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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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löschen, so sehr stoßen sie jeden, der ihnen in den Weg kommt, und stürzen
sich und andere kopfüber; und wohin laufen sie? Sie machen einen Besuch,
der nie erwidert wird. Wenn sie aus den nichtigsten Veranlassungen in der
ganzen Stadt umhergerannt sind und endlich wieder nach Hause kommen, be-
theuern sie, sie wüßten gar nicht, weshalb sie ausgegangen, wo sie gewesen
seien, und -- treten am nächsten Tage dieselben Wanderungen an. Dies Ge¬
schlecht führte dies Leben noch in hohen Jahren unverändert fort, und starb im
eigentlichsten Sinn in der Ausübung seines Berufs. Es gab Sechziger, die
an jeden: Morgen in Schweiß gebadet und "feucht von den Küssen des
ganzen Rom" umhcrkeuchtcn, in dem Empfangszimmer jeder Dame ihren
guten Morgen abstatteten, zehnmal am Tage nach dem kaiserlichen Palast
hinaufeilten und fortwährend die Namen der mächtigsten Männer un Mund,
führten: Dies sagt Martini, mögen allerdings junge Männer thun, aber
nichts ist häßlicher gls Ardclio in grauen Haaren.

Zum Glück für die hier geschilderte Classe gab es außer den Morgen-
besuchen noch eine Menge nicht minder wichtiger Veranlassungen, den ganzen
Tag außer dem Hause zuzubringen. Das hatten alle, die von ihrer Zeit
einen bessern Gebrauch zu machen wußten, oft schmerzlich zu empfinden. "Es
ist merkwürdig, sagt der jüngere Plinius, wie in^ Rom an jedem einzelnen
Tage die Rechnung stimmt oder doch zu stimmen scheint: im Ganzen aber und
wenn man mehre zusammennimmt, gar nicht. Denn wenn man jemanden
fragt: Was hast du heute gethan? so ist die Antwort: ich habe einer Anlegung
der Männertoga beigewohnt, eine Verlobung oder Hochzeit mitgemacht; jener
hat mich zur Mituntersieglung seines Testaments, dieser-zum Beistand vor
Gericht, ein dritter zu einer Berathschlagung eingeladen. Dergleichen Dinge er¬
scheinen an dem Tage, wo man sie gethan hat, nothwendig, wenn man
bedenkt, daß man sie täglich gethan, nichtig, und das um vieles mehr, wenn
man Rom im Rücken hat. Hier sind nur einige von den zahlreichen gesell¬
schaftlichen Verpflichtungen erwähnt, die eine ausgebreitete Bekanntschaft in
Rom mit sich brachte; andere waren zum Theil noch zeitraubender und lästiger,
wobei man in Anschlag bringen muß, daß die meisten einen festlichen Anzug
erforderten und es ohne weite Wege in der großen Stadt selten abging. Bei
allen bedeutenden festlichen oder schmerzlichen Anlässen forderte die Sitte, daß
die Freunde des Feiernden oder Trauernden sich in nwglichst großer Zahl ein¬
fanden, z. B. auch bei Leichenbegängnissen. Die Anlegung der Männer¬
toga war die Ceremonie, die den Eintritt des Knaben ins bürgerliche Leben
bezeichnete, gewöhnlich im fünfzehnten Jahr. Besonders zeitraubend müssen
Verlobungen und Hochzeiten gewesen sein, wenn mar Bekanntschaften unter
den Damen hatte, die sich schon wieder scheiden ließen, wenn das grüne Laub
noch nicht abgewelkt war, das bei": Einzug der jungen Frau die Pfosten


löschen, so sehr stoßen sie jeden, der ihnen in den Weg kommt, und stürzen
sich und andere kopfüber; und wohin laufen sie? Sie machen einen Besuch,
der nie erwidert wird. Wenn sie aus den nichtigsten Veranlassungen in der
ganzen Stadt umhergerannt sind und endlich wieder nach Hause kommen, be-
theuern sie, sie wüßten gar nicht, weshalb sie ausgegangen, wo sie gewesen
seien, und — treten am nächsten Tage dieselben Wanderungen an. Dies Ge¬
schlecht führte dies Leben noch in hohen Jahren unverändert fort, und starb im
eigentlichsten Sinn in der Ausübung seines Berufs. Es gab Sechziger, die
an jeden: Morgen in Schweiß gebadet und „feucht von den Küssen des
ganzen Rom" umhcrkeuchtcn, in dem Empfangszimmer jeder Dame ihren
guten Morgen abstatteten, zehnmal am Tage nach dem kaiserlichen Palast
hinaufeilten und fortwährend die Namen der mächtigsten Männer un Mund,
führten: Dies sagt Martini, mögen allerdings junge Männer thun, aber
nichts ist häßlicher gls Ardclio in grauen Haaren.

