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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Wein zärtliche Chiffern auf den Tisch, er erzählt Liebesgeschichten, die in durch¬
sichtiger Verhüllung seine eigne Leidenschaft verrathen, ja er stellt sich betrun¬
ken, um seine Kühnheit unverfänglich erscheinen zu lassen.

Es gibt leider keinen gleichzeitigen Schriftsteller, der uns Proben aus der
geselligen Conversation des kaiserlichen Rom in irgend einer Zeit aufbehalten
hätte, höchstens die Briefscnnmlung des jüngern Plinius kann uns dienen, um
den aus Herzlichkeit und Höflichkeit gemischten Ton der höhern Stände uns zu
vergegenwärtigen, in dem der gebildete Italiener, der Meister der Gentilezza,
auch heute so viel Angenehmes so ungezwungen bei jeder Gelegenheit zu sa¬
gen weiß. Unter dem Druck des schrankenlosesten Despotismus, in der unmit¬
telbaren Nähe des Hofes und bei einer in allen Ständen aufs umfassendste
laues mit provocirenden Agenten) organisirten Spionage konnte sich übrigens
auch das gleichgiltigste Gespräch nur mit tastender Behutsamkeit bewegen, und
völlig zwanglos war man auch unter den besten Regierungen nicht. Martial
sagt in einem Gedicht. worin er sechs Freunde zu einem frugalen Mahle
ladet, diesem Feste solle die Freimütlngkcit sern bleiben, die man am
andern Tage bereuen könnte Dies war freilich ein Gebot der natürlichsten
Klugheit. aber es mochte schwer genug sein, alle Gegenstände zu
vermeiden, deren Besprechung damals möglicherweise freimüthig gesunden wer¬
den konnte, wenn man nicht Martials Rath, "sich von den Blauen und Grü¬
nen im Circus zu unterhalten" ausschließlich befolgen wollte. Die gewaltsame
Ausschließung der Oeffentlichkeit in allem, was die innere und äußere Politik
betraf, hatte natürlich die Folge. Vermuthungen, Gerüchte und Combinationen
ins Grenzenlose zu vermehren (Tacitus neun Rom eine ..redclustige" Stadt)
und die Sehnsucht nach Neuigkeiten unaushörlich rege zu erhalten. Es fehlte
nicht an Leuten, die immer das Neueste wußten und dieser begehrten Eigen¬
schaft manche Ginladuug an wohlbesetzte Tafeln verdankten ; ihre Kunst war sehr
einfach; was sie nicht erfahren konnten, erfanden sie. Sie kannten die neuesten
Intentionen des parthischen Cabinets. wußten die augenblickliche Stärke der Be¬
satzungen am Rhein und Donau auf den Mann anzugeben, waren im Stande mit¬
zutheilen, was die eben Zugetroffene und noch nicht eröffnete Depesche von der
deutschen Armee enthielt, wie oft im Lauf des Jahres in Oberägypten Regen
gefallen, wie viel Schiffe aus den "Manischen Häfen ausgelaufen waren,
welcher Dichter bei der nächstem Preisvertheilung auf dem Capitol den Kranz
erhalten werde. "Spare deine Kunst," redet Martial einen solchen Fabrikanten
von Neuigkeiten an, "du sollst heute bei mir essen, aber nur unter der Be¬
dingung, daß du mir nichts Neues erzählst." Doch bei weitem schlimmer
und unheilvoller war die Aufspürung und Verbreitung von Geheimnissen,
durch die bedeutende Männer compromittirt und oft ganze Familien den,
Untergange geweiht wurden, nicht immer durch böse Absicht, sondern oft genug


Gttnzl'öden I. 1858. 14

Wein zärtliche Chiffern auf den Tisch, er erzählt Liebesgeschichten, die in durch¬
sichtiger Verhüllung seine eigne Leidenschaft verrathen, ja er stellt sich betrun¬
ken, um seine Kühnheit unverfänglich erscheinen zu lassen.

