem sein Object nach allen Beziehungen gegenwärtig ,se, eine
bessere Auswahl zu treffen im Stande ist.

Indem nun der Geschichtschreiber kein Hehl daraus macht, daß er nur
dasjenige erzählt, was'er durch mühsame Forschungen entdeckt hat, indem er
den Leser gewissermaßen an denselben betheiligt, wird es i'hin nach einer an¬
dern Seite hin leichter, den richtigen Ton zu treffen. Wir erinnern an den
Anfang des macaulayschen Geschichtswerks, an die brillante Darstellung der
Zustände von 1685. Der hauptsächliche Reiz dieser Darstellung liegt darin,
daß Macaulay die Phantasie zum Vergleich nöthigt: er steht in der Mitte
der gegenwärtigen Zustände, und läßt das Bild der Vergangenheit dagegen
contrastiren. Das ist nun freilich gegen die Regel der sogenannten Objek¬
tivität, denn man soll ja die Gegenwart ganz und gar vergessen, aber ein¬
mal ist das Letztere nicht möglich, und dann verliert man dadurch den besten
Maßstab, das Vergangene zu würdigen. Durch diese Form des Vergleichs
werden auch anscheinend gleichgiltige Äußerlichkeiten, selbst das Costüm,
von Wichtigkeit, und Äußerlichkeiten, die an sich bedeutend find z. B. Land¬
schaften, Baulichkeiten u. s. w. gewinnen dadurch eine ' hellere Farbe..
Für das 17. Jahrhundert hat Ranke mit vollendeter Meisterschaft diesen
subjectiven Standpunkt benutzt, um uns in der Geschichte zu orientiren, für
das Mittelalter, wo es viel näher liegt, ist es fast nur von Dichtern ge¬
schehn, Chateaubriand, W. Scott, V. Hugo, jedesmal mit großem Er¬
folg. Ein junger Geschichtschreiber, Flvto, hat vor einigen Jahren in seiner
Biographie Heinrichs IV. den Versuch gemacht. Das Buch läßt sonst
Manches zu wünschen übrig, aber in dieser Beziehung verdient es Be¬
achtung.

Nun wird man gegen unsere ganze Kritik vielleicht einwerfen, daß man


selbst wichtig ist, weil Grund und Folge sich deutlich verknüpfen; was die
allgemeinen Zustände deutlich charakterisirt, oder auch, da der Geschichtschreiber
seinen Stoff als einen gegebenen empfängt, dasjenige, wofür sich eine gründ¬
liche und geistvolle Quelle findet. Zwar nicht immer, aber doch in der
Regel fallen die innern und äußern Motive zusammen, denn meistens erregen
diejenigen Begebenheiten das Interesse verständiger Zeitgenossen, die es ver¬
dienen. Aber auch wo das nicht der Fall ist, wird das Verständniß einer
Periode weit mehr durch die quellenmäßige Darstellung einer Geschichte von
secundärem Interesse gefördert, als durch ein trockenes Register von Thatsachen
ohne Fleisch und Blut. Wenn man aber aus Gewissenspflichten alle That¬
sachen, die man erfahren hat, dein Leser mittheilen will, so findet sich dazu
der angemessene Ort in dem oben erwähnten Anhang. Bis zu einem gewissen
Grad ergänzt jeder Leser die Kunst des Geschichtschreibers dadurch, daß er
überschlägt, was ihn langweilt, es ist aber augenscheinlich, daß der Geschicht¬
schreiber selbst, dem sein Object nach allen Beziehungen gegenwärtig ,se, eine
bessere Auswahl zu treffen im Stande ist.

