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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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die französische Akademie. Man beurtheilt das .Institut in Deutschland zu
sehr nach den satirischen Ausfällen derjenigen Schriftsteller, die noch nicht darin
aufgenommen sind; es hat noch immer für Frankreich eine hohe Bedeutung, und
ist trotz allem Materialismus für die hochgestellten Männer ein mächtiges Ziel des
Ehrgeizes. Der eigentliche Sinn derselben ist, diejenigen Männer zu vereinigen, die
am besten Französisch schreiben. Abgesehn von den vornehmen Herrn, die man
darin ausnimmt, um den aristokratischen Firniß des Instituts zu erhalten, und die
gute Gesellschaft für die Literatur zu interessiren, hat man dabei augenscheinlich am
meisten an die Dichter gedacht, namentlich an solche Dichter, die nicht wie E. Sue
um die Gunst der Menge buhlen, sondern für einen feinern Geschmack arbeitend
In neuster Zeit ist man aber in fortwährender Verlegenheit, wen man dazu nehmen
soll, und wenn schon in den Augen gebildeter Franzosen die Aufnahme von Pon¬
sard und Angler ein Armuthszeugniß ist, welches sich die französische Dichtung
ausstellt, so wird die Wahl voraussichtlich bald noch viel untergeordnetere Namen
treffen. Dagegen ist es merkwürdig, in einem wie großen Umfang die Litercttur-
geschichte und die Kritik in der Akademie vertreten sind. Der wissenschaftliche Werth
dieser Arbeiten allein macht es nicht, denn dafür ist die Akademie des Inscriptions
vorhanden: es ist das Gefühl, daß sich der gute gebildete Stil in diesem Augenblick
mehr in der Prosa als in der Poesie geltend macht.

Durch dieses Gefühl wird auch das Urtheil über ältere Erscheinungen wesent¬
lich verändert. Unter den zahlreichen Todesfällen des vergangenen Jahres wollen
wir nur auf zwei aufmerksam machen- auf Börangcr und Gustave Planche.
In der Bewunderung des Ersteren waren bisher, wenn nicht eine ganz bestimmte
Politische Partcirichtung ins Spiel kam, alle litemrischcn Schulen einig. Der Erste,
der an seiner Größe zu zweifeln wagte, war Ste. Beuve in den "na-usEriss an luiuli
1851, der in seiner Jugend einer der eifrigsten Verehrer des Dichters gewesen war.
Nun beginnt am 1. December vergangenen Jahres die Revue de deux Mondes eine
Reihe literarischer Porträts, deren erstes, Beranger, von Emile Montsgut aus¬
geführt ist, jenem geistvollen wenn auch paradoxen jungen Kritiker, auf den wir
unsre Leser schon bei .mehrern Gelegenheiten aufmerksam gemacht haben. Das Por¬
trät ist keineswegs ungerecht, es bekämpft nur die Vergötterung, die früher mit Büranger
getrieben wurde, es weist die Grenzen auf, welche dies schöne, aber einseitige Talent
nicht überschreiten konnte, und-die schädlichen Einwirkungen, die es auf den Gang
der öffentlichen Meinung ausgeübt hat. Wenn wir auch in einigen Punkten von
der Ansicht des Kritikers abweichen möchten, so glauben wir, daß er im Ganzen
das Nichtige getroffen hat. Aber es ist ein bemerkenswerthes Zeichen von dem
Uebergreifen der kritischen Richtung, daß grain jetzt, wo eine Größe nach 'der
andern sich als leeres Ideal erweist, die Franzosen trotz ihrer ausgesprochenen
Nationaleitelkeit geschäftig find, die Altäre einzurcißen, an denen sie bis dahin zu
beten gewohnt waren.

