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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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über die Ereignisse in Bengalen ausgesprochen, und wir beeilen uns, im Fol¬
genden einen Auszug aus dem zu geben, was er über die jetzige Lage und
über die Zukunft sagt:

"Die erste bedenkliche Militäremeute ereignete sich im September zu
Bolarum im Reiche des Nizam. Hier befehligte Oberst Colin-Mackenzie die
südliche Diviston, und wurde in den Tagen des Moharram von mehren Sol¬
daten des 3. Cavalerieregiments tödtlich verwundet; desgleichen erlagen einige
andere Engländer und ihre Frauen den Angriffen dieser trunkenen und fanati¬
schen Reiter. Oberst Colin-Mackenzie gehört zu den ausgezeichnetsten Offiziren
der indischen Armee, aber obgleich er bei diesem Anlaß der einzige war, welcher
sich so verhielt, wie es einem Soldaten und Mann von Charakter gebührt, so ist
ihm doch nicht die Gerechtigkeit geworden, welche ihm zukam; weil, wie man
sagte, der brave Oberst sich von seinem Religionseifer habe fortreißen lassen.
Man kann diesen Bericht nicht ohne Betrübniß aus der Hand legen, wenn
man steht, wie haltungslos und schwach sich der Resident Mr. Bushby und
Capitän Orr betrugen. Anstatt diese zur Verantwortung zu ziehen, und die
Rädelsführer mit dem Tode zu bestrafen, wird allen verziehen! So wird der
Insubordination eine goldene Brücke gebaut.

Dieser Vorfall hätte die Augen der Behörden öffnen müssen, denn aus
dem Hergange sieht man deutlich, baß den Truppen der Eingebornen auf die
Länge der Zeit nicht mehr zu trauen war. Schon damals hätte man ohne
Verzug wenigstens 20,000 Mann Europäer nach Indien senden sollen. Man
gefiel sich in dem Glauben, daß eS nur ein einzelner Fall sei, den die streng
christliche Denkweise des Obersten Colin-Mackenzie herbeigeführt habe. Wie
es scheint war es jetzt, wie bei früheren Anträgen deS Generalgouverneurs,
der Hof der Directoren, welcher sich jeder Vermehrung der europäischen Trup¬
pen widersetzte. Man sagte sich, daß die Sepoys jederzeit ihre Pflicht gethan
hätten, und die Armee der Eingebornen allen Eventualitäten gewachsen sei.

Im Herbst vorigen Jahres zeigten sich wieder Beweise von Auflehnung
unter den Sepoys der Bengalarmee; aber noch immer hielten die Behörden
all diese Anzeichen eines drohenden Sturmes für vereinzelte Symptome.

Die ersten Monate deS Frühlings enttäuschten sie. Nicht ohne Plan
haben die Meuterer den günstigsten Moment der Jahreszeit gewählt, die Zeit
der heißen Winde und der deS darauf folgenden Monsuns, wo der Regen oft
Tage lang ununterbrochen in Strömen herabfällt. Es ist die Jahreszeit, welche
besonders tödtlich in den Reihen der europäischen Truppen wüthen wird. Ebenso
umsichtig haben sie Delhi zu ihrem Operationspunkte gewählt, wo noch der
Schatten der alten Großmoguln restdirt, und wo die größten Militärmagazine
der nördlichen Provinzen sich befanden. Schon <8i2 brachte Lord Ellenborough
bei den Directoren diese Gefahr zur Sprache, in Delhi ein Generaldepot zu


über die Ereignisse in Bengalen ausgesprochen, und wir beeilen uns, im Fol¬
genden einen Auszug aus dem zu geben, was er über die jetzige Lage und
über die Zukunft sagt:

„Die erste bedenkliche Militäremeute ereignete sich im September zu
Bolarum im Reiche des Nizam. Hier befehligte Oberst Colin-Mackenzie die
südliche Diviston, und wurde in den Tagen des Moharram von mehren Sol¬
daten des 3. Cavalerieregiments tödtlich verwundet; desgleichen erlagen einige
andere Engländer und ihre Frauen den Angriffen dieser trunkenen und fanati¬
schen Reiter. Oberst Colin-Mackenzie gehört zu den ausgezeichnetsten Offiziren
der indischen Armee, aber obgleich er bei diesem Anlaß der einzige war, welcher
sich so verhielt, wie es einem Soldaten und Mann von Charakter gebührt, so ist
ihm doch nicht die Gerechtigkeit geworden, welche ihm zukam; weil, wie man
sagte, der brave Oberst sich von seinem Religionseifer habe fortreißen lassen.
Man kann diesen Bericht nicht ohne Betrübniß aus der Hand legen, wenn
man steht, wie haltungslos und schwach sich der Resident Mr. Bushby und
Capitän Orr betrugen. Anstatt diese zur Verantwortung zu ziehen, und die
Rädelsführer mit dem Tode zu bestrafen, wird allen verziehen! So wird der
Insubordination eine goldene Brücke gebaut.