Indem nun der Geschichtschreiber kein Hehl daraus macht, daß er nur
dasjenige erzählt, was'er durch mühsame Forschungen entdeckt hat, indem er
den Leser gewissermaßen an denselben betheiligt, wird es i'hin nach einer an¬
dern Seite hin leichter, den richtigen Ton zu treffen. Wir erinnern an den
Anfang des macaulayschen Geschichtswerks, an die brillante Darstellung der
Zustände von 1685. Der hauptsächliche Reiz dieser Darstellung liegt darin,
daß Macaulay die Phantasie zum Vergleich nöthigt: er steht in der Mitte
der gegenwärtigen Zustände, und läßt das Bild der Vergangenheit dagegen
contrastiren. Das ist nun freilich gegen die Regel der sogenannten Objek¬
tivität, denn man soll ja die Gegenwart ganz und gar vergessen, aber ein¬
mal ist das Letztere nicht möglich, und dann verliert man dadurch den besten
Maßstab, das Vergangene zu würdigen. Durch diese Form des Vergleichs
werden auch anscheinend gleichgiltige Äußerlichkeiten, selbst das Costüm,
von Wichtigkeit, und Äußerlichkeiten, die an sich bedeutend find z. B. Land¬
schaften, Baulichkeiten u. s. w. gewinnen dadurch eine ' hellere Farbe..
Für das 17. Jahrhundert hat Ranke mit vollendeter Meisterschaft diesen
subjectiven Standpunkt benutzt, um uns in der Geschichte zu orientiren, für
das Mittelalter, wo es viel näher liegt, ist es fast nur von Dichtern ge¬
schehn, Chateaubriand, W. Scott, V. Hugo, jedesmal mit großem Er¬
folg. Ein junger Geschichtschreiber, Flvto, hat vor einigen Jahren in seiner
Biographie Heinrichs IV. den Versuch gemacht. Das Buch läßt sonst
Manches zu wünschen übrig, aber in dieser Beziehung verdient es Be¬
achtung.

Nun wird man gegen unsere ganze Kritik vielleicht einwerfen, daß man


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[0218] selbst wichtig ist, weil Grund und Folge sich deutlich verknüpfen; was die allgemeinen Zustände deutlich charakterisirt, oder auch, da der Geschichtschreiber seinen Stoff als einen gegebenen empfängt, dasjenige, wofür sich eine gründ¬ liche und geistvolle Quelle findet. Zwar nicht immer, aber doch in der Regel fallen die innern und äußern Motive zusammen, denn meistens erregen diejenigen Begebenheiten das Interesse verständiger Zeitgenossen, die es ver¬ dienen. Aber auch wo das nicht der Fall ist, wird das Verständniß einer Periode weit mehr durch die quellenmäßige Darstellung einer Geschichte von secundärem Interesse gefördert, als durch ein trockenes Register von Thatsachen ohne Fleisch und Blut. Wenn man aber aus Gewissenspflichten alle That¬ sachen, die man erfahren hat, dein Leser mittheilen will, so findet sich dazu der angemessene Ort in dem oben erwähnten Anhang. Bis zu einem gewissen Grad ergänzt jeder Leser die Kunst des Geschichtschreibers dadurch, daß er überschlägt, was ihn langweilt, es ist aber augenscheinlich, daß der Geschicht¬ schreiber selbst, dem sein Object nach allen Beziehungen gegenwärtig ,se, eine bessere Auswahl zu treffen im Stande ist. Indem nun der Geschichtschreiber kein Hehl daraus macht, daß er nur dasjenige erzählt, was'er durch mühsame Forschungen entdeckt hat, indem er den Leser gewissermaßen an denselben betheiligt, wird es i'hin nach einer an¬ dern Seite hin leichter, den richtigen Ton zu treffen. Wir erinnern an den Anfang des macaulayschen Geschichtswerks, an die brillante Darstellung der Zustände von 1685. Der hauptsächliche Reiz dieser Darstellung liegt darin, daß Macaulay die Phantasie zum Vergleich nöthigt: er steht in der Mitte der gegenwärtigen Zustände, und läßt das Bild der Vergangenheit dagegen contrastiren. Das ist nun freilich gegen die Regel der sogenannten Objek¬ tivität, denn man soll ja die Gegenwart ganz und gar vergessen, aber ein¬ mal ist das Letztere nicht möglich, und dann verliert man dadurch den besten Maßstab, das Vergangene zu würdigen. Durch diese Form des Vergleichs werden auch anscheinend gleichgiltige Äußerlichkeiten, selbst das Costüm, von Wichtigkeit, und Äußerlichkeiten, die an sich bedeutend find z. B. Land¬ schaften, Baulichkeiten u. s. w. gewinnen dadurch eine ' hellere Farbe.. Für das 17. Jahrhundert hat Ranke mit vollendeter Meisterschaft diesen subjectiven Standpunkt benutzt, um uns in der Geschichte zu orientiren, für das Mittelalter, wo es viel näher liegt, ist es fast nur von Dichtern ge¬ schehn, Chateaubriand, W. Scott, V. Hugo, jedesmal mit großem Er¬ folg. Ein junger Geschichtschreiber, Flvto, hat vor einigen Jahren in seiner Biographie Heinrichs IV. den Versuch gemacht. Das Buch läßt sonst Manches zu wünschen übrig, aber in dieser Beziehung verdient es Be¬ achtung. Nun wird man gegen unsere ganze Kritik vielleicht einwerfen, daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/218>, abgerufen am 22.12.2024.