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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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eingegangen. Wie zu historischer Ergänzung des Vadiscus gab nun H. die
im vorigen Jahre von ihm, als er nach Handschriften der Klassiker in der
fuldischen Bibliothek stöberte, aufgefundene (von Bisch. Waltram von Naum-
burg 1093. geschriebene, auch öfters in neueren Sammlungen wiederholte,
nicht vollständig erhaltene) Vertheidigung des deutschen Königthums gegen
den römischen seul heraus, und zwar mit einer Dedication an Karls V.
Bruder Ferdinand (ve uvjtatv ecclesiae eovservanäg.. Mainz, März 1520 4.)
In dieser Widmung treten zuerst uns Bibelstellen entgegen, wo nach Hs.
früherer Weise klassische stehen müsten: "sie stören statt zu fördern: man glaubt
stellenweise H. in Kutte und Kapuze sich vermummen zu sehen, den doch nur
Harnisch, und Lorber kleideten." Gewiß; aber o Macht der Mode! Wie man¬
cher deutsche Edelmann hat sich in der Kapuze begraben laßen, dem auch das
Gewand eines Reiters oder Buschkleppers wahrhaftiger geseßen hatte! Genug
daß H. seine Klassiker in guten Treuen sort liebte; und daß er das that, da-
von giebt uns auch Reuber in seiner Vorrede zu Cicero vom Alter (deutsch.
1522. fol.), wo er Hs. Beihilfe rühmt. Zeugniss: diese Beihilfe setzt Ser.
mit gröster Wahrscheinlichkeit in die Zeit von Hs. Zusammentreffen mit Cro-
tus zu Bamberg, im Frühjahr 1520. Vom 20. Mai ist aus Mainz der
Brief an den nachmaligen Erzbischof von Hort, Lee, datiert, den damals
kein Erasmianer wegen seiner Eitelkeit, mit dem großen Erasmus über dessen
neues Testament etwas Federkrieg zu führen, ungescholten laßen durfte. Am
4. Juni schreibt H. von Mainz aus an Luther "heute gehe ich ab zu Fer¬
dinand." Es war also eine frühere Nheinfahrt; auf welcher auch H., wie
2 Jahre früher Erasmus. von dem Zolleinnehmer Eschcnfeldcr in Boppart
aufs freundlichste bewirthet und mit einer Hdschr. der Briefe beschenkt wurde,
die er alsbald mit einer rittlings verfaßten Dedication "an alle Freien in
Deutschland" (dat. 27. Mai) herausgab, unter dem Titel vo "<Msmg.w vx-
tingusmlo cke. Die Wirksamkeit seiner Angriffe, in denen er nur Verthei¬
digungen der Wahrheit und seines Vaterlandes wollte, und welche ihm bei
Freund und Feind entsprechende Anerkennung verschafften, (auch in Rom hatte
man nun ein Augenmerk darauf, sich von einem gewissen Ulrich Hütten, einem
gar sehr unbescheidener Menschen, zu befreien), wollte er dadurch verstärken,
daß er den Erzherzog Ferdinand für seine Sache zu gewinnen suchte; durch¬
zubrechen war nun sein Sinn. Selbst der Kurfürst von Mainz scheint diese
Reise begünstigt, auch wol für sich selbst einiges von ihr erwartet zu haben;
aber während Hs. Abwesenheit gelangten um den Cardinal päpstliche Schrei¬
ben , welche Hs. Stellung nicht bloß in Mainz, sondern so weit ein Römling
reichen mochte, zu untergraben ganz geeignet waren. Auf der Reise nach
Brüssel traf H. mit Agrippa von Nettcsheim in Köln zusammen, -- die
waren nicht sür einander gemacht --; in Löwen besuchte er den Erasmus


eingegangen. Wie zu historischer Ergänzung des Vadiscus gab nun H. die
im vorigen Jahre von ihm, als er nach Handschriften der Klassiker in der
fuldischen Bibliothek stöberte, aufgefundene (von Bisch. Waltram von Naum-
burg 1093. geschriebene, auch öfters in neueren Sammlungen wiederholte,
nicht vollständig erhaltene) Vertheidigung des deutschen Königthums gegen
den römischen seul heraus, und zwar mit einer Dedication an Karls V.
Bruder Ferdinand (ve uvjtatv ecclesiae eovservanäg.. Mainz, März 1520 4.)
In dieser Widmung treten zuerst uns Bibelstellen entgegen, wo nach Hs.
früherer Weise klassische stehen müsten: „sie stören statt zu fördern: man glaubt
stellenweise H. in Kutte und Kapuze sich vermummen zu sehen, den doch nur
Harnisch, und Lorber kleideten." Gewiß; aber o Macht der Mode! Wie man¬
cher deutsche Edelmann hat sich in der Kapuze begraben laßen, dem auch das
Gewand eines Reiters oder Buschkleppers wahrhaftiger geseßen hatte! Genug
daß H. seine Klassiker in guten Treuen sort liebte; und daß er das that, da-
von giebt uns auch Reuber in seiner Vorrede zu Cicero vom Alter (deutsch.
1522. fol.), wo er Hs. Beihilfe rühmt. Zeugniss: diese Beihilfe setzt Ser.
mit gröster Wahrscheinlichkeit in die Zeit von Hs. Zusammentreffen mit Cro-
tus zu Bamberg, im Frühjahr 1520. Vom 20. Mai ist aus Mainz der
Brief an den nachmaligen Erzbischof von Hort, Lee, datiert, den damals
kein Erasmianer wegen seiner Eitelkeit, mit dem großen Erasmus über dessen
neues Testament etwas Federkrieg zu führen, ungescholten laßen durfte. Am
4. Juni schreibt H. von Mainz aus an Luther „heute gehe ich ab zu Fer¬
dinand." Es war also eine frühere Nheinfahrt; auf welcher auch H., wie
2 Jahre früher Erasmus. von dem Zolleinnehmer Eschcnfeldcr in Boppart
aufs freundlichste bewirthet und mit einer Hdschr. der Briefe beschenkt wurde,
die er alsbald mit einer rittlings verfaßten Dedication „an alle Freien in
Deutschland" (dat. 27. Mai) herausgab, unter dem Titel vo »<Msmg.w vx-
tingusmlo cke. Die Wirksamkeit seiner Angriffe, in denen er nur Verthei¬
digungen der Wahrheit und seines Vaterlandes wollte, und welche ihm bei
Freund und Feind entsprechende Anerkennung verschafften, (auch in Rom hatte
man nun ein Augenmerk darauf, sich von einem gewissen Ulrich Hütten, einem
gar sehr unbescheidener Menschen, zu befreien), wollte er dadurch verstärken,
daß er den Erzherzog Ferdinand für seine Sache zu gewinnen suchte; durch¬
zubrechen war nun sein Sinn. Selbst der Kurfürst von Mainz scheint diese
Reise begünstigt, auch wol für sich selbst einiges von ihr erwartet zu haben;
aber während Hs. Abwesenheit gelangten um den Cardinal päpstliche Schrei¬
ben , welche Hs. Stellung nicht bloß in Mainz, sondern so weit ein Römling
reichen mochte, zu untergraben ganz geeignet waren. Auf der Reise nach
Brüssel traf H. mit Agrippa von Nettcsheim in Köln zusammen, — die
waren nicht sür einander gemacht —; in Löwen besuchte er den Erasmus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/140>, abgerufen am 27.07.2024.