Ganz das umgekehrte Verhältniß findet mit Planche statt. Geb. 1808, hatte
er seit 1831 nach vorhergehender gründlicher Schulbildung in der Revue de deux
Mondes die literarischen und künstlerischen Erscheinungen jeden Jahres besprochen,
mit einer Unparteilichkeit, die ihm Ehre macht, die ihn aber in der literarischen
Gesellschaft isolirte. Es hatte an ernsthaften und scharfen Kritikern in Paris zu


die französische Akademie. Man beurtheilt das .Institut in Deutschland zu
sehr nach den satirischen Ausfällen derjenigen Schriftsteller, die noch nicht darin
aufgenommen sind; es hat noch immer für Frankreich eine hohe Bedeutung, und
ist trotz allem Materialismus für die hochgestellten Männer ein mächtiges Ziel des
Ehrgeizes. Der eigentliche Sinn derselben ist, diejenigen Männer zu vereinigen, die
am besten Französisch schreiben. Abgesehn von den vornehmen Herrn, die man
darin ausnimmt, um den aristokratischen Firniß des Instituts zu erhalten, und die
gute Gesellschaft für die Literatur zu interessiren, hat man dabei augenscheinlich am
meisten an die Dichter gedacht, namentlich an solche Dichter, die nicht wie E. Sue
um die Gunst der Menge buhlen, sondern für einen feinern Geschmack arbeitend
In neuster Zeit ist man aber in fortwährender Verlegenheit, wen man dazu nehmen
soll, und wenn schon in den Augen gebildeter Franzosen die Aufnahme von Pon¬
sard und Angler ein Armuthszeugniß ist, welches sich die französische Dichtung
ausstellt, so wird die Wahl voraussichtlich bald noch viel untergeordnetere Namen
treffen. Dagegen ist es merkwürdig, in einem wie großen Umfang die Litercttur-
geschichte und die Kritik in der Akademie vertreten sind. Der wissenschaftliche Werth
dieser Arbeiten allein macht es nicht, denn dafür ist die Akademie des Inscriptions
vorhanden: es ist das Gefühl, daß sich der gute gebildete Stil in diesem Augenblick
mehr in der Prosa als in der Poesie geltend macht.

Durch dieses Gefühl wird auch das Urtheil über ältere Erscheinungen wesent¬
lich verändert. Unter den zahlreichen Todesfällen des vergangenen Jahres wollen
wir nur auf zwei aufmerksam machen- auf Börangcr und Gustave Planche.
In der Bewunderung des Ersteren waren bisher, wenn nicht eine ganz bestimmte
Politische Partcirichtung ins Spiel kam, alle litemrischcn Schulen einig. Der Erste,
der an seiner Größe zu zweifeln wagte, war Ste. Beuve in den «na-usEriss an luiuli
1851, der in seiner Jugend einer der eifrigsten Verehrer des Dichters gewesen war.
Nun beginnt am 1. December vergangenen Jahres die Revue de deux Mondes eine
Reihe literarischer Porträts, deren erstes, Beranger, von Emile Montsgut aus¬
geführt ist, jenem geistvollen wenn auch paradoxen jungen Kritiker, auf den wir
unsre Leser schon bei .mehrern Gelegenheiten aufmerksam gemacht haben. Das Por¬
trät ist keineswegs ungerecht, es bekämpft nur die Vergötterung, die früher mit Büranger
getrieben wurde, es weist die Grenzen auf, welche dies schöne, aber einseitige Talent
nicht überschreiten konnte, und-die schädlichen Einwirkungen, die es auf den Gang
der öffentlichen Meinung ausgeübt hat. Wenn wir auch in einigen Punkten von
der Ansicht des Kritikers abweichen möchten, so glauben wir, daß er im Ganzen
das Nichtige getroffen hat. Aber es ist ein bemerkenswerthes Zeichen von dem
Uebergreifen der kritischen Richtung, daß grain jetzt, wo eine Größe nach 'der
andern sich als leeres Ideal erweist, die Franzosen trotz ihrer ausgesprochenen
Nationaleitelkeit geschäftig find, die Altäre einzurcißen, an denen sie bis dahin zu
beten gewohnt waren.

Ganz das umgekehrte Verhältniß findet mit Planche statt. Geb. 1808, hatte
er seit 1831 nach vorhergehender gründlicher Schulbildung in der Revue de deux
Mondes die literarischen und künstlerischen Erscheinungen jeden Jahres besprochen,
mit einer Unparteilichkeit, die ihm Ehre macht, die ihn aber in der literarischen
Gesellschaft isolirte. Es hatte an ernsthaften und scharfen Kritikern in Paris zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/127>, abgerufen am 22.12.2024.