Zum Glück für die hier geschilderte Classe gab es außer den Morgen-
besuchen noch eine Menge nicht minder wichtiger Veranlassungen, den ganzen
Tag außer dem Hause zuzubringen. Das hatten alle, die von ihrer Zeit
einen bessern Gebrauch zu machen wußten, oft schmerzlich zu empfinden. „Es
ist merkwürdig, sagt der jüngere Plinius, wie in^ Rom an jedem einzelnen
Tage die Rechnung stimmt oder doch zu stimmen scheint: im Ganzen aber und
wenn man mehre zusammennimmt, gar nicht. Denn wenn man jemanden
fragt: Was hast du heute gethan? so ist die Antwort: ich habe einer Anlegung
der Männertoga beigewohnt, eine Verlobung oder Hochzeit mitgemacht; jener
hat mich zur Mituntersieglung seines Testaments, dieser-zum Beistand vor
Gericht, ein dritter zu einer Berathschlagung eingeladen. Dergleichen Dinge er¬
scheinen an dem Tage, wo man sie gethan hat, nothwendig, wenn man
bedenkt, daß man sie täglich gethan, nichtig, und das um vieles mehr, wenn
man Rom im Rücken hat. Hier sind nur einige von den zahlreichen gesell¬
schaftlichen Verpflichtungen erwähnt, die eine ausgebreitete Bekanntschaft in
Rom mit sich brachte; andere waren zum Theil noch zeitraubender und lästiger,
wobei man in Anschlag bringen muß, daß die meisten einen festlichen Anzug
erforderten und es ohne weite Wege in der großen Stadt selten abging. Bei
allen bedeutenden festlichen oder schmerzlichen Anlässen forderte die Sitte, daß
die Freunde des Feiernden oder Trauernden sich in nwglichst großer Zahl ein¬
fanden, z. B. auch bei Leichenbegängnissen. Die Anlegung der Männer¬
toga war die Ceremonie, die den Eintritt des Knaben ins bürgerliche Leben
bezeichnete, gewöhnlich im fünfzehnten Jahr. Besonders zeitraubend müssen
Verlobungen und Hochzeiten gewesen sein, wenn mar Bekanntschaften unter
den Damen hatte, die sich schon wieder scheiden ließen, wenn das grüne Laub
noch nicht abgewelkt war, das bei»: Einzug der jungen Frau die Pfosten


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[0110] löschen, so sehr stoßen sie jeden, der ihnen in den Weg kommt, und stürzen sich und andere kopfüber; und wohin laufen sie? Sie machen einen Besuch, der nie erwidert wird. Wenn sie aus den nichtigsten Veranlassungen in der ganzen Stadt umhergerannt sind und endlich wieder nach Hause kommen, be- theuern sie, sie wüßten gar nicht, weshalb sie ausgegangen, wo sie gewesen seien, und — treten am nächsten Tage dieselben Wanderungen an. Dies Ge¬ schlecht führte dies Leben noch in hohen Jahren unverändert fort, und starb im eigentlichsten Sinn in der Ausübung seines Berufs. Es gab Sechziger, die an jeden: Morgen in Schweiß gebadet und „feucht von den Küssen des ganzen Rom" umhcrkeuchtcn, in dem Empfangszimmer jeder Dame ihren guten Morgen abstatteten, zehnmal am Tage nach dem kaiserlichen Palast hinaufeilten und fortwährend die Namen der mächtigsten Männer un Mund, führten: Dies sagt Martini, mögen allerdings junge Männer thun, aber nichts ist häßlicher gls Ardclio in grauen Haaren. Zum Glück für die hier geschilderte Classe gab es außer den Morgen- besuchen noch eine Menge nicht minder wichtiger Veranlassungen, den ganzen Tag außer dem Hause zuzubringen. Das hatten alle, die von ihrer Zeit einen bessern Gebrauch zu machen wußten, oft schmerzlich zu empfinden. „Es ist merkwürdig, sagt der jüngere Plinius, wie in^ Rom an jedem einzelnen Tage die Rechnung stimmt oder doch zu stimmen scheint: im Ganzen aber und wenn man mehre zusammennimmt, gar nicht. Denn wenn man jemanden fragt: Was hast du heute gethan? so ist die Antwort: ich habe einer Anlegung der Männertoga beigewohnt, eine Verlobung oder Hochzeit mitgemacht; jener hat mich zur Mituntersieglung seines Testaments, dieser-zum Beistand vor Gericht, ein dritter zu einer Berathschlagung eingeladen. Dergleichen Dinge er¬ scheinen an dem Tage, wo man sie gethan hat, nothwendig, wenn man bedenkt, daß man sie täglich gethan, nichtig, und das um vieles mehr, wenn man Rom im Rücken hat. Hier sind nur einige von den zahlreichen gesell¬ schaftlichen Verpflichtungen erwähnt, die eine ausgebreitete Bekanntschaft in Rom mit sich brachte; andere waren zum Theil noch zeitraubender und lästiger, wobei man in Anschlag bringen muß, daß die meisten einen festlichen Anzug erforderten und es ohne weite Wege in der großen Stadt selten abging. Bei allen bedeutenden festlichen oder schmerzlichen Anlässen forderte die Sitte, daß die Freunde des Feiernden oder Trauernden sich in nwglichst großer Zahl ein¬ fanden, z. B. auch bei Leichenbegängnissen. Die Anlegung der Männer¬ toga war die Ceremonie, die den Eintritt des Knaben ins bürgerliche Leben bezeichnete, gewöhnlich im fünfzehnten Jahr. Besonders zeitraubend müssen Verlobungen und Hochzeiten gewesen sein, wenn mar Bekanntschaften unter den Damen hatte, die sich schon wieder scheiden ließen, wenn das grüne Laub noch nicht abgewelkt war, das bei»: Einzug der jungen Frau die Pfosten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/110>, abgerufen am 22.12.2024.