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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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kehrt hat; und wer sich gehörig an das Polarklima gewöhnt hat, bei dem
folgt jetzt schon ein reichlicher Schweiß einem wohlthuenden Gefühle der Wärme.
Jetzt drehe dich aber einmal um, dem Wind entgegen; welch eine verwünschte
Veränderung! Wie die Atmosphären weggeweht werden, wie durchdringend die
Kälte am Rücken hinunterkriecht und in die Taschen hinein! Hui; ein Taschen¬
messer, das bis jetzt, wie Bob Sawyerö Apfel in den Pickwickiern, unange¬
nehm warm, in der Hosentasche stak, ist nun auf einmal kalt wie Eis und
heiß wie Feuer: rasch zurück nach dem Schiffe! Einmal überfiel mich ein stärker
werdender Wind drei englische Meilen von unserm Winterhause, und ich hoffte
kaum die Brigg wiederzusehen. Morton, der mich begleitete, erfror die Backen
und ich fühlte daS lethargische Erstarren, von dem die Bücher oft erzählen.

Ich will berichten, wie eS Einem dabei zu Muthe ist, denn zweimal
habe ich Erfahrung davon gehabt. Schläfrigkeit ist die Empfindung nicht.
Hat der Leser jemals den Schlag einer elektrisch-magnetischen Maschine und
das eigenthümliche einschläferte Gefühl empfunden, daS sich bis in das Eiln-
bogengelenk erstreckt? Nimmt man diesem seinen schlagartigen Charakter und
denkt man es sich durch den ganzen Körper vertheilt, so kann man sich einen
Begriff von dem sogenannten wohlthuenden Gefühl deS beginnenden Erfrierens
machen. ES scheint sich selbst aus daS Gehirn auszudehnen. Seine Träg-
heitskraft nimmt zu; alles um uns scheint schwerfällig und schwerwiegend zu
werden; und das ganze Vergnügen besteht im Nachgeben gegen eine Neigung
sich nicht zu rühren und sich ein Ankämpfen gegen den uns überwältigenden
Schlummer zu ersparen. Das ist, vermuthe ich, die wohlthuende Schläfrig-
keit, von der die Bücher sprechen.

Ich könnte noch ganze Seiten mit der lächerlichen Misere unsers Lebens
am Bord deS Schiffes anfüllen. Wir haben zweierlei Klima, hygrometrisch
und thermometrisch, an entgegengesetzten Enden der Skala. Ein Taschentuch,
daS wir unten in der Region der Oefen eingesteckt haben, kommt unverändert
aufs Verdeck. Geht man wieder hinunter, so wird eS feucht, schlapp und fast
naß. Steigt man wieder aufs Verdeck, so gleicht eS einer mit Leinen über¬
zogenen Schindel. Man könnte sich die Zähne damit stochern.

Wie hält man diese unbarmherzige Temperatur aus? DaS läßt sich in
Kürze sagen und ist doch vielleicht deS Erzählens werth. Der Doctor hat
immer noch drei Lurussachen beibehalten, die Ueberbleibsel besserer Zeiten --
Seide unmittelbar auf der Haut, eine Zahnbürste für die Zähne und welches
Leinen für die Nase. Alles Uebrige ist arke.sah und borstig -- Pelz, Pelz,
Pelz. Die Seide ist leicht und waschbar und bedarf weder des reinen Schmu-
zeS der Stärke, noch der unbequemen Mühe des Plältenö. Sie verschafft
mir einen reinen Schirm zwischen meiner Oberhaut und der Umhüllung von
Seehundsfellen.


kehrt hat; und wer sich gehörig an das Polarklima gewöhnt hat, bei dem
folgt jetzt schon ein reichlicher Schweiß einem wohlthuenden Gefühle der Wärme.
Jetzt drehe dich aber einmal um, dem Wind entgegen; welch eine verwünschte
Veränderung! Wie die Atmosphären weggeweht werden, wie durchdringend die
Kälte am Rücken hinunterkriecht und in die Taschen hinein! Hui; ein Taschen¬
messer, das bis jetzt, wie Bob Sawyerö Apfel in den Pickwickiern, unange¬
nehm warm, in der Hosentasche stak, ist nun auf einmal kalt wie Eis und
heiß wie Feuer: rasch zurück nach dem Schiffe! Einmal überfiel mich ein stärker
werdender Wind drei englische Meilen von unserm Winterhause, und ich hoffte
kaum die Brigg wiederzusehen. Morton, der mich begleitete, erfror die Backen
und ich fühlte daS lethargische Erstarren, von dem die Bücher oft erzählen.

Ich will berichten, wie eS Einem dabei zu Muthe ist, denn zweimal
habe ich Erfahrung davon gehabt. Schläfrigkeit ist die Empfindung nicht.
Hat der Leser jemals den Schlag einer elektrisch-magnetischen Maschine und
das eigenthümliche einschläferte Gefühl empfunden, daS sich bis in das Eiln-
bogengelenk erstreckt? Nimmt man diesem seinen schlagartigen Charakter und
denkt man es sich durch den ganzen Körper vertheilt, so kann man sich einen
Begriff von dem sogenannten wohlthuenden Gefühl deS beginnenden Erfrierens
machen. ES scheint sich selbst aus daS Gehirn auszudehnen. Seine Träg-
heitskraft nimmt zu; alles um uns scheint schwerfällig und schwerwiegend zu
werden; und das ganze Vergnügen besteht im Nachgeben gegen eine Neigung
sich nicht zu rühren und sich ein Ankämpfen gegen den uns überwältigenden
Schlummer zu ersparen. Das ist, vermuthe ich, die wohlthuende Schläfrig-
keit, von der die Bücher sprechen.

Ich könnte noch ganze Seiten mit der lächerlichen Misere unsers Lebens
am Bord deS Schiffes anfüllen. Wir haben zweierlei Klima, hygrometrisch
und thermometrisch, an entgegengesetzten Enden der Skala. Ein Taschentuch,
daS wir unten in der Region der Oefen eingesteckt haben, kommt unverändert
aufs Verdeck. Geht man wieder hinunter, so wird eS feucht, schlapp und fast
naß. Steigt man wieder aufs Verdeck, so gleicht eS einer mit Leinen über¬
zogenen Schindel. Man könnte sich die Zähne damit stochern.

Wie hält man diese unbarmherzige Temperatur aus? DaS läßt sich in
Kürze sagen und ist doch vielleicht deS Erzählens werth. Der Doctor hat
immer noch drei Lurussachen beibehalten, die Ueberbleibsel besserer Zeiten —
Seide unmittelbar auf der Haut, eine Zahnbürste für die Zähne und welches
Leinen für die Nase. Alles Uebrige ist arke.sah und borstig — Pelz, Pelz,
Pelz. Die Seide ist leicht und waschbar und bedarf weder des reinen Schmu-
zeS der Stärke, noch der unbequemen Mühe des Plältenö. Sie verschafft
mir einen reinen Schirm zwischen meiner Oberhaut und der Umhüllung von
Seehundsfellen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/80>, abgerufen am 18.06.2024.