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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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war ein Product der Aesthetik und des Verstandes, der sich dnrch die
Aesthetik ein gutes Gewissen machte. Darum hielt der letztere die Probe
der Wirklichkeit nicht aus. Das Unglück des Vaterlandes prostituirte
seine Ideale. Erwäre schon durch die folgende Erhebung unserer
Nation zu Schanden geworden, wenn nicht diese Erhebung alsbald in
eine neue Knechtschaft und in die Lüge der Restauration umgeschlagen wäre."

Hier muß nun hinzugefügt werden, daß Fichte allerdings im entschei¬
denden Augenblick dem vaterländischen Gefühl Raum gab, aber nicht grade
infolge seines philosophischen Idealismus. Er hatte vielmehr wenige Jahre
vorher aus jenem Idealismus das Gegentheil entwickelt, er hatte behauptet,
mit bestimmtem Hinblick auf die Fortschritte der Franzosen, daß in dem Kampf
zweier Staaten, wenn der eine derselben durch seine Schwäche sich mit Recht
den Untergang zuzöge, der sonnenverwandte Geist die Norurtheile des Patrio¬
tismus aufgeben und sich dem andern jüngern, kräftigern anschließen müsse.
Wenn er in den Reden an die deutsche Nation eine bessere Ueberzeu¬
gung vertrat, so war es nicht sein Verstand, der ihn bestimmte, son¬
dern sein Herz, wobei er es freilich sehr geschickt anzufangen wußte,
für die Eingebungen seines Herzens nachträglich die logische Recht¬
fertigung zu finden. -- Hegel war im Lauf der Ereignisse noch eine
schlimmere Rolle vorbehalten. Er wurde nach Vamberg berufen, um dort
eine Zeitung zu redigiren; über diese spricht sich Haym folgendermaßen aus.

"Um alles zu sagen: diese Zeitung wurde von Hegel so gut redigirt,
wie eine schlechte Zeitung irgend redigirt "lwerden kann. Denn schlecht war
dieselbe nach jedem höheren Maßstabe, den man an ein politisches Blatt an¬
zulegen berechtigt ist, schlecht war sie insbesondere nach ihrer Tendenz und
Gesinnung. Sie war nicht ein Organ, in welchem die öffentliche Meinung
geleitet wird, indem sie sich ausspricht. Sie referirte, aber sie wollte weder,
noch durfte sie raisonniren. Sie enthält keinen leitenden Artikel. Und gut
vielleicht,^daß sie hierzu weder Erlaubniß noch Versuchung hatte. schmäh¬
lich genug, daß sie in der Form der reinen Thatsächlichkeit die Dienerin des
einen Interesses war, für welches eine deutsche Feder sich nie hätte finden
sollen. Nur einmal, in einem polemischen Artikel, hören wir den Redacteur
selbst und ausdrücklich für seine politische Ansicht eintreten: es geschieht, um
diejenige Gesinnung mit dem Spottnamen e,mes "nordgermanischen Patrio¬
tismus" zu bezeichnen, welche nachmals" die Befreiung des Vaterlandes von
französischer Herrschaft durchgesetzt hat. Allein dieselbe Ansicht beherrscht den
Ton und die Haltung deö Ganzen, dieselbe Ansicht gibt der scheinbaren
Unparteilichkeit so wie der wirklichen Gründlichkeit der Berichterstattung ihre


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war ein Product der Aesthetik und des Verstandes, der sich dnrch die
Aesthetik ein gutes Gewissen machte. Darum hielt der letztere die Probe
der Wirklichkeit nicht aus. Das Unglück des Vaterlandes prostituirte
seine Ideale. Erwäre schon durch die folgende Erhebung unserer
Nation zu Schanden geworden, wenn nicht diese Erhebung alsbald in
eine neue Knechtschaft und in die Lüge der Restauration umgeschlagen wäre."

Hier muß nun hinzugefügt werden, daß Fichte allerdings im entschei¬
denden Augenblick dem vaterländischen Gefühl Raum gab, aber nicht grade
infolge seines philosophischen Idealismus. Er hatte vielmehr wenige Jahre
vorher aus jenem Idealismus das Gegentheil entwickelt, er hatte behauptet,
mit bestimmtem Hinblick auf die Fortschritte der Franzosen, daß in dem Kampf
zweier Staaten, wenn der eine derselben durch seine Schwäche sich mit Recht
den Untergang zuzöge, der sonnenverwandte Geist die Norurtheile des Patrio¬
tismus aufgeben und sich dem andern jüngern, kräftigern anschließen müsse.
Wenn er in den Reden an die deutsche Nation eine bessere Ueberzeu¬
gung vertrat, so war es nicht sein Verstand, der ihn bestimmte, son¬
dern sein Herz, wobei er es freilich sehr geschickt anzufangen wußte,
für die Eingebungen seines Herzens nachträglich die logische Recht¬
fertigung zu finden. — Hegel war im Lauf der Ereignisse noch eine
schlimmere Rolle vorbehalten. Er wurde nach Vamberg berufen, um dort
eine Zeitung zu redigiren; über diese spricht sich Haym folgendermaßen aus.

„Um alles zu sagen: diese Zeitung wurde von Hegel so gut redigirt,
wie eine schlechte Zeitung irgend redigirt «lwerden kann. Denn schlecht war
dieselbe nach jedem höheren Maßstabe, den man an ein politisches Blatt an¬
zulegen berechtigt ist, schlecht war sie insbesondere nach ihrer Tendenz und
Gesinnung. Sie war nicht ein Organ, in welchem die öffentliche Meinung
geleitet wird, indem sie sich ausspricht. Sie referirte, aber sie wollte weder,
noch durfte sie raisonniren. Sie enthält keinen leitenden Artikel. Und gut
vielleicht,^daß sie hierzu weder Erlaubniß noch Versuchung hatte. schmäh¬
lich genug, daß sie in der Form der reinen Thatsächlichkeit die Dienerin des
einen Interesses war, für welches eine deutsche Feder sich nie hätte finden
sollen. Nur einmal, in einem polemischen Artikel, hören wir den Redacteur
selbst und ausdrücklich für seine politische Ansicht eintreten: es geschieht, um
diejenige Gesinnung mit dem Spottnamen e,mes „nordgermanischen Patrio¬
tismus" zu bezeichnen, welche nachmals" die Befreiung des Vaterlandes von
französischer Herrschaft durchgesetzt hat. Allein dieselbe Ansicht beherrscht den
Ton und die Haltung deö Ganzen, dieselbe Ansicht gibt der scheinbaren
Unparteilichkeit so wie der wirklichen Gründlichkeit der Berichterstattung ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/99>, abgerufen am 23.07.2024.