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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Minister von Zeit zu Zeit wechselte und ihren Ehrgeiz zwischen Hoffnung und Furcht
schweben ließ. Was ihm das constitutionelle System versagte, selbst zu regie¬
ren, wollte er durch seine persönliche Überlegenheit erreichen, und wollte,
hierin Wilhelm III. ähnlich, alles unvermerkt leiten. Aber grade diese Klug¬
heit schien ihn in den letzten verhängnißvollen Monaten seiner Regierung
verlassen zu haben, er war blind und hartnäckig, der Passus in der Thron¬
rede, welcher die Opposition als seine Feinde bezeichnete, rief heftige Aufregung
hervor, noch als bei schon dringender Gefahr MM gerufen ward, ein Ministe¬
rium zu bilden, bestand der König darauf, von demselben Marschall Bugeaud
auszuschließen, nur weil die Armee für seine Söhne bewahrt werden solle.
Wenige Tage vor der Revolution sagte er noch einem vornehmen Engländer,
der sich von ihm verabschieden wollte, bleiben Sie Mylord, und sehen wie
eine Revolution scheitert. --

Alle diese Umstände -- Verblendung des Regenten, systematisch falsche
Politik der Minister, Corruption, eine leidenschaftliche Opposition, die nur auf
ihren Sieg bedacht war -- sind auch bei andern Regierungen zusammengetroffen
und haben dieselben nicht gestürzt. Sie wurden tödtlich für eine Regierung,
welche kein Princip hatte, sondern auf einem Schaukelsystcm beruhte. Man
hat die Julirevolution gern mit der englischen Staatsumwälzung von 1688
verglichen, nichts konnte falscher sein; darum daß beide den Charakter eines
Compromisses hatten, war unter ihnen noch nicht die geringste Aehnlichkeit
vorhanden. Die englische Bewegung war religiös-aristokratisch, sie wurde im
Namen und mit dem Beifall des Volkes, aber ohne seine Betheiligung voll¬
zogen, die Julirevolution ward durch zwei sich bitter hassende Parteien, die
Bourgeoisie und Republikaner durchgeführt, erstre begann sie, letztre vollendete
sie', und wurde> wieder von der Bourgeoisie zurückgehalten ihren Sieg ganz
zu verfolgen, im Grunde ging er für sie selbst zu weit und eine leisere Er¬
schütterung, ein bloßes Weichen des Königthums wäre ihr vortheilhafter
gewesen. Diesem Zwiespalt, der alles ungewiß "rächte, stand das Neue
gegenüber. Wenn eine Monarchie mit republikanischen Institutionen etwas
logisch schwer zu Erklärendes ist, so gab doch diese Formel den genauen Aus¬
druck für die Umstünde, welche die neue Zwitterregierung ins Leben gerufen
hatten. Man versicherte der ganzen Welt seine Friedensliebe und zog die
Tricolore auf. man verkündete Ordnung in der Freiheit und ließ überall die
Marseillaise singen, man -sandte Taleyrand als einen Diplomaten alter Tradi¬
tionen nach London, während noch die Blousen mit Jakobinermützen vor den
Tuilerien schilderten!

Das Lager der Partei, welche das Julikönigthum um sich sammelte, bot
nicht weniger Gegensätze dar, als seine Thaten und die Ereignisse, die es ins
Leben riefen. Legitimisten, die mit Karl X. unzufrieden gewesen, oder deren


Grenzboten I. 13S8. 23

Minister von Zeit zu Zeit wechselte und ihren Ehrgeiz zwischen Hoffnung und Furcht
schweben ließ. Was ihm das constitutionelle System versagte, selbst zu regie¬
ren, wollte er durch seine persönliche Überlegenheit erreichen, und wollte,
hierin Wilhelm III. ähnlich, alles unvermerkt leiten. Aber grade diese Klug¬
heit schien ihn in den letzten verhängnißvollen Monaten seiner Regierung
verlassen zu haben, er war blind und hartnäckig, der Passus in der Thron¬
rede, welcher die Opposition als seine Feinde bezeichnete, rief heftige Aufregung
hervor, noch als bei schon dringender Gefahr MM gerufen ward, ein Ministe¬
rium zu bilden, bestand der König darauf, von demselben Marschall Bugeaud
auszuschließen, nur weil die Armee für seine Söhne bewahrt werden solle.
Wenige Tage vor der Revolution sagte er noch einem vornehmen Engländer,
der sich von ihm verabschieden wollte, bleiben Sie Mylord, und sehen wie
eine Revolution scheitert. —

Alle diese Umstände — Verblendung des Regenten, systematisch falsche
Politik der Minister, Corruption, eine leidenschaftliche Opposition, die nur auf
ihren Sieg bedacht war — sind auch bei andern Regierungen zusammengetroffen
und haben dieselben nicht gestürzt. Sie wurden tödtlich für eine Regierung,
welche kein Princip hatte, sondern auf einem Schaukelsystcm beruhte. Man
hat die Julirevolution gern mit der englischen Staatsumwälzung von 1688
verglichen, nichts konnte falscher sein; darum daß beide den Charakter eines
Compromisses hatten, war unter ihnen noch nicht die geringste Aehnlichkeit
vorhanden. Die englische Bewegung war religiös-aristokratisch, sie wurde im
Namen und mit dem Beifall des Volkes, aber ohne seine Betheiligung voll¬
zogen, die Julirevolution ward durch zwei sich bitter hassende Parteien, die
Bourgeoisie und Republikaner durchgeführt, erstre begann sie, letztre vollendete
sie', und wurde> wieder von der Bourgeoisie zurückgehalten ihren Sieg ganz
zu verfolgen, im Grunde ging er für sie selbst zu weit und eine leisere Er¬
schütterung, ein bloßes Weichen des Königthums wäre ihr vortheilhafter
gewesen. Diesem Zwiespalt, der alles ungewiß »rächte, stand das Neue
gegenüber. Wenn eine Monarchie mit republikanischen Institutionen etwas
logisch schwer zu Erklärendes ist, so gab doch diese Formel den genauen Aus¬
druck für die Umstünde, welche die neue Zwitterregierung ins Leben gerufen
hatten. Man versicherte der ganzen Welt seine Friedensliebe und zog die
Tricolore auf. man verkündete Ordnung in der Freiheit und ließ überall die
Marseillaise singen, man -sandte Taleyrand als einen Diplomaten alter Tradi¬
tionen nach London, während noch die Blousen mit Jakobinermützen vor den
Tuilerien schilderten!

Das Lager der Partei, welche das Julikönigthum um sich sammelte, bot
nicht weniger Gegensätze dar, als seine Thaten und die Ereignisse, die es ins
Leben riefen. Legitimisten, die mit Karl X. unzufrieden gewesen, oder deren


Grenzboten I. 13S8. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/185>, abgerufen am 27.07.2024.