Dieser Vorfall hätte die Augen der Behörden öffnen müssen, denn aus
dem Hergange sieht man deutlich, baß den Truppen der Eingebornen auf die
Länge der Zeit nicht mehr zu trauen war. Schon damals hätte man ohne
Verzug wenigstens 20,000 Mann Europäer nach Indien senden sollen. Man
gefiel sich in dem Glauben, daß eS nur ein einzelner Fall sei, den die streng
christliche Denkweise des Obersten Colin-Mackenzie herbeigeführt habe. Wie
es scheint war es jetzt, wie bei früheren Anträgen deS Generalgouverneurs,
der Hof der Directoren, welcher sich jeder Vermehrung der europäischen Trup¬
pen widersetzte. Man sagte sich, daß die Sepoys jederzeit ihre Pflicht gethan
hätten, und die Armee der Eingebornen allen Eventualitäten gewachsen sei.

Im Herbst vorigen Jahres zeigten sich wieder Beweise von Auflehnung
unter den Sepoys der Bengalarmee; aber noch immer hielten die Behörden
all diese Anzeichen eines drohenden Sturmes für vereinzelte Symptome.

Die ersten Monate deS Frühlings enttäuschten sie. Nicht ohne Plan
haben die Meuterer den günstigsten Moment der Jahreszeit gewählt, die Zeit
der heißen Winde und der deS darauf folgenden Monsuns, wo der Regen oft
Tage lang ununterbrochen in Strömen herabfällt. Es ist die Jahreszeit, welche
besonders tödtlich in den Reihen der europäischen Truppen wüthen wird. Ebenso
umsichtig haben sie Delhi zu ihrem Operationspunkte gewählt, wo noch der
Schatten der alten Großmoguln restdirt, und wo die größten Militärmagazine
der nördlichen Provinzen sich befanden. Schon <8i2 brachte Lord Ellenborough
bei den Directoren diese Gefahr zur Sprache, in Delhi ein Generaldepot zu


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[0084] über die Ereignisse in Bengalen ausgesprochen, und wir beeilen uns, im Fol¬ genden einen Auszug aus dem zu geben, was er über die jetzige Lage und über die Zukunft sagt: „Die erste bedenkliche Militäremeute ereignete sich im September zu Bolarum im Reiche des Nizam. Hier befehligte Oberst Colin-Mackenzie die südliche Diviston, und wurde in den Tagen des Moharram von mehren Sol¬ daten des 3. Cavalerieregiments tödtlich verwundet; desgleichen erlagen einige andere Engländer und ihre Frauen den Angriffen dieser trunkenen und fanati¬ schen Reiter. Oberst Colin-Mackenzie gehört zu den ausgezeichnetsten Offiziren der indischen Armee, aber obgleich er bei diesem Anlaß der einzige war, welcher sich so verhielt, wie es einem Soldaten und Mann von Charakter gebührt, so ist ihm doch nicht die Gerechtigkeit geworden, welche ihm zukam; weil, wie man sagte, der brave Oberst sich von seinem Religionseifer habe fortreißen lassen. Man kann diesen Bericht nicht ohne Betrübniß aus der Hand legen, wenn man steht, wie haltungslos und schwach sich der Resident Mr. Bushby und Capitän Orr betrugen. Anstatt diese zur Verantwortung zu ziehen, und die Rädelsführer mit dem Tode zu bestrafen, wird allen verziehen! So wird der Insubordination eine goldene Brücke gebaut. Dieser Vorfall hätte die Augen der Behörden öffnen müssen, denn aus dem Hergange sieht man deutlich, baß den Truppen der Eingebornen auf die Länge der Zeit nicht mehr zu trauen war. Schon damals hätte man ohne Verzug wenigstens 20,000 Mann Europäer nach Indien senden sollen. Man gefiel sich in dem Glauben, daß eS nur ein einzelner Fall sei, den die streng christliche Denkweise des Obersten Colin-Mackenzie herbeigeführt habe. Wie es scheint war es jetzt, wie bei früheren Anträgen deS Generalgouverneurs, der Hof der Directoren, welcher sich jeder Vermehrung der europäischen Trup¬ pen widersetzte. Man sagte sich, daß die Sepoys jederzeit ihre Pflicht gethan hätten, und die Armee der Eingebornen allen Eventualitäten gewachsen sei. Im Herbst vorigen Jahres zeigten sich wieder Beweise von Auflehnung unter den Sepoys der Bengalarmee; aber noch immer hielten die Behörden all diese Anzeichen eines drohenden Sturmes für vereinzelte Symptome. Die ersten Monate deS Frühlings enttäuschten sie. Nicht ohne Plan haben die Meuterer den günstigsten Moment der Jahreszeit gewählt, die Zeit der heißen Winde und der deS darauf folgenden Monsuns, wo der Regen oft Tage lang ununterbrochen in Strömen herabfällt. Es ist die Jahreszeit, welche besonders tödtlich in den Reihen der europäischen Truppen wüthen wird. Ebenso umsichtig haben sie Delhi zu ihrem Operationspunkte gewählt, wo noch der Schatten der alten Großmoguln restdirt, und wo die größten Militärmagazine der nördlichen Provinzen sich befanden. Schon <8i2 brachte Lord Ellenborough bei den Directoren diese Gefahr zur Sprache, in Delhi ein Generaldepot zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/84>, abgerufen am 26.06.2024.