Es gibt leider keinen gleichzeitigen Schriftsteller, der uns Proben aus der
geselligen Conversation des kaiserlichen Rom in irgend einer Zeit aufbehalten
hätte, höchstens die Briefscnnmlung des jüngern Plinius kann uns dienen, um
den aus Herzlichkeit und Höflichkeit gemischten Ton der höhern Stände uns zu
vergegenwärtigen, in dem der gebildete Italiener, der Meister der Gentilezza,
auch heute so viel Angenehmes so ungezwungen bei jeder Gelegenheit zu sa¬
gen weiß. Unter dem Druck des schrankenlosesten Despotismus, in der unmit¬
telbaren Nähe des Hofes und bei einer in allen Ständen aufs umfassendste
laues mit provocirenden Agenten) organisirten Spionage konnte sich übrigens
auch das gleichgiltigste Gespräch nur mit tastender Behutsamkeit bewegen, und
völlig zwanglos war man auch unter den besten Regierungen nicht. Martial
sagt in einem Gedicht. worin er sechs Freunde zu einem frugalen Mahle
ladet, diesem Feste solle die Freimütlngkcit sern bleiben, die man am
andern Tage bereuen könnte Dies war freilich ein Gebot der natürlichsten
Klugheit. aber es mochte schwer genug sein, alle Gegenstände zu
vermeiden, deren Besprechung damals möglicherweise freimüthig gesunden wer¬
den konnte, wenn man nicht Martials Rath, „sich von den Blauen und Grü¬
nen im Circus zu unterhalten" ausschließlich befolgen wollte. Die gewaltsame
Ausschließung der Oeffentlichkeit in allem, was die innere und äußere Politik
betraf, hatte natürlich die Folge. Vermuthungen, Gerüchte und Combinationen
ins Grenzenlose zu vermehren (Tacitus neun Rom eine ..redclustige" Stadt)
und die Sehnsucht nach Neuigkeiten unaushörlich rege zu erhalten. Es fehlte
nicht an Leuten, die immer das Neueste wußten und dieser begehrten Eigen¬
schaft manche Ginladuug an wohlbesetzte Tafeln verdankten ; ihre Kunst war sehr
einfach; was sie nicht erfahren konnten, erfanden sie. Sie kannten die neuesten
Intentionen des parthischen Cabinets. wußten die augenblickliche Stärke der Be¬
satzungen am Rhein und Donau auf den Mann anzugeben, waren im Stande mit¬
zutheilen, was die eben Zugetroffene und noch nicht eröffnete Depesche von der
deutschen Armee enthielt, wie oft im Lauf des Jahres in Oberägypten Regen
gefallen, wie viel Schiffe aus den «Manischen Häfen ausgelaufen waren,
welcher Dichter bei der nächstem Preisvertheilung auf dem Capitol den Kranz
erhalten werde. „Spare deine Kunst," redet Martial einen solchen Fabrikanten
von Neuigkeiten an, „du sollst heute bei mir essen, aber nur unter der Be¬
dingung, daß du mir nichts Neues erzählst." Doch bei weitem schlimmer
und unheilvoller war die Aufspürung und Verbreitung von Geheimnissen,
durch die bedeutende Männer compromittirt und oft ganze Familien den,
Untergange geweiht wurden, nicht immer durch böse Absicht, sondern oft genug


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[0113] Wein zärtliche Chiffern auf den Tisch, er erzählt Liebesgeschichten, die in durch¬ sichtiger Verhüllung seine eigne Leidenschaft verrathen, ja er stellt sich betrun¬ ken, um seine Kühnheit unverfänglich erscheinen zu lassen. Es gibt leider keinen gleichzeitigen Schriftsteller, der uns Proben aus der geselligen Conversation des kaiserlichen Rom in irgend einer Zeit aufbehalten hätte, höchstens die Briefscnnmlung des jüngern Plinius kann uns dienen, um den aus Herzlichkeit und Höflichkeit gemischten Ton der höhern Stände uns zu vergegenwärtigen, in dem der gebildete Italiener, der Meister der Gentilezza, auch heute so viel Angenehmes so ungezwungen bei jeder Gelegenheit zu sa¬ gen weiß. Unter dem Druck des schrankenlosesten Despotismus, in der unmit¬ telbaren Nähe des Hofes und bei einer in allen Ständen aufs umfassendste laues mit provocirenden Agenten) organisirten Spionage konnte sich übrigens auch das gleichgiltigste Gespräch nur mit tastender Behutsamkeit bewegen, und völlig zwanglos war man auch unter den besten Regierungen nicht. Martial sagt in einem Gedicht. worin er sechs Freunde zu einem frugalen Mahle ladet, diesem Feste solle die Freimütlngkcit sern bleiben, die man am andern Tage bereuen könnte Dies war freilich ein Gebot der natürlichsten Klugheit. aber es mochte schwer genug sein, alle Gegenstände zu vermeiden, deren Besprechung damals möglicherweise freimüthig gesunden wer¬ den konnte, wenn man nicht Martials Rath, „sich von den Blauen und Grü¬ nen im Circus zu unterhalten" ausschließlich befolgen wollte. Die gewaltsame Ausschließung der Oeffentlichkeit in allem, was die innere und äußere Politik betraf, hatte natürlich die Folge. Vermuthungen, Gerüchte und Combinationen ins Grenzenlose zu vermehren (Tacitus neun Rom eine ..redclustige" Stadt) und die Sehnsucht nach Neuigkeiten unaushörlich rege zu erhalten. Es fehlte nicht an Leuten, die immer das Neueste wußten und dieser begehrten Eigen¬ schaft manche Ginladuug an wohlbesetzte Tafeln verdankten ; ihre Kunst war sehr einfach; was sie nicht erfahren konnten, erfanden sie. Sie kannten die neuesten Intentionen des parthischen Cabinets. wußten die augenblickliche Stärke der Be¬ satzungen am Rhein und Donau auf den Mann anzugeben, waren im Stande mit¬ zutheilen, was die eben Zugetroffene und noch nicht eröffnete Depesche von der deutschen Armee enthielt, wie oft im Lauf des Jahres in Oberägypten Regen gefallen, wie viel Schiffe aus den «Manischen Häfen ausgelaufen waren, welcher Dichter bei der nächstem Preisvertheilung auf dem Capitol den Kranz erhalten werde. „Spare deine Kunst," redet Martial einen solchen Fabrikanten von Neuigkeiten an, „du sollst heute bei mir essen, aber nur unter der Be¬ dingung, daß du mir nichts Neues erzählst." Doch bei weitem schlimmer und unheilvoller war die Aufspürung und Verbreitung von Geheimnissen, durch die bedeutende Männer compromittirt und oft ganze Familien den, Untergange geweiht wurden, nicht immer durch böse Absicht, sondern oft genug Gttnzl'öden I. 1858. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/113>, abgerufen am 27.07